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Nur knapp zwei Zentimeter lang ist die Mini-Kapsel. Doch in ihr steckt hoch entwickelte Sensortechnik. Ein kleiner Schnitt vom Arzt, dann verschwindet sie unter der Haut - und das bis zu einem halben Jahr. Das kleine Gerät misst alle fünf Minuten den Zuckergehalt im Unterhautfettgewebe. Die Werte funkt es an einen sogenannten Transmitter, der direkt über dem Sensor am Oberarm sitzt. Von dort gelangen sie zu einer App auf dem Smartphone oder der Smartwatch und werden im Display angezeigt.

Der Transmitter lässt sich abnehmen, etwa zum täglichen Aufladen, und wieder aufkleben. Beim Duschen kann er dranbleiben. So funktioniert Eversense, ein System zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM). Der Unterschied zu den anderen Systemen auf dem deutschen Markt: Die Kapsel kann bis zu 180 Tage unter der Haut bleiben — sonst müssen die Sensoren von CGM-Sytemen üblicherweise etwa alle sieben bis 14 Tage gewechselt werden. Allerdings implantiert diese auch nicht der Arzt oder die Ärztin, sondern der Gerätträger oder die -trägerin bringt sie selbst an.

Sensor übernimmt das Zuckermessen

Der Langzeitsensor wird seit etwa sechs Jahren in der Diabetestherapie genutzt. 2016 kam das erste Modell, damals noch mit einem Sensor für 90 Tage, auf den Markt. Das neueste Modell ist seit August 2022 verfügbar. Der Sensor übernimmt das Zuckermessen, für das man sich sonst etliche Male am Tag in den Finger piksen würde und jeweils einen Blutstropfen braucht. Allerdings nicht ganz: Nach drei Wochen Tragedauer muss das System mindestens einmal täglich durch Blutzuckerkontrollen "geeicht" (kalibriert) werden. Bei der Vorgängerversion war das Piksen nach 21 Tagen teilweise sogar zweimal pro Tag notwendig.

Sensortausch nur in der Arztpraxis

Während bei anderen CGM-Systemen der Sensorwechsel zu Hause erfolgen kann, muss der Langzeitsenor unter örtlicher Betäubung in einer diabetologischen Praxis oder Klinik eingesetzt werden. Der Eingriff ist in der Regel schmerzfrei und dauert etwa eine Viertelstunde. „Der Arzt ritzt einen fünf Millimeter breiten Schnitt in die Haut am Oberarm“, erklärt Dr. Thomas Kothny, Diabetologe in Dachau. „Dann formt er mit einem chirurgischen Instrument eine Tasche im Unterhautfettgewebe und schiebt den Sensor hinein.“ Auf die Wunde kommt ein Pflaster, und darauf wird der Transmitter geklebt.

Die erste Armseite wählt der Patient, danach wird bei jedem Sensorwechsel getauscht. Einschließlich Desinfektion, Betäubungsspritze und System-Check nach dem Einsetzen nimmt jeder Eingriff etwa eine Stunde in Anspruch. „Das empfinden manche Patienten als lästig“, sagt Kothny.

Für wen kommt der Langzeitsensor in Frage?

Grundsäzlich kommen CGM-Systeme vor allem für Menschen mit Typ-1-Diabetes, die trotz sorgfältigem Diabetes-Management ihre Zielwerte nicht erreichen, starke Zuckerschwankungen oder nächtliche Unterzuckerungen haben. „Der Langzeitsensor Eversense eignet sich besonders für diejenigen, die Kontakt- oder Kampfsportarten betreiben oder körperlich arbeiten“, sagt Expertin Anna Trocha. Ein Abreißen des Sensors kann dabei nicht passieren, und der Transmitter ist gleich wieder befestigt. Das kann ein Argument gegenüber der Krankenkasse sein.

Auch bei allergischer Reaktion auf die Pflaster anderer CGM-Systeme akzeptiert die Kasse meist den Umstieg. Bewilligt sie das System, wird für den Anwender nur eine Selbstbeteiligung von zehn Euro im Monat fällig. Ob dem Antrag auf Kostenübernahme stattgegeben wird, hängt vom Einzelfall und einer guten Begründung ab. Dafür muss der Diabetologe ein Gutachten schreiben.

Genauigkeit kann nachlassen

Bis zu 180 Tage soll die Kapsel zuverlässig und sehr genau messen, das verspricht der Hersteller. Manchmal kommt es vor, dass die Sensoren nicht so lange wie angegeben durchhalten, und keine oder falsche Werte übermittelten und früher ausgetauscht werden müssen. So die Beobachtung aus dem Praxisalltag.

„Einige Menschen neigen zudem stärker zur Bildung von Narbengewebe, das auch deutlich sichtbar ist“, sagt Kothny. „Manche entscheiden sich deshalb, das System nicht weiter zu nutzen.“

Der Langzeit-Sensor hat aber auch Vorteile. Bei Vergleichsmessungen von Kothnys Patienten gab es kaum Unterschiede zwischen den Werten des Sensors und klassischen Blutzuckerkontrollen. „Lässt die Genauigkeit nach, kann es daran liegen, dass das Gewebe den Sensor einkapselt — eine Abwehrreaktion“, sagt Dr. Anna Trocha, Chefärztin der Klinik für Diabetologie am Elisabeth-Krankenhaus Essen. „Möglicherweise schaltet er sich deshalb in manchen Fällen schon nach vier bis fünf Monaten ab“, mutmaßt die Expertin.

Wie andere CGM-Systeme zeigt das Langzeitsystem zusätzlich zu den aktuellen Werten Trendpfeile für den Zuckerverlauf an. So erkennt man, ob der Zucker gerade sinkt oder steigt.

Silikonpflaster täglich wechseln

„Wichtig ist, dass das Silikonpflaster des Transmitters täglich gewechselt wird, damit keine Hautreizungen entstehen. Dann eignet es sich selbst für empfindliche Haut“, sagt Experte Kothny.

Ab und zu löst sich der Transmitter vom Oberarm, zum Beispiel bei starkem Schwitzen oder durchnässtem Pflaster. Erneutes Aufkleben geht aber schnell und einfach.

Bei der Vorgängerversion berichteten Anwender von Problemen bei starker Sonneneinstrahlung. Weil der Gewebszucker über Lichtimpulse gemessen wird, lieferte der Sensor dann keine Werte mehr. Durch eine neu entwickelte Einsetzhilfe konnte inzwischen erreicht werden, dass der Sensor in einer optimalen Tiefe unter der Haut platziert wird. Hierdurch konnten die Probleme mit der zu starken Sonneneinstrahlung weitgehend behoben werden. Ob die Probleme mit dem neuen Modell gar nicht mehr auftreten, muss sich zeigen. Laut Hersteller wurde hier nachgearbeitet.

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So funktioniert die Langzeit-Messung

In drei Schritten zum Messwert: Der Sensor unter der Haut am Arm misst den Gewebezucker. Der Transmitter auf der Haut empfängt den Wert und sendet ihn weiter an eine App auf dem Smartphone.

Vibrier-Alarm auf der Haut

„Eine große Entlastung im Alltag und hilfreich für gute Werte ist die Alarmfunktion“, sagt Dr. Wolf-Rüdiger Klare, Diabetologe in einer Schwerpunktpraxis für Diabetologie und Kardiologie in Konstanz. Ist der Zucker zu hoch oder zu niedrig, alarmieren das Smartphone den Nutzer. Zusätzlich vibriert der Transmitter direkt auf der Haut. „Das ist sehr diskret und besser zu spüren als etwa eine vibrierende Insulinpumpe in der Gürteltasche“, sagt Klare.

Ein Nachteil bleibt aber aus seiner Sicht, dass sich die Zuckerwerte nur auf dem Smartphone oder der Smartwatch ablesen lassen. Eine Verbindung zwischen dem System und Insulinpumpe wie bei anderen Systemen gibt es bisher nicht.