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Ob die britische, die südafrikanische oder die brasilianische Variante – seit Monaten häufen sich Berichte über neue Varianten von Sars-CoV-2. Die Befürchtung ist, das Coronavirus könnte derart mutieren, dass weder die Impfstoffe noch eine überstandene Infektion vor einer erneuten Ansteckung und Erkrankung schützen. Oder das Virus könnte noch ansteckender oder tödlicher werden.

Es ist ganz normal, dass Viren mutieren. Um sich zu fortzupflanzen, schleusen Viren ihre Erbinformationen in eine Wirtszelle ein. Bei der Vervielfältigung des Viruserbgutes, die notwendig ist, damit sich das Virus vermehrt, treten kleine Kopierfehler auf und so ändert sich der genetische Code des Virus. Nicht immer führt das dazu, dass das Virus gefährlicher wird. Oft entstehen sogar Viren, die weniger ansteckend sind. Aber diese setzen sich nicht durch. Gut weiterverbreiten können sich nur die Varianten, die gegenüber den anderen einen Vorteil haben. Zum Beispiel weil sie ansteckender sind. Einige Umstände können das Entstehen von gefährlichen Varianten fördern.

Austausch von Mutationen bei Doppelinfektion sind selten

Eher unwahrscheinlich ist folgendes Szenario: Bei Infektionen trifft das Coronavirus in einem Wirt auf eine andere Variante von SARS-CoV-2, tauscht mit ihr Gene aus und erwirbt dadurch schlagartig viele neue Mutationen. „Das ist eher selten“, sagt der Virologe Friedemann Weber von der Uni Gießen. „Schließlich müssten dann vom Timing her die beiden Infektionen fast gleichzeitig erfolgen. Denn wenn eine Variante den Wirt früher befällt, entsteht doch eine gewisse Immunität, die Schutz vor der zweiten Variante bieten kann.“

Höhere Inzidenzen führen zu mehr Varianten

Viel mehr Sorgen macht Forschern ein anderer Treiber von Mutationen. Der Spruch „die Masse macht's" gilt auch für Mutationen. Die schiere Häufung an entstandenen Virengenerationen hat bei bereits mehr als 140 Millionen bestätigter Infektionen weltweit rein rechnerisch und statistisch zu einer großen Bandbreite an Varianten beigetragen. "Höhere Inzidenzen bedeuten, dass mehr von dem Virus in der Umwelt vorhanden ist", sagt der Mediziner Luka Cicin-Sain vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Selbst bei einer geringen Mutationsrate könne es einfach auf Grund der Masse an Viren zu mehr Mutationen kommen. „Eine hohe Inzidenz erleichtert also, dass sich das Virus weiterentwickelt und dann vorteilhafte Mutationen selektiert werden.“

Ansteckendere Varianten setzen sich durch

Zu den vorteilhaften Mutationen zählen solche, die das Virus ansteckender machen. In Deutschland dominiert mittlerweile die britische Variante B.1.1.7. das Infektionsgeschehen. Der Grund dafür ist vermutlich, dass sie Veränderungen im Erbgut für ein Oberflächen-Eiweiß, das sogenannte Spike-Protein aufweist. Mit diesem Eiweiß dockt das Virus an die Oberfläche von Körperzellen an. Diese Veränderung scheint es dem Virus leichter zu machen, sich an Zellen zu binden und sie zu infizieren.

„Solche Mutationen geben dem Virus die Möglichkeit, sich besser zu verbreiten“, sagt Cicin-Sain. Es sei schwer zu sagen, ob in Zukunft weitere ansteckendere Virusvarianten in Deutschland aufkommen werden. In der Vergangenheit hat es das Virus schon zweimal geschafft, infektiöser zu werden.. „Es gibt aber hoffentlich nicht noch mehr Möglichkeiten für das Virus, uns besser zu infizieren", sagt Cicin-Sain.

Fluchtmutationen: Das Virus entkommt dem Immunsystem

Mutationen können das Virus nicht nur ansteckender machen, sondern ihm in sehr seltenen Fällen auch ermöglichen, der Immunabwehr zu entkommen, selbst wenn das Immunsystem schon Bekanntschaft gemacht hat mit einer früheren Variante des Virus oder einem Impfstoff. Forscher sprechen dann von Fluchtmutationen. Begünstigt werden sie durch einen verstärkten Druck auf das Virus im Zuge von steigender Immunität in der Bevölkerung. Denn Viren, die auch Personen befallen können, die bereits an einer anderen Variante des Virus erkrankt oder dagegen geimpft waren, können sich besser vermehren als andere, weil sie mehr Wirte zur Verfügung haben. „Impfungen, aber auch die natürliche Immunisierung im Zuge einer Infektion sorgen für einen erhöhten Selektionsdruck für das Virus“, sagt Luka Cicin-Sain. Das kann die Verbreitung von Flucht-Varianten begünstigen. Sie sind genetisch so verändert, dass sie von den Abwehrstoffen (Antikörpern) des Immunsystems gegen die bisherigen Varianten nicht mehr erkannt werden. Für das Virus ist es dabei unerheblich, ob Antikörper durch eine Impfung gebildet wurden oder durch eine Infektion. „In beiden Fällen haben dann Mutationen Vorteile, die von den Antikörpern nicht erkannt werden“, sagt Cicin-Sain.

Von konkreten Fluchtvarianten berichteten Forscher des Leibniz-Instituts für Primatenforschung in Göttingen. In ihrer Studie waren neutralisierende Antikörper, die in der Behandlung von COVID-19 zum Einsatz kommen, sowohl bei der südafrikanischen Variante B.1.351 als auch der brasilianischen Variante P.1 wirkungslos.

Friedemann Weber zufolge könnten sich die brasilianische und südafrikanische Variante im Zuge der Impfungen in Deutschland stärker verbreiten. Denn sie werden von den Antikörpern nicht mehr so gut erkannt wie die Ursprungsvariante und die britische Variante und könnten sich so gegenüber diesen durchsetzen. „Das kann zwar passieren, ich rechne aber nicht mit einem starken Anstieg“, so Weber. Denn es komme bei der Immunantwort nicht nur auf Antikörper an, sondern auch auf T-Zellen. Diese gehören zu den weißen Blutkörperchen und spüren beispielsweise vom Virus befallene Zellen auf, um sie zu zerstören. Sie können die Viruslast ebenfalls reduzieren und scheinen vor allem vor einem schweren Verlauf zu schützen, sagt der Virologe. "Trotz der Virusvarianten ist man mit einer Impfung also nicht schutzlos.“

Updates für das Immunsystem

Doch wie sieht es mit ganz neuen gefährlichen Varianten in der Zukunft aus? „Neue Varianten werden sicher auftreten, so lange das Virus weltweit verbreitet ist“, sagt Friedemann Weber. Die Varianten seien vielleicht etwas ansteckender und der Immunschutz müsse wahrscheinlich immer mal wieder darauf upgedatet werden. Eine Auffrischungsimpfung, die neue Varianten berücksichtigt, könnte also notwendig werden. „Nach allem was wir bisher wissen, ist aber nicht mit Komplettverlust einer bestehenden Immunität zu rechnen.“