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Nein, mit Freude bei der Sache scheint Martha Ludwig (Name von der Redaktion geändert) nicht zu sein. Vor ihr liegt eine grüne Plastikmatte. Es gilt, ein Klötzchen aus Buchenholz durch die Rillen zu schieben, die sich in Spiralen durch den Kunststoff winden – eine Fingerübung für die Feinmotorik. Die 83-Jährige hält das Holzstückchen in der linken Hand und starrt an die gelb getünchte Wand des Gemeinschaftsraums im Altenzentrum St. Elisabeth in Senden. Vom Nachbartisch dringt das Klackern eines Würfelbechers herüber.

Paro: Kontaktaufnahme mit Plüschtier

Alles ändert sich, als Carla Meyer aufkreuzt. "Ich habe eine Überraschung mitgebracht", sagt die Ergotherapeutin, während sie das Trainingsbrett auf dem Tisch gegen eine schneeweiße Plüschrobbe tauscht. "Unseren Paro. Kennen Sie den noch?" Martha Ludwig versucht sich an einer Antwort. "Das, das ist doch eine ...", setzt sie an. Ludwig leidet an Demenz, da stockt die Sprache schon mal. Mit der Hand fährt sie der Robbe über das Synthetikfell. Paro fiept, wackelt mit den Hinterflossen und richtet seine schwarzen Plastikaugen auf Martha Ludwig. Der fehlen immer noch die Worte. Aber sie strahlt über das ganze Gesicht.

Ist das nun dem possierlichen Auftreten des Plüschtiers oder der Freundlichkeit der jungen Therapeutin geschuldet? Niemand kann das mit Gewissheit sagen, aber Meyer ist überzeugt: "Paro ist wie ein Türöffner. Wir kommen mit Bewohnern in Kontakt, die wir sonst nicht erreichen." Demenzkranken etwa oder Senioren, die Gesellschaft scheuen.

Große Erwartungen an Pflege-Roboter

Die Computerrobbe aus Japan, zurzeit in rund 100 deutschen Heimen im Einsatz, bildet so etwas wie die Vorhut unter den Robotern mit Pflegeauftrag. Unter dem Schlagwort Pflege 4.0 setzen Forschung und Politik große Erwartungen in die intelligenten Helfer: Roboter sollen Senioren zu mehr Selbstständigkeit verhelfen, pflegende Angehörige entlasten und Pflegeprofis mehr Zeit für Fürsorge schenken. Was ist dran an diesen Versprechen?

Am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart tüftelt man schon seit den späten 1990er-Jahren an Lösungen für die Pflege. Zu den Vorzeigeprojekten zählt die leitende Ingenieurin Dr. Birgit Graf einen Roboter, der bereits erste Testläufe in Pflegeheimen mit Bravour absolviert hat. Er erinnert an eine aufgehübschte Tanksäule auf Rädern, an der statt eines Schlauchs ein Stahlarm hängt. "Ein künstlicher Butler", sagt Graf. "Er bringt zum Beispiel Snacks, Getränke, Zeitschriften." Beim Bedienen prägt sich der gute Geist die Gesichter der Bewohner ein – und spricht diese über einen Bildschirm persönlich an. 

Weibliche Roboter bevorzugt

Der Fraunhofer-Assistent misst rund anderthalb Meter. Viel größer sollte er auch nicht sein, um keine Furcht einzuflößen, meint Birgit Lugrin. Die Informatik-Professorin von der Universität Würzburg treibt die Frage um, wie ein Roboter beschaffen sein muss, damit man ihn als Freund und Helfer annimmt.

"Senioren erwarten in der Ansprache eine gewisse förmliche Höflichkeit", sagt Lugrin. Sie wählte für die elektronische Perle in ihren Experimenten den Namen Anna. "Wir wissen aus Studien, dass weiblich anmutende Roboter bevorzugt werden. Da schlägt auch das Klischee durch, dass Pflege Frauensache ist." Ein Roboter sollte ein Mienenspiel haben und Augen – auf keinen Fall aber darf er dem Menschen zum Verwechseln ähnlich sehen, "sonst wird’s gruselig".

Diese Gefahr besteht bei Lugrins aktuellem Versuchsroboter nicht. Das aus Frankreich stammende Modell könnte einem Micky-Maus-Film entsprungen sein. Kniehoch und mit Gummihaut kann es zwar nicht zupacken, aber Senioren, die allein leben, als treuer Gefährte dienen, an die Einnahme der Arzneien erinnern oder bei Sonne einen Spaziergang vorschlagen. Mithilfe seiner Kameraaugen könnte er dem Besitzer auch die Stimmung vom Gesicht ablesen – und darauf reagieren.

Filme bestimmen unser Bild von Robotern

Noch fremdeln Senioren etwas mit Schwester Roboter. Knapp 64 Prozent der ab 60-Jährigen empfinden den Einsatz von Robotern zur Pflege von Menschen gar als unwürdig – bei den unter 30-Jährigen sagen dies nur 46 Prozent. Das fand die GfK Marktforschung im Auftrag des Senioren Ratgeber heraus. "Man denkt an Roboter im Film, und die sind selten freundlich", sagt Lugrin. Haben ältere Menschen die Technik aber einmal kennengelernt, wendet sich das Blatt rasch, beobachtet die Informatikerin.

Überraschend ist für die Forscher, dass auch demenzkranke Menschen leicht Zutrauen zu den Helfern mit Elektronikhirn fassen. Woran das liegt, ist unklar, aber Ingenieurin Birgit Graf hat eine Vermutung: "Die Roboter sind gleichbleibend freundlich und geduldig – egal wen sie vor sich haben." Außerdem erweckten sie nicht den Eindruck, ihr Gegenüber dirigieren zu wollen.

Technik darf menschliche Zuwendung nicht ersetzen

Auch eine laufende Studie der Berliner Charité mit handelsüblichen Taschencomputern – Tablets – in den Heimen der Hauptstadt zeigt, wie wenig Berührungsängste Demenzkranke gegenüber moderner Technik haben, "obwohl kaum einer unserer Teilnehmer je zuvor so ein Gerät in der Hand hatte", wie Forscherin Julie O’Sullivan sagt. Ausgerüstet sind die Computer unter anderem mit speziellen Quiz- und Spielprogrammen.

Aber wie viel Technik und Automatik verträgt die Pflege? Der Osnabrücker Pflegeforscher Professor Hartmut Remmers hat für den Deutschen Bundestag nach Antworten gesucht. Sein Fazit: "Okay ist alles, was die Pflege erleichtert, etwa beim Transport. Ethisch problematisch wird es, wenn die Technik an die Stelle der persönlichen Zuwendung tritt." So steht auch die Computerrobbe Paro durchaus in der Kritik – nicht wenige Heime in Deutschland lehnen die belebten Plüschtiere ab.

Viele Tätigkeiten sind für Maschinen zu anspruchsvoll

Ingenieure sehen ebenfalls die Grenzen der Technik. "Der Roboter mit dem Waschlappen in der Hand ist noch ganz weit weg", meint Birgit Graf. Zu kompliziert ist die Aufgabe, einen Menschen zu pflegen – viel anspruchsvoller, als im Autobau Karosserieteile zu verschweißen, was heute meist Kollege Roboter übernimmt. Darüber hinaus muss auf ein Gerät, das Kranke versorgt, zu 100 Prozent Verlass sein. 

Nach wenigen Minuten im Dienst schließt Paro die Augen. "Der Akku ist alle", mutmaßt Therapeutin Carla Meyer. Doch es ist nur ein kurzer Aussetzer. Paro quiekst wieder.