Zittern: Was dahinter stecken kann
"Es ging an der rechten Hand los", erzählt Josef K. aus Nellingen. "Sie fing beim Schreiben derart an zu zittern, dass meine Schrift kaum noch leserlich war." Gerade seinen Kollegen gegenüber wollte der damals noch berufstätige Schwabe sein Handicap aber verbergen. "Ich versuchte von da an, mehr zu sprechen als zu schreiben. Was geradezu absurd ist in einem Büro." Grund für den heute 74-Jährigen, vorzeitig in Rente zu gehen und viele Handgriffe auf links zu verlegen.
Wie Josef K. geht es vielen Älteren, wenn sie eine Tasse an den Mund führen oder eine Tomate zerschneiden wollen: Alltägliche Unterfangen werden buchstäblich zu einer Zitterpartie. "Essenzieller Tremor" nennen Ärzte diese auch als Alterszittern bezeichnete Bewegungsstörung, die sich bei ungefähr fünf Prozent der über 65-Jährigen schleichend einstellt.
Da es neben dieser Form noch viele andere Gründe für das lästige, teilweise auch sehr störende Gliederflattern gibt, sollte jeder, der sich im Alltag eingeschränkt fühlt oder eine Krankheit befürchtet, zunächst den Hausarzt aufsuchen. Dieser kann den Betroffenen dann bei Bedarf und zur genaueren Abklärung zum Neurologen überweisen. "Wie stark Ihre Hand wackelt, ob sie sich vor allem in Ruhe oder eher beim Halten eines Gegenstands bewegt, ob auch ein Bein oder Ihre Stimme mitzittert, entscheidet darüber, ob und wie behandelt werden muss", weiß Professor Stephan Klebe, Neurologe in Essen.
Zittern vor Kälte oder Aufregung
Der erste Kuss, die Rede vor der Hochzeitsgesellschaft, das Warten in der Kälte: Wem dabei die Knie schlottern, das Blatt Papier in der Hand wackelt oder die Zähne klappern, der reagiert erst einmal völlig normal. "Der Grund für das vorübergehende Zittern ist das Adrenalin", erklärt Nervenspezialist Klebe. "Das unwillkürliche Zusammenziehen verschiedener Muskeln ist in diesem Fall stressbedingt und natürlich." Und das kennt jeder – ob jung oder alt. Sobald man sich beruhigt oder sich im Warmen entspannt, ist auch das Zittern wieder verschwunden.
Doch was ist los, wenn es bleibt? "Habe ich etwa einen Parkinson?", fragen sich dann viele Betroffene ängstlich, so auch jene Patienten, die die Sprechstunde von Professor Matthias Reinhard im Esslinger Klinikum aufsuchen. In den meisten Fällen kann ihnen der Neurologe zumindest diese Sorge nehmen. "Zittern kann allerdings auch Ausdruck einer Stoffwechselstörung oder anderer organischer Krankheiten sein", betont der Esslinger Neurologe.
Liegt es an der Schilddrüse?
Verschiedene Tests und Laboruntersuchungen decken bei jedem zehnten zitternden Patienten über 50 Jahre eine Schildddrüsenüberfunktion oder ein Nierenleiden auf, einen Vitaminmangel oder eine Nervenstörung aufgrund eines Diabetes. "Auch bestimmte Medikamente wie etwa spezielle Antidepressiva oder Mittel gegen Epilepsie können dafür verantwortlich sein", erklärt Reinhard. "Selbst einige Antibiotika lassen Hände erzittern."
Sobald die Krankheit aber behandelt ist, die Mängel beseitigt, die Medikamente identifiziert und ausgetauscht sind, ist man meist auch das Zittern los. "Schon aus diesem Grund sollte man den Gang zum Hausarzt nicht scheuen", empfiehlt Neurologe Klebe. "Denn sollte Ihr Zittern lediglich das Begleitsymptom einer anderen Krankheit sein, lässt sich das Problem recht schnell beheben."
Sollte sich dagegen der Verdacht auf ein Parkinsonsyndrom bestätigen, ist es gut, wenn eine neurologische Behandlung dieser fortschreitenden Nervenzellerkrankung so früh wie möglich beginnt.
Auch Josef K. gab sich einen Ruck und ging zu einem Facharzt nach Esslingen. "Mein Zittern an der rechten Hand war zwar langsam, aber doch von Jahr zu Jahr stärker geworden und später auch auf die linke übergegangen." Nicht nur zu schreiben, auch aus einem Glas zu trinken oder Spaghetti auf die Gabel zu nehmen bereitete ihm Mühe. Da sein Vater im Alter an Parkinson erkrankt war, befürchtete er das Schlimmste.
Doch er hatte sich grundlos gesorgt: Bei Josef K. sprachen Art, Stärke und Dauer der Beschwerden für jene altersbedingte Form, die beim Halten von Gegenständen oder bei gezielten Handgriffen zutage tritt. Ein Tremor, hinter dem keine erkennbare Ursache steckt. "Kein körperliches Leiden, kein Medikament ist für das Alterszittern verantwortlich, und es hat auch nichts mit Alkohol zu tun", erklärt Professor Stephan Klebe.
Medikamente gegen das Zittern
Trotzdem ist es nicht weniger lästig. Denn wer nicht mehr die Tabletten aus der Verblisterung zu drücken vermag, wer sich kaum noch in der Öffentlichkeit zu essen traut, dessen Alltag ist empfindlich eingeschränkt. Zudem kann sich der altersbedingte Tremor auch am Kopf, am Unterkiefer oder in der Stimme bemerkbar machen. "Sobald der Leidensdruck der Patienten zunimmt, sind Medikamente angesagt", erklärt Reinhard.
Infrage kommen Arzneien, die normalerweise bei anderen Krankheiten eingesetzt werden: etwa Herzmittel wie Betablocker, manchmal auch Barbiturate, also Schlafmittel, oder Mittel gegen Epilepsie. "Der eine Patient spricht auf das eine gut an, der andere auf ein anderes", gibt Matthias Reinhard zu bedenken. "Es ist ein Ausprobieren, das Geduld erfordert."
Bei ungefähr der Hälfte aller Patienten schlägt die medikamentöse Behandlung dann auch an: Ihre Beschwerden werden zumindest gelindert. Operative Therapien, wie etwa ein Hirnschrittmacher, der elektrische Impulse ins Hirn schickt und vor allem Parkinsonpatienten eingepflanzt wird, kommen dagegen nur bei extremen Fällen infrage.
Alkohol liefert Hinweise auf Tremorart
Auch bei Josef K. halfen die Medikamente zunächst gut, inzwischen sind die Symptome aber wieder da. "Offenbar hat sich mein Körper an die Arznei gewöhnt", so die Erklärung des 74-Jährigen. Und noch etwas anderes hat er herausgefunden: Sein Zittern wurde nach ein paar Schluck Bier zwar spürbar besser, die Ruhe hielt aber nicht sehr lange an. "Das ist in der Tat eine Besonderheit dieser Tremorart", bestätigt Neurologe Reinhard. "Bei ungefähr der Hälfte der Patienten mit Alterszittern verbessern zwar schon geringe Mengen Alkohol zunächst die Beschwerden. Sie kehren aber bald darauf umso stärker zurück."
Wenn der Arzt also fragt, ob das Zittern nach einem Glas Wein verschwindet, dient das allein der Diagnose – und stellt auf keinen Fall einen Therapievorschlag dar. Seit Josef K. weiß, dass seine Erkrankung zwar nicht mehr verschwindet, letztlich aber harmlos ist, geht er offener damit um. "Anfangs habe ich niemandem davon erzählt. Es verbergen zu wollen war aber schlimmer."
Mit dem Zittern leben lernen
Sein Bekanntenkreis weiß inzwischen Bescheid, Josef K.s Leben ist dadurch leichter geworden. "Die meisten reagierten sehr positiv und meinten, ich solle mir mal keine Sorgen machen. Es sei halt so, wie es ist." Seither kann er wieder mit seinen Freunden ausgehen, zusammen Fußball gucken und dabei statt aus einem Glas besser aus der Flasche trinken oder beim Essen anstelle der Gabel den Löffel benutzen. "Man lernt mit der Zeit, sich im Alltag mit den einfachsten Tricks zu behelfen."