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Anfang August, abends um neun Uhr verwandelt sich Apricale in eine einzige Bühne. An zehn verschiedenen Spielstätten unterhalten Schauspieler des Genueser „Teatro della Tosse“ rund tausend Besucherinnen und Besucher, die mit ihnen von Szene zu Szene schlendern. „Das Dorf selbst hat gerade mal 622 Einwohner“, sagt Marco Macchi. Der Reiseführer wohnt ein paar Kilometer weiter weg und war schon ein Dutzend Mal live dabei. Langweilig wird ihm dabei keineswegs, denn jedes Jahr steht ein anderes Stück auf dem Programm. Mal ein Shakespeare-Klassiker, mal „Alice im Wunderland“.

Immer spielen Musik und Gesang eine Rolle und vor allem Improvisationskunst. Ohne geht es nicht auf den ungewöhnlichen Spielflächen in Innenhöfen und Kirchen. In diesem Sommer ist Mozarts „Zauberflöte“ (5. bis 15. August) angekündigt. Fans wie Marco finden das Motto fast zweitrangig: „Wichtiger ist das Ambiente in den beleuchteten Gassen, das beschwingte Gewusel.“ Besonders stimmungsvoll: das Finale um Mitternacht auf der Piazza Vittorio Emanuele II.

Der zentrale Platz wird vom Rathaus, dem barocken San-Bartolomeo-Oratorium und dem etwas erhabenen Castello della Lucertola, der „Burg der Eidechse“, eingerahmt. Beim „Fest der Pansarole“ wird hier den ortstypischen, in Olivenöl ausgebratenen Pfannkuchen gehuldigt. Ende Juni gibt es mit der „Notte Romantica“ ein sommerliches Pendant zum Valentinstag. Doch auch ohne Anlass ist der Dorfplatz ein Sightseeing-Muss. Das liegt nicht zuletzt an der aus dem 12. Jahrhundert stammenden Pfarrkirche Purificazione di Maria Vergine und deren Kirchturm. Ein echter Hingucker, wurde doch beim Open- Air-Theater im Jahr 2000 auf dem schrägen Dach ein Fahrrad befestigt. Es prangt dort noch immer. Direkt darunter, schon zum Castello gehörend, befindet sich Marcos Lieblingsplatz in Apricale: „Der kleine Park ist einfach wunderschön, ein Ort der Entspannung.“

Und ein Ort mit Aussicht. Man blickt von hier aus über Apricale, das fast komplett aus Häuserdächern zu bestehen scheint. Und über das Merdanzo-Tal mit seinen kaum besiedelten Hügeln, auf denen im Mai und Juni wilder Spargel, Thymian, Rosmarin, gelber Ginster und Zistrosen blühen. Auch aus der Ferne zeigt sich Apricale von einer sehr schönen Seite. Wer von der Küste die kurvige Bergstraße nimmt, erblickt schon von Weitem ein in sich verschachteltes Häuserkonglomerat, das wie eine anmutige Echse den sonnenverwöhnten Hang hinaufkriecht. Schmale, steile Gassen, schiefe Treppchen, überdachte Durchgänge und Steinarkaden bilden ein enges Labyrinth. Autos müssen draußen bleiben. Bäume gibt es ebenfalls keine, dafür wuchernden, wilden Wein an Häuserwänden, Blumenschmuck an Fenstern und zwischen Pflastersteinen hervorlugende Grasbüschel.

Für Farbe sorgen zudem die in zarten Tönen angemalten, uralten, teils schiefen und in fragwürdigem Zustand befindlichen Gebäude, ferner bunte Vorhänge und Wäsche, die über den Gassen weht, sowie etliche Wandmalereien. Die meisten entstanden beim „Giornata dell’Affresco“, einer Veranstaltung für Freskenmalerei, die in den 60ern begann und bis Mitte der 80er jährlich in Apricale stattfand. Damals machten Künstler aus dem In- und Ausland aus dem Ort eine Art zweites Saint-Paul-de-Vence (Südfrankreich).

In Apricale trifft man noch heute etliche Künstlerinnen und Künstler. Doch die Hochphase samt Freskenevent ist Vergangenheit. Dafür kamen die Theaterstücke. Und zunehmend Touristinnen und Touristen (vor allem an den Sommerwochenenden kann es voll werden), die das Gassengewirr insbesondere wegen seines kühlenden Effekts an heißen Tagen schätzen. Wie viele hier wohl schon die Orientierung verloren haben? Da kann die Begleitung eines Guides wie Marco von Vorteil sein.


Quellen: