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Manche Patient:innen mit chronischer Nierenerkrankung können auch ohne Blutwäsche, Dialyse genannt, überleben. In welchen Fällen Patient:innen nicht darum herumkommen und wann es eventuell ohne geht, erklärt Professorin Dr. Sibylle von Vietinghoff, Fachärztin für Innere Medizin und Gesamtleitung Nephrologie am Universitätsklinikum Bonn.

Frau Professorin von Vietinghoff, kürzlich hat eine Studie gezeigt, dass ein Teil der Patienten mit chronischem Nierenversagen, von denen man bisher dachte, dass sie eine Dialyse bräuchten, auch ohne auskommen kann. Gibt es für sie ein Leben ohne Dialyse?

Diese Studie fasst vorangegangene Beobachtungen zusammen. Sie zeigt, dass sich auch in fortgeschrittenen Stadien des Nierenversagens die Nierenfunktion stabilisieren kann. In diesem Fall wurde eine maschinelle Nierenersatztherapie bei manchen Patient:innen über Monate oder sogar Jahre nicht notwendig. Allerdings zeigte sich in dieser Gruppe auch eine größere Zahl von Notfällen, wenn noch keine Dialyse durchgeführt wurde.

Was gibt es denn für Möglichkeiten, ein chronisches Nierenversagen anders als mit Dialyse zu behandeln?

Eine maschinelle Therapie ist nie das einzige Mittel, um die Nierenfunktion zu ersetzen. Dazu gehören eine Reihe an Verhaltens- und medikamentösen Maßnahmen. Die Nierenärzt:innen setzen sie weit vor Beginn einer Nierenersatztherapie ein. Ganz zentral ist natürlich die gezielte Therapie der Nierenkrankheit, die die Nierenfunktion so schlecht hat werden lassen. Dies kann häufig die Nierenfunktion in einem Stadium stabilisieren, in dem eine Dialyse nicht notwendig ist. Allerdings ist es nicht in allen Fällen möglich.

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Nierenversagen und Nierenschwäche

Akutes Nierenversagen tritt plötzlich auf. Eine chronische Nierenschwäche (Niereninsuffizienz) entwickelt sich allmählich. Mehr zu Ursachen, Symptomen und Therapie. zum Artikel

Welche Möglichkeiten gibt es noch?

Parallel dazu können viele Funktionen der Nieren durch Medikamente unterstützt oder sogar ersetzt werden. Dazu gehören die Ausscheidung von Wasser, Säuren und Salzen, die Blutdruckregulation. Aber auch die Produktion lebenswichtiger Hormone zur Blutbildung und für den Knochenstoffwechsel wie das aktive Vitamin D. All diese Faktoren sind wichtig für Patient:innen mit fortgeschrittener Nierenschwäche, unabhängig von einer Dialysetherapie.

Bei welchen Patienten bietet sich denn eine Behandlung ohne Dialyse überhaupt an?

Aus ärztlicher Sicht ist es zentral abzuschätzen, ob eine Dialysetherapie das Leben der Patient:innen absehbar verlängern wird. Dies ist zum Beispiel bei hochbetagten Patienten mit vielen schweren Vorerkrankungen manchmal nicht anzunehmen. Allerdings: Für fast jeden Patienten kann es sinnvoll sein, bei einer akuten und absehbar heilbaren Erkrankung eine Dialysetherapie zu beginnen. Wenn aber sehr viele, schon an sich lebensbedrohliche Erkrankungen vorliegen, kann eine Dialyse auch eine zusätzliche Belastung werden. Eine solche Entscheidung muss man immer wieder kritisch hinterfragen.

Haben Sie einmal ein konkretes Beispiel, wo Sie von einer Dialyse abraten würden?

Häufig tritt ein Nierenversagen im unmittelbaren Sterbeprozess auf, ist also nicht Ausdruck einer eigenen Nierenerkrankung. Dies ist eine Situation, in der eine Dialyse nicht hilfreich ist. Manchmal entwickelt es sich etwas langsamer, aber auf dem Boden schwerer Vorerkrankungen, wie einem nicht behandelbaren Herz- oder Leberversagen. Wenn es keine Möglichkeiten gibt, diese Erkrankungen zu stabilisieren, muss man sehr genau überlegen, ob eine Dialysebehandlung im Sinne des Patienten ist.

Wann kommt man um eine Dialyse nicht herum?

Ein schweres Nierenversagen ist eine lebensbedrohliche Situation. Wir sind froh, dass es Maschinen gibt, die dieses Organ ersetzen können. Herzrhythmusstörungen, Wasseransammlungen in der Lunge oder schwere Harnvergiftungen lassen sich mit der Dialysemaschine sehr gut beheben. Das sind nicht selten Notfälle, die zunächst auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Die Patient:innen sind anfangs bewusstseinsgestört oder sogar bewusstlos.

Inwiefern spielen denn die Wünsche der Patient:innen eine Rolle?

Bei jeder Form der Nierenersatztherapie ist es zentral, auf die Wünsche der Patient:innen einzugehen. Dass sie wirklich keine Dialyse wollen, ist sehr selten. Es kommt vor allem bei sehr alten Patient:innen vor. Ausführliche Gespräche mit Patient:innen und meist auch den Angehörigen helfen, eine angemessene Entscheidung zu treffen.

Was besprechen Sie mit den Patient:innen?

Die Behandlung hat das Ziel, das Leben der Patient:innen zu stützen. Die Dialysetherapie macht nicht gesund, aber sie ermöglicht ein Leben ohne Nieren, oft über viele Jahre. Allerdings kann sie auch belastend sein. Das ist im Einzelfall sehr unterschiedlich. Manche Menschen haben trotz Nierenversagen eine hohe Lebensqualität, ein aktives soziales Umfeld und klare Ziele. Auch ein 90-Jähriger kann mit dem Ziel, die Konfirmation des Enkels oder das erste Urenkelkind zu erleben, eine anstrengende Behandlung wie die Dialyse gern in Kauf nehmen. Während vielleicht schwer belastete Jüngere viel zurückhaltender sind. Letztlich beraten wir als Ärzt:innen im Sinne des Weiterlebens.

Professorin Sybille von Vietinghoff leitet die Nephrologie am Universitätsklinikum Bonn

Professorin Sybille von Vietinghoff leitet die Nephrologie am Universitätsklinikum Bonn

Ändern sich die Patientenwünsche im Laufe der Zeit?

Das kommt immer wieder vor. Es ist auch wichtig, dies mit den Patient:innen zu besprechen, so dass man auf sich ändernde Umstände reagieren kann. Es gibt solche, die zunächst Vorbehalte gegenüber der Dialyse haben. Sie kennen vielleicht Menschen im Bekanntenkreis, für die die Dialyse anstrengend ist. Aber dann ändert sich ihre Wahrnehmung, weil sie mehr über die Dialyse erfahren. Oder es gibt Patient:innen, die wollen eigentlich keine Dialyse. Aber in einer lebensbedrohlichen Situation ist eine Behandlung dann manchmal doch der Weg, für den der Patient hinterher dankbar ist.