Schulschließungen: Die Folgen für Jugendliche
Maskenpflicht ab der siebten Jahrgangsstufe. Zumindest auf diesen einen konkreten Punkt konnten sich die Bund-Länder-Vertreter bei ihrem Treffen am vergangenen Mittwoch einigen. Darüber hinaus fiel das, was die Politiker zur Eindämmung der Corona-Pandemie an Schulen einfiel, eher schwammig aus. Die Rede ist lediglich von "schulspezifischen" und "weitergehenden Maßnahmen" in Regionen, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz bei über 200 liegt, Corona also schon mächtig wütet. Gemeint ist damit zum Beispiel der sogenannte Hybrid- oder Wechselunterricht, bei dem ein Teil einer Klasse Zuhause und der andere in der Schule unterrichtet wird.
Kein Wunder, dass etwa der Chef des Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, die Beschlüsse kritisch sieht. Gegenüber der "Rheinischen Post" wies Meidinger auch darauf hin, dass der Inzidenz-Wert von 200 weit über dem Wert liege, ab dem das Robert-Koch-Institut (RKI) Maßnahmen wie den Wechselunterricht empfiehlt. Das RKI würde sich diese nämlich schon ab einer Inzidenz von 50 wünschen. Auch die Vorsitzende der Gewerkschaft Bildung und Wissenschaft, Marlis Tepe, kritisierte die Beschlüsse.
Homeschooling empfinden Schüler anstrengender
Dass sich die Politik davor scheut, eine größere Zahl von Schülern Zuhause unterrichten zu lassen, dafür gibt es sicher mehrere Gründe. Ein Aspekt aber dürften Erfahrungen und Erkenntnisse zu gesundheitlichen Folgen sein, die Wissenschaftler im vergangenen Lockdown sammeln konnten. So empfanden fast zwei Drittel der Elf- bis Siebzehnjährigen das Homeschooling damals als anstrengender als den Unterricht in der Schule. Das zeigt die sogenannte COPSY-Studie ("Corona und Psyche") des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Die Forscher hatten für die Untersuchung vom 26. Mai bis zum 10. Juni mehr als 1000 Kinder und Jugendliche sowie 1500 Eltern befragt.
Laut COPSY-Studie stieg der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit geminderter Lebensqualität in dieser Zeit von 15 auf 40 Prozent. Als belastend gaben viele Kinder und Jugendliche (39 Prozent) an, dass sich ihr Verhältnis zu Freunden wegen der Kontaktbeschränkungen verschlechtert habe. Das Risiko für psychische Auffälligkeiten stieg von rund 18 Prozent vor der Pandemie auf 30 Prozent Anfang Juni. "Einige Jugendliche haben gute Strategien, wie sie mit neuen Herausforderungen umgehen können", erklärt Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am LMU Klinikum München. "Wenn sie jedoch vorher bereits psychisch belastet waren, kommen sie oft gar nicht mehr zurecht." Viele ängstliche Jugendliche litten ihm zufolge unter extremen Zukunftssorgen, Depressive stürzten in eine tiefe Krise.
Trennung von Klassenkameraden ist belastend
Auch in einer Befragung der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Leipzig gaben viele Kinder und Jugendliche zwischen neun und 18 Jahren an, besorgt zu sein und unter der Trennung von ihren Klassenkameraden zu leiden. Ältere Teilnehmer machten sich Gedanken um ihre Noten und die Versetzung ins nächste Schuljahr. "Vielen geht es schlecht, wenn sie nicht in die Schule gehen können", sagt Professor Dr. Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Leiter der Studie.
Sowohl die Hamburger als auch die Leipziger Studie zeigt, dass nicht alle Jugendlichen gleich betroffen sind. Eine große Rolle spielt demnach der soziale Hintergrund: "Am meisten unter Schulschließungen leiden Jugendliche aus schlechten, beengten Wohnverhältnissen und aus Familien mit niedrigem Bildungsgrad und Einkommen, weil sie Zuhause oft weniger Unterstützung bekommen", berichtet Wieland Kiess.
Ebenfalls hart treffen die Maßnahmen alle Schüler, die eine spezielle Unterstützung benötigen. "Fünf bis sechs Prozent der Jugendlichen haben Lernstörungen", erklärt Gerd Schulte-Körne von der LMU München. "Wenn sie nicht in die Schule gehen, fehlt ihnen die individuelle Förderung. Zuhause verzweifeln sie an den Aufgaben, haben Angst nicht mehr mitzukommen. Sie sind massiv in ihrer Entwicklung bedroht."
Regeln für Mediennutzung wichtig
Sorgen bereitet Forschern, in welchem Ausmaß der Medienkonsum während des Lockdowns zugenommen hat. Laut einer Studie, die das UKE zusammen mit der DAK-Gesundheit veröffentlichte, stieg die Nutzungsdauer von Videospielen werktags von durchschnittlich 79 auf 139 Minuten. Mit sozialen Medien beschäftigten sich die untersuchten Zehn- bis 17-jährigen sogar 193 Minuten pro Tag (im Vergleich zu 116 Minuten vor dem Lockdown). "Viele Jugendliche haben Schlafstörungen, weil sie bis nachts an ihren Geräten hängen", erzählt Gerd Schulte-Körne. "Dadurch verschlechtert sich auf Dauer auch die Stimmung."
Der Jugendpsychiater rät Eltern, mit jüngeren Kindern klar abzusprechen, wann und wie Medien genutzt werden dürfen. Und öfter für Alternativen zu sorgen, zum Beispiel etwas gemeinsam zu unternehmen. Jugendlichen hingegen müsse man auch Autonomie zugestehen. "Viele können besser mit Medien umgehen, als Eltern denken", so Gerd Schulte-Körne. "Spätestens wenn sich der Tag-Nacht-Rhythmus umkehrt, brauchen sie jedoch professionelle Hilfe."
Treffen mit Freunden zulassen
Während der Pandemie blieben soziale Kontakte wichtig für die Entwicklung, besonders im Jugendalter, betont der Psychiater: "Wenn möglich, sollten Eltern Treffen mit Freunden zulassen." Daneben könne die Familie Halt geben: "Jugendliche wünschen sich in der Regel Unterstützung. Ziehen sie sich zurück, sollten Eltern das Gespräch anbieten und hinhorchen, ob sie etwas Bestimmtes belastet – oder die Pubertät dahintersteckt", so Gerd Schulte-Körne.
Und wenn Mutter oder Vater schroff zurückgewiesen werden? Der Sozialpädagoge Ulric Ritzer-Sachs von der bke-Onlineberatung für Jugendliche und Eltern macht Mut: "Nicht eingeschnappt sein, sondern einige Stunden später erneut fragen: ,Hast du jetzt Lust zu reden?’ Und für eine gemütliche Stimmung sorgen, zum Beispiel einen Kakao kochen."
Das Familienklima könnten Eltern auch verbessern, indem sie abends kurz resümierten, was ihnen im Umgang mit dem Jugendlichen gut gefallen habe, so der Erziehungsexperte: "Das können Kleinigkeiten sein, wie: ,Heute morgen hast Du richtig schön gelächelt’. Oder: ,Du hast vorhin einfach die Spülmaschine ausgeräumt, wie toll!’" So erhöht sich langfristig die Chance, dass das Kind sich den Eltern anvertraut und die Familie Probleme gemeinsam lösen kann.