„Wir müssen von Tag zu Tag schauen“
„Eigentlich hätte ich heute frei, aber vorhin hat das Krankenhaus angerufen. Also werde ich heute Nachmittag arbeiten. Was bleibt mir auch anderes übrig? Meine Kolleginnen und Kollegen brauchen meine Unterstützung. Als Anästhesie-Intensivkraft rotiere ich zwischen diesen beiden Abteilungen.
Wenn ich auf die Intensivstation komme, findet erstmal die Übergabe statt. Die Kollegen, die vorher Dienst hatten, berichten: Was haben die Patienten, wie lange sind sie schon da, worauf ist zu achten? Nachdem die Informationen ausgetauscht sind, die für alle wichtig sind, teilen wir uns die Patienten auf. Alte und neue Schicht gehen gemeinsam hin und sprechen nochmals detailliert über die jeweiligen Personen. Pandemiebedingt findet das derzeit nicht im Zimmer, sondern auf dem Flur statt. Klar geht es da immer hektisch zu, aber so viel Zeit muss einfach sein. Insbesondere, wenn es Neuzugänge gibt.
Ist der Patient oder die Patientin ansprechbar, gehe ich kurz rein und stelle mich vor. Dann überprüfe ich: Funktionieren die Geräte, ist alles richtig eingestellt? Wird alles so gemacht, wie es die Ärzte angeordnet haben? Dann müssen wir schauen, was ansteht: Welche Medikamente sind wann zu geben? Muss der Patient gedreht werden? Bei einer Person über 100 Kilogramm ist das ein Kraftakt. Wenn möglich, machen wir das gleich bei der Übergabe, wenn mehr Pflegekräfte da sind. Und wir beziehen auch die Ärzte mit ein. Man muss schon sagen: Die meisten unserer Covid-Patienten sind übergewichtig.
Kraftakt für Pflegekräfte
Normalerweise betreut eine Pflegekraft im Tagdienst zwei Patienten, in der Nachtschicht zweieinhalb. Diese Grenze war letztes Jahr eine Zeit lang ausgesetzt. Jetzt versuchen wir, sie wieder einzuhalten. Aber das ist nicht immer möglich. Vor etwa zwei Wochen hatten wir hier einen Corona-Ausbruch: Auf einer Station waren fünf Pflegekräfte infiziert, die sind zum Teil immer noch in Quarantäne. Die betroffene Station musste vorübergehend schließen. Dorthin kommen die Patienten normalerweise nach der Intensivstation. Insofern hat sich das auch auf uns ausgewirkt: Wir konnten die Patienten nicht verlegen, die haben sich bei uns gestaut. Da waren wir echt am Anschlag. Es gibt ja nicht nur Covid, wir müssen auch andere Patienten versorgen, beispielsweise solche, die eine Herz-OP hatten. Selbst das Notbett, dass wir normalerweise freihalten, haben wir belegt. Zum Glück haben wir dann noch Personal von der betroffenen Station bekommen. Die mussten bei uns aushelfen, sonst hätten wir das nicht geschafft.
Wir sind eine recht kleine Klinik, schwerkranke Patienten verlegen wir normalerweise in ein größeres Haus. Mittlerweile kommen die beatmeten Patienten zu uns, das finde ich schon krass. Wir haben keine ECMO. (Anm. der Red.: extrakorporale Membranoxygenierung, das ist ein Gerät, das das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff versorgt, wenn die Lunge es nicht mehr schafft.) Und das ist ja auch kein Allheilmittel. Wenn jemand mal drei Wochen daliegt und die Sauerstoffsättigung ist bei 70 bis 80 Prozent, dann geht es dem Ende zu. Der Zustand wird nicht besser, sondern schlechter, obwohl du wirklich alles versuchst. Das ist schwer mitanzusehen, es gibt wenig Erfolgserlebnisse. Und man kann die Patienten dann auch nicht mehr verlegen. Die Jüngeren kriegen wir eher noch unter, erst kürzlich wurde einer in ein anderes Bundesland ausgeflogen. Der jüngste Covid-Patient, den wir hatten, war 35 Jahre. Der Schnitt liegt hier momentan um die 60 Jahre.
Es gibt Tage, da geht es recht gut und dann bricht wieder das totale Chaos aus. Zwischenzeitlich hatten wir sieben Covid-Patienten auf Intensiv. Da waren wir echt am Limit. Nachdem der eine Covid-Patient verlegt wurde, hatten wir wieder ein bisschen Luft, außerdem ist auch einer gestorben. Wie es heute aussieht, weiß ich nicht. Wir müssen von Tag zu Tag schauen.
Zusammenarbeit über Funk
Der Aufwand ist momentan um einiges höher als zu Nicht-Pandemiezeiten. Die Patienten sind größtenteils einzeln isoliert. Da gehe ich nur in kompletter Schutzmontur (FFP3-Maske, Schutzbrille, Schutzschild, -kittel, lange Handschuhe) rein. Wenn ich etwas aus dem Medikamentenlager holen will, muss ich mich also komplett aus- und dann wieder anziehen. Weil das enorm umständlich ist, arbeiten wir mit Funkgeräten. Wenn ich etwas brauche, funke ich einen Kollegen oder eine Kollegin an, der oder die richtet das her und gibt es mir über die Schleuse rein. Das funktioniert gut. Aber wenn es vier oder fünf Isolierzimmer sind, hat die Person draußen schon recht viel zu tun.
Am schlimmsten finde ich es, wenn ich merke, dass ich meine Arbeit nicht mehr richtig machen kann. Ich springe von einem zum anderen Patienten. Als stellvertretende Pflegeleitung habe ich zudem die Aufgabe, die Dienste zu organisieren. Ich bekomme beispielsweise den Anruf: Kollege X ist krank. Dann muss ich ins Büro und Dienstpläne wälzen. Gleichzeitig habe ich Patienten zu versorgen. Auch emotional ist das alles sehr anstrengend. Ich bin bei den Schwerkranken im Zimmer, keiner darf sie besuchen. Die Familie schickt Bilder, manche Angehörige rufen ziemlich oft an. Ist ja klar, die wollen schließlich wissen, was los ist. Aber das Telefon ist schon etwas, was uns teilweise sehr stresst.
Man hilft zusammen, so gut es geht. Trotzdem kann so eine Schicht extrem anstrengend sein. Auch wegen der der Schutzkleidung. Darunter schwitzt man sehr. Am Sonntag habe ich mich dreimal umziehen müssen, weil ich so durchnässt war. Ich möchte mich nicht beschweren, schließlich habe ich mir diesen Beruf ausgesucht. Ich sehe das als Herausforderung und auch als Chance, zu zeigen, was ich gelernt habe. Aber ich finde es schade, dass so wenige diesen Beruf ergreifen wollen. Wären wir mehr Leute, könnten wir das Ganze besser stemmen und es wäre für den Einzelnen nicht ganz so belastend.“