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Ein Gesundheitskiosk ist eine niedrigschwellige, möglichst mehrsprachige Beratungseinrichtung für gesundheitliche und soziale Themen. Der erste Gesundheitskiosk in Deutschland entstand in den Hamburger Stadtteilen Billstedt und Horn. Geführt wird er von medizinisch ausgebildetem Fachpersonal. Hauptaufgabe eines solchen Kiosk ist es, Patientinnen und Patienten mit besonderem Unterstützungsbedarf den Zugang zu einer ambulanten Versorgung zu erleichtert.

Die Regierung möchte Gesundheitskioske deutschlandweit einrichten. Auf jeweils 80.000 Einwohner soll ein Kiosk kommen, bundesweit würde das insgesamt 1.000 Einrichtungen bedeuten. Das bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel ist es, in sozial schwachen Regionen die ambulante Versorgung und die Vorbeugung von Krankheiten zu verbesserrn. Die Gesundheitskioske sollen Routineuntersuchungen wie Messungen des Blutdrucks und des Blutzuckers durchführen und Behandlungen in Arztpraxen und Krankenhäusern vermitteln. Außerdem sollen sie chronisch Kranke begleiten und Menschen in Gesundheitsfragen beraten, etwa zu Themen wie Abnehmen oder Rauch-Entwöhnung. Examinierte Pflegekräfte, Kinder-, Alten- und Krankenpflegerinnen und -pfleger sollen diese Aufgabe schultern. Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) richten sich die Kioske an Menschen mit und ohne Krankenversicherung.

Die Finanzierung sollen sich die Kommunen und die Krankenversicherungen teilen. Im Detail schaut der Plan so aus: Die gesetzliche Krankenversicherung wird 74,5 Prozent der Gesamtkosten übernehmen, die Kommunen 20 Prozent und die privaten Krankenversicherungen die restlichen 5,5 Prozent.

Die Einrichtung von Gesundheitskiosken in sozial benachteiligten Stadtteilen hat seinen guten Grund: Die dort lebenden Menschen haben tendenziell eine schlechtere Gesundheitskomptenz. Außerdem bieten sozial schwache Stadtteile oft weniger ambulante Versorgungsangebote – und die vorhandenen Angebote gehen vielfach an den Bedürfnissen sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen vorbei. Die Folge: stark beanspruchte Notaufnahmen sowie eine medizinische Unter- und Fehlversorgung der Menschen. Hier setzen die Gesundheitskioske an. "Sie sollen beispielsweise dazu beitragen, dass chronisch kranke Menschen, zum Beispiel solche mit Diabetes, seltener ungeplant als Notfälle ins Krankenhaus müssen", sagt Professor Jonas Schreyögg, wissenschaftlicher Direktor des Hamburg Center for Health Economics an der Universität Hamburg. "Bei diesen Menschen ist beispielsweise der Diabetes schlecht eingestellt, weil sie vielleicht gar nicht oder nur selten zum Arzt gehen", sagt Schreyögg. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitskiosks könnten den Blutzucker messen und bei Bedarf den Patientinnen und Patienten an den richtigen Behandelnden vermitteln. Damit bieten sie den Menschen gleichzeitig Orientierung im Gesundheitswesen.

Die gibt es. Jonas Schreyögg hat den bereits bestehenden Gesundheitskiosk in den Hamburger Stadteilen Billstedt/Horn wissenschaftlich unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Der Zugang zur ambulanten Versorgung verbesserte sich durch den Gesundheitskiosk. Das zeigt vor allem ein Blick auf die Krankenhausfälle und die ambulanten Arztbesuche. In Billstedt/Horn ging die Zahl der vermeidbaren Krankenhausfälle im Vergleich zu den anderen Stadtteilen Hamburgs um fast 19 Prozent zurück. Gleichzeitig ist die Anzahl der Arztbesuche in Billstedt und Horn im Vergleich zu den anderen Stadtteilen Hamburgs um durchschnittlich 1,9 Besuche pro Versicherten und Jahr gestiegen . "Die Zusammenarbeit der Patientinnen und Patienten mit dem Gesundheitskiosk führte dazu, dass sie mehr zum Arzt gehen und weniger Aufenthalte im Krankenhaus haben", sagt Jonas Schreyögg. Auf Grund dieser Ergebnisse ist er für eine bundesweite Einführung der Gesundheitskioske.

Die Lage der Kommunen und Krankenkassen, die ja hauptsächlich die Finanzierung stemmen sollen, ist angespannt. Aus diesem Grund spricht sich etwa die Kassenärztliche Vereinigung Berlin (KV Berlin) gegen die Einrichtung von Gesundheitskiosken aus: „Vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Töpfe machen wir deutlich, dass das Geld nicht dem ambulanten Bereich entzogen werden darf.“ Die KV Berlin sieht in den Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach "keinen Mehrwert für die ambulante Versorgung". Das Leistungsspektrum werde bereits von vielen etablierten Modellen wie den nichtärztlichen Praxisassistentinnen und -assitenten und ambulanten Pflegediensten abgedeckt. Außerdem hätten bereits jetzt viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte Schwierigkeiten, medizinisches Personal für ihre Praxen zu finden. Die Gesundheitskioske als Arbeitgeber für Fachkräfte würden dieses Problem weiter verschärfen. Auch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen äußert sich negativ. „Das im Kern sozialpolitische Vorhaben der Gesundheitskioske überwiegend aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren, wäre aus unserer Sicht nicht angemessen und wird deshalb abgelehnt.“

Die Finanzierung der Gesundheitskioske wird eine Herausforderung. Doch: "Wir können es mit unserer Evaluation des Gesundheitskiosks Billstedt/Horn auf Grund der kurzen Laufzeit zwar noch nicht langfristig belegen", sagt Jonas Schreyögg. "Aber es zeigten sich erste Tendenzen, dass Krankenhausaufenthalte seltener werden. Und die sind besonders kostenintensiv."


Quellen:

  • Bundesministerium für Gesundheit: Regierung plant Gesundheitskioske deutschlandweit, Lauterbach präsentiert Eckpunkte für Gesetzesinitiative. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/... (Abgerufen am 19.09.2022)
  • Universität Hamburg: Gesundheitskiosk verbessert Versorgung in sozial benachteiligten Stadtteilen Billstedt und Horn. https://www.uni-hamburg.de/... (Abgerufen am 19.09.2022)
  • Hamburg Center for Health Economics: KURZBERICHT ZUR EVALUATION INVEST BILLSTEDT/HORN, „Hamburg Billstedt/Horn als Prototyp für eine Integrierte gesundheitliche Vollversorgung in deprivierten großstädtischen Regionen“ (Förderkennzeichen: 01NVF16025). https://www.hche.uni-hamburg.de/... (Abgerufen am 19.09.2022)
  • Deutscher Städte- und Gemeindebund: Hohe Defizite der Kommunen in den Jahren 2022 und 2023 . https://www.dstgb.de/... (Abgerufen am 19.09.2022)
  • Sächsische Landesärztekammer: Parallelstrukturen ohne die eigentlichen Probleme zu lösen, Landesärztekammerpräsident Erik Bodendieck äußert sich zu geplanten Gesundheitskiosken. https://www.slaek.de/... (Abgerufen am 19.09.2022)