Logo der Apotheken Umschau

Dass Bewegung gesund ist, ist seit langem belegt. So gibt es zahlreiche Studien, die die schützende Wirkung vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Krebs aufzeigen. „Unser Organismus ist auf Aktivität ausgelegt“, fasst Wilhelm Bloch, Professor für Sportmedizin vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln die positiven Effekte körperlicher Bewegung zusammen.

Auch, wenn wir beispielsweise mehr am Schreibtisch sitzen und immer weniger aktiv sind: Viele biologischen Systeme brauchen diesen Stimulus weiterhin. Das Herz-Kreislauf-System zum Beispiel. Bloch: „Die Gefäße profitieren salopp gesagt von einem gewissen Durchfluss: Wo mehr durch die Leitungen gepumpt wird, wird die Innenauskleidung des Gefäßes trainiert.“ Weil Gefäße praktisch überall im Körper sind, ist die  Auswirkung  von Bewegung auf das Herz-Kreislauf- System zentral.

US-Studie mit fast 50.000 Menschen

Unlängst ließ eine US-Studie aufhorchen, die dem Sport sogar eine gewisse Schutzfunktion vor schweren Covid-19 Verläufen zuschreibt: Ein kalifornisches Forscherteam hat die Daten von fast 50.000 Menschen ausgewertet, die seit längerem regelmäßig zu ihrer sportlichen Aktivität befragt worden und zuletzt an Covid-19 erkrankt waren. Fazit: Schon knappe 30 Minuten Bewegung am Tag scheinen die Wahrscheinlichkeit für einen  schweren Covid-19-Verlauf, den Aufenthalt auf einer Intensivstation und den Tod durch die Infektion senken zu können.

Konkret war das Risiko inaktiver Patienten, wegen Covid-19 in die Klinik zu kommen, mehr als doppelt so hoch wie das derjenigen, die sich regelmäßig mehr als 150 Minuten in der Woche bewegt hatten. Das Risiko, an der Infektion mit dem Corona-Virus zu versterben, war sogar 2,5 mal höher. Die Autoren der Studie zeigten sich selbst überrascht. Man habe mit einem Zusammenhang gerechnet, nicht aber, dass dieser so deutlich sei.

Tatsächliche ursächliche Zusammenhänge hinterfragen

Auch Philipp Zimmer, Professor für Leistung und Gesundheit am Institut für Sport und Sportwissenschaft der TU Dortmund, der sich vorwiegend mit dem Einfluss von Sport auf das Immunsystem beschäftigt, findet die Ergebnisse bemerkenswert. Schon zuvor sei gern euphorisch über die schützenden Effekte von Sport in Zusammenhang mit Covid-19 berichtet worden. Belastbare Studien existierten bislang aber nicht.

„Diese Untersuchung liefert einen ersten wichtigen Anhaltspunkt,“ so Zimmer. Trotzdem handelt es sich um eine Beobachtungsstudie, die letztlich keine tiefgreifende Aussage über einen ursächlichen Zusammenhang zulässt. Beobachtungsstudien lassen nach Auffassung des Wissenschaftlers stets eine Reihe von Spielräumen. Hat es wirklich mit der Bewegung zu tun, wenn Sportler seltener an Covid-19, Krebs oder Diabetes erkranken? Oder liegt es daran, dass sie insgesamt gesundheitsbewusster leben, weniger rauchen, auf eine ausgewogene Ernährung achten?

Andere mögliche Risikofaktoren wurden in Studie berücksichtigt

Schein-Kausalitäten – „in Deutschland korreliert auch die Schuhgröße mit dem Einkommen, ohne dass hier ein tatsächlicher Zusammenhang besteht“ – sind bei den aktuellen Erhebungen ausgeschlossen, stellt Zimmer mit Blick auf die kalifornischen Daten klar. Bei den Ergebnissen sind Risikofaktoren für Covid-19, die das Ergebnis verfälschen könnten wie Alter, Übergewicht, Rauchen sowie verschiedene Vorerkrankungen berücksichtigt.

Ob die positiven Effekte von körperlicher Aktivität auf den Verlauf der Infektion mit einer Aktivierung des Immunsystems zu begründen sind, ist noch nicht geklärt. Eine Reihe von bekannten Effekten könnte zumindest beteiligt sein. „Bewegung führt zu Anpassungen im Immunsystem, das konnten wir und andere Arbeitsgruppen im Rahmen zahlreicher Untersuchungen zeigen“, sagt Prof. Zimmer.

Bewegung trainiert Abwehrzellen

Wenn wir körperlich aktiv sind, kann sich unsere körpereigene Virus-Polizei – natürliche Killerzellen und andere Abwehrzellen – besser und schneller im Körper bewegen. „Es ist, als würde die Polizei ein PS-stärkeres Auto bekommen, als könnten damit entsprechend mehr Kontrollen durchgeführt werden“, so der Wissenschaftler, „Ausweiskontrollen sozusagen.“

Hintergrund: Infizierte Zellen haben aufgrund ihrer veränderten Biologie, ähnlich wie Tumorzellen, häufig „keinen Ausweis“ dabei.  „Wer kontrolliert wird und keinen Ausweis vorzeigen kann, kriegt von der Polizei einen auf den Deckel.“ An dieser Stelle hat die durch Sport „fit gemachte“ Virus-Polizei neben dem PS-stärkeren Auto noch einen weiteren Vorteil: „Sie ist sozusagen mit großen Knüppeln ausgestattet, die diese infizierten Zellen besser unschädlich machen können“, sagt Zimmer.

Übergewicht führt zu Entzündungsreaktionen

Für den Sportmediziner Wilhelm Bloch reihen sich die aktuellen Ergebnisse über weniger schwere Covid-19 Verläufe auch in bisherige Erkenntnisse über antientzündliche Effekte von Bewegung ein. Diese seien vor allem für Menschen im höheren Lebensalter und für solche mit Übergewicht von Bedeutung. Hintergrund: Beide Gruppen haben im Zusammenhang mit Covid-19 ein stark erhöhtes Risiko für schwere Verläufe, möglicherweise weil bei ihnen heftige Entzündungsreaktionen des gesamten Organismus begünstigt werden , der so genannte „Zytokinsturm“.

„Aber nicht nur in diesem speziellen Fall, auch ganz generell neigen übergewichtige und ältere Menschen zu chronischen Entzündungsreaktionen. Fett, so der Sportwissenschaftler, ist einen „Treiber für Entzündungen“. Da bestimmte Umbauprozesse – die Muskelmasse nimmt ab, die Fettmasse zu – im Laufe des Lebens normal sind, sind im höheren Alter mitunter auch Normalgewichtige betroffen.

Der Einfluss von Sport auf das Immunsystem

Phillipp Zimmer vergleicht die Wirkung des Trainings auf das Immunsystem vereinfacht mit der Wirkung eines schweren Gewichts auf einen Muskel: Kurzfristig wird dieser durch die Belastung strapaziert und sogar geschädigt. In der Erholungsphase aber regeneriert und wächst er.

Sport macht verschiedene Gewebe und Organsysteme stressresistent, so bringen Wilhelm Bloch und Pillipp Zimmer das komplexe Geschehen auf den Punkt. Doch Vorsicht, mahnen beide: Auch wenn Sport auf diese Weise, schweren Covid-19-Verläufen vorbeugen  kann, bedeutet das nicht, dass sportliche Menschen nicht schwer erkranken können.

Anfangen lohnt sich immer

Richtig ist: „Wer übergewichtig ist und anfängt, Sport zu treiben, verbessert seine Chancen auf einen leichteren Infektionsverlauf auch dann, wenn die Kilozahl auf der Waage zunächst weiter konstant bleibt. Das zeigen die aktuellen Daten eindrucksvoll.“, sagt Philipp Zimmer. Für den Wissenschaftler ist das eine wichtige Botschaft, gerade für die, die sagen: Abnehmen lohnt in meinem Fall nicht, das dauert zu lang. „Tut es doch - immer“, stellt er klar.

Und wie genau soll man sich am besten bewegen, um in den Genuss eines möglichst optimalen Schutzes zu kommen? Die Angst vor einem Zuviel an Bewegung ist in den allermeisten Fällen unbegründet, wissen Sportmediziner. „Selbst Hobbymarathonläufer haben durch die Stimulation über die Bewegung an sich kein höheres Infektrisiko“, weiß Phillip Zimmer. Nur bei denen, die wirklich extrem hart trainierten, trete dieser Effekt auf.

Neulinge sollten sich vor Sportstart untersuchen lassen

Sport-Neulingen und denen, die schon jahrelang nichts mehr gemacht haben, Menschen ab 50 oder mit Vorerkrankungen empfiehlt Wilhelm Bloch, sich sportmedizinisch untersuchen zu lassen, bevor sie loslegen. Der Arzt oder die Ärztin kann auch zu individuell geeigneten Sportarten und der richtigen Intensität beraten. Und dann: „Tasten Sie sich ran, variieren Sie mit Belastungsintervallen, haben Sie stets im Blick, wie es Ihnen geht.“ Moderat, diesen Begriff hört man häufig. „Nach allem, was wir wissen, muss jedoch eine bestimmte Belastungsintensität erreicht sein, um einen guten Stimulus zu haben“, sagt Wilhelm Bloch.

Ein wichtiger Punkt ist der Muskelaufbau, und der droht beim moderaten Training teilweise zu kurz zu kommen. Ideal ist eine Kombination aus Kraft- und Ausdauersport. „Beim Joggen erreiche ich das, wenn ich zum Beispiel Steigungen einbaue“, so Bloch, der selbst ein passionierter Läufer ist. „Aber dann laufe ich locker weiter, gönne dem Körper wieder Regeneration.“ Dieses „Spielen“ mit eingebauten „hochintensiven Intervallen“ würde von vielen Menschen als wohltuend empfunden, so der Wissenschaftler. So wird der Sport abwechslungsreicher. Zimmer ergänzt: „Jeder Schritt zählt – das ist richtig! Trotzdem erreicht man mit intensiveren, eventuell kürzeren Bewegungseinheiten mitunter deutlich größere biologische Anpassungen“.

Sport-Empfehlungen der WHO

Tatsächlich empfiehlt die WHO 150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive Bewegung pro Woche. Zusätzlich werden zwei Einheiten zur Muskelkräftigung empfohlen. Erhebungen des Robert Koch Institutes zeigen: 80 Prozent der Deutschen schaffen diese Richtlinie nicht. Mehr noch: Wer sich vor der Pandemie nur wenig bewegt hat, der tat es zuletzt oft noch weniger.

Auf welche Art von Bewegung hätten Sie Lust? Mit dieser Überlegung lassen sich Sportmuffel am ehesten locken, weiß Prof. Bloch. Denn mit ihr kommt nicht selten die Erkenntnis, dass Bewegung sehr viel vielfältiger ist als zunächst gedacht. Tanzen, Gartenarbeit, Hulla Hoop? „Das alles läuft unter körperliche Aktivität, um die es bei all unseren wissenschaftlichen Untersuchungen ja geht.“