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Warum wird jetzt darüber geredet?

Es liest sich wie ein Wunder: Volker D. erlitt einen Herzstillstand. 70 Minuten lang wurde der 43-Jährige wiederbelebt. Erst dann begann sein Herz wieder von selbst zu schlagen. Der Mann erholte sich anschließend vollständig und arbeitet nun wieder als Lehrer.

Eine Maschine macht das „Wunder“ möglich. Sie heißt CARL. Fachleute aus Herzchirurgie und Medizintechnik haben sie an der Uni Freiburg entwickelt und im Jahr 2017 erstmals zur Wiederbelebung von Menschen eingesetzt. CARL ersetzt Herz und Lunge so lange, bis das Pumporgan wieder eigenständig einen stabilen Blutkreislauf aufrechterhält.

Eine erste Pilotstudie mit 14 Patientinnen und Patienten zeigte bereits im Jahr 2019, was CARL leisten kann. Zwischen 51 und 120 Minuten dauerten die Reanimationen mit dem System. 6 der 14 Behandelten erholten sich so gut, dass keinen oder nur einen leichten Hirnschaden erlitten.

Seit Dezember 2023 liegen die Ergebnisse einer größeren Studie mit 69 Patientinnen und Patienten vor, an der sich sieben Notfalleinrichtungen in Deutschland, Österreich und den Niederlanden beteiligten. 40 der 69 Personen hatten außerhalb eines Krankenhauses einen Herzstillstand erlitten und wurden nach erfolglosen herkömmlichen Wiederbelebungen mit CARL reanimiert. Drei Monate später hatten elf der Behandelten nur geringe bis moderate Einbußen ihrer Hirnleistung. Das entspricht einem Anteil von 28 Prozent. Ereignete sich der Herzstillstand in einem Krankenhaus, betrug die Quote sogar 41 Prozent.

So funktioniert CARL

Bringen Ersthelferinnen und -helfer sowie Rettungskräfte ein stillstehendes Herz nicht wieder zum Schlagen, eröffnet das Wiederbelebungssystem CARL eine zusätzliche Chance. Es besteht aus drei mobilen Geräten, die zum Einsatzort getragen werden

Lunge linke Leisten- arterie rechte Leisten- vene Herz Oxygenator Medikamente Dosiersystem Pumpe 1 Pumpe 2 Kühlgerät Sauerstoffgerät

Das Kontrollgerät ist zentraler Bestandteil des Systems. Fachleute verbinden es über zwei Zugänge an der Leiste mit dem Blutkreislauf des Leblosen.

Das passiert im Kontrollgerät: Zwei Pumpen ersetzen den Herzschlag. Die erste saugt das Blut aus der rechten Leistenvene in die Maschine.

Die Maschine verändert das Blut mithilfe eines Dosierungssystems in 14 Eigenschaften, zum Beispiel in der Zusammensetzung seiner Mineralstoffe. Das soll den Organen helfen, sich vom Sauerstoffmangel zu erholen.

Medikamente werden über Spritzen hinzugefügt: Heparin, um die Bildung von Blutgerinnseln zu verhindern, Lidocain, um den Herzrhythmus wiederherzustellen oder zu stabilisieren.

Ein sogenannter Oxygenator ersetzt die Lunge. Er reichert das Blut mit Sauerstoff an und scheidet Kohlendioxid ab. Das Gasgemisch kommt aus dem Sauerstoffgerät.

Das Blut im Oxygenator wird zusätzlich gekühlt: mithilfe einer Flüssigkeit aus dem Kühlgerät. Das senkt die Körpertemperatur des oder der Leblosen in 20 Minuten auf 34 Grad. So verlangsamen sich alle Stoffwechselprozesse. Das Gewebe gewinnt Zeit, sich zu regenerieren.

Die zweite Pumpe bringt das Blut mit hohem Fluss in Pulsen zurück in den Körper.

Was ist neu an dem System?

Nur etwa jede zwölfte Person überlebt einen Herzstillstand – wenn sich dieser nicht gerade in einem Krankenhaus ereignet. Und die meisten Wiederbelebten tragen schwere Hirnschäden davon. Das hat einen ein­fachen Grund: Wird das Denkorgan nicht durchblutet, beginnt sein Gewebe nach rund vier Minuten abzusterben. Deshalb ist es extrem wichtig, dass Ersthelferinnen und -helfer sofort mit der Herzdruckmassage beginnen. Sie bewegen damit Blut zum Gehirn des oder der Leblosen. In der Regel reicht der restliche Sauerstoff, um die Zeit bis zum Einsatz von professionellen Rettungskräften zu überbrücken.

Gelingt es den Notärztinnen oder - ärzten nicht, das Herz wieder zum Schlagen zu bringen, eröffnet CARL eine zusätzliche Chance. Patientin oder Patient wird ent­weder noch am Ort des Rettungseinsatzes an die Maschine angeschlossen oder im Schockraum einer Notfallklinik. Das System ersetzt nicht nur Herz und Lunge. Es verändert zudem das Blut, sodass die Organe möglichst wenige dauerhafte Schäden erleiden und sich von den Folgen des Sauer­stoffmangels bis zu einem gewissen Grad erholen können.

Professorin Uta Dahmen hält das System für vielversprechend. „Doch es kann aufgrund seiner Komplexität und seiner anspruchsvollen Technik nur von sehr gut ausgebildeten Fachkräften sinnvoll eingesetzt werden“, so die Spezialistin für Experimentelle Transplantationschirurgie von der Uniklinik Jena. Denn das erfordere beispielsweise, die Blutgefäße an der Leiste über Kanülen mit der Maschine zu verbinden. Eine Prozedur, die Erfahrung und Können voraussetzt.

Wer profitiert schon jetzt?

Menschen in Düsseldorf, Freiburg, Hamburg, Heilbronn, Regensburg und in der Ortenau werden jetzt schon mit CARL reanimiert, wenn herkömmliche Maßnahmen nicht greifen. Weitere Krankenhäuser in Deutschland befinden sich aktuell in der klinischen Erprobung und auch erste europäische Zentren starten. „Ich halte es für ­eine der größten Neuerungen der vergangenen drei Jahrzehnte. Es hat das Potenzial, die Grenzen für erfolgreiche Wiederbelebungen zu verschieben“, sagt Intensivmediziner Böttiger.

Die Herzdruckmassage

1) Prüfen: Ist die Person bewusstlos und atmet nicht?

2) Rufen: Notruf 112 wählen! Dann sofort, bis der Rettungsdienst kommt …

3) Drücken: schnelle und feste Herzdruckmassage mittig auf den Brustkorb.

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Quellen:

  • Taunyane IC, Benk C, Beyersdorf F et al.: Preserved brain morphology after controlled automated reperfusion of the whole body following normothermic circulatory arrest time of up to 20 minutes. In: Eur J Cardiothorac Surg.: 03.06.2016, https://doi.org/...
  • Trummer G, Supady A, Beyersdorf F, Scherer C, Wengenmayer T, Umhau M, Benk C: Controlled automated reperfusion of the whole body after 120 minutes of Cardiopulmonary resuscitation: first clinical report. In: Scand J Trauma Resusc Emerg Med.: 10.07.2017, https://doi.org/...
  • Trummer G, Benk C, Beyersdorf F: Controlled automated reperfusion of the whole body after cardiac arrest. In: J Thorac Dis.: 11.06.2019, https://doi.org/...
  • Daniele SG, Trummer G, Hossmann KA et al.: Brain vulnerability and viability after ischaemia. In: Nat Rev Neurosci.: 22.09.2021, https://doi.org/...
  • Beyersdorf F, Trummer G, Benk C, Pooth JS: Application of cardiac surgery techniques to improve the results of cardiopulmonary resuscitation after cardiac arrest: Controlled automated reperfusion of the whole body. In: JTCVS Open: 20.10.2021, https://doi.org/...
  • Benk C, Trummer G, Pooth JS et al.: CARL – kontrollierte Reperfusion des ganzen Körpers. In: Zeitschrift für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie: 18.02.2022, https://doi.org/...
  • Trummer G, Benk C, Pooth JS et al. : Treatment of Refractory Cardiac Arrest by Controlled Reperfusion of the Whole Body: A Multicenter, Prospective Observational Study. In: J Clin Med.: 21.12.2023, https://doi.org/...