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Vielleicht gehören Sie selbst dazu oder Sie kennen jemanden, der trotz Infekts, Kopfschmerzen oder Rückenbeschwerden und entgegen dem ärztlichen Rat zur Arbeit geht oder im Homeoffice krank arbeitet. Präsentismus nennt man dieses Verhalten. Die Wortneuschöpfung ist analog zum Wort Absentismus entstanden, das unter anderem das übermäßige und absichtliche Fernbleiben vom Arbeitsplatz beschreibt.

Präsentismus kann für das Unternehmen und für den Betroffenen verlustreich sein, wie Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) im Gespräch mit der Apotheken Umschau erläutert.

Wer krank arbeitet, arbeitet häufig nicht gut

Denn wer krank arbeitet, hat – je nach Ursache der Gesundheitsprobleme – zumindest in manchen Fällen ein höheres Fehler- und Unfallrisiko – mit negativen Folgen für das Unternehmen und sich selbst. Die betroffene Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter und damit auch das Unternehmen sind weniger produktiv. Denn krank ist man auch weniger arbeits- und leistungsfähig. Im Falle eines akuten Infekts kann der- oder diejenige außerdem Kolleginnen oder Kunden anstecken.

Bisherige Auswertungen deuten darauf hin, dass die Kosten für Präsentismus höher ausfallen können als für krankheitsbedingte Fehlzeiten.

Höhere Ausfallzeiten können die Folge sein

Wer entgegen dem ärztlichen Rat krank zur Arbeit geht, riskiert unter Umständen insgesamt höhere Ausfallzeiten oder negative Folgen im späteren Berufsleben. Dieses Verhalten kann sogar in eine Frühverrentung münden. Schröder sagt dazu: „Wird ein Infekt nicht auskuriert, wird die Erkrankung 'verschleppt'. Das Risiko für eine schlimmere oder langwierigere chronische Erkrankung steigt.” Aus einem Schnupfen entwickle sich möglicherweise eine Lungenentzündung oder gar eine Herzmuskelentzündung. Knieverletzungen, die nicht auskuriert werden, können möglicherweise eine Arthrose oder andere dauerhafte Schäden am Gelenk begünstigen.

Befragungen zeigen je nach Berufsgruppe, dass jeder Zweite zur Arbeit geht, obwohl er sich krank fühlt. In den letzten Jahren hat das wissenschaftliche Institut der AOK seine Befragung geschärft und fragt nun auch, ob die oder der Betroffene entgegen dem ärztlichen Rat arbeitet. Je nach Branche und Position bejahte jeder vierte Beschäftigte diese Frage. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie ist die Zahl leicht gesunken. Kranke, die erst gar nicht zum Arzt gehen und einfach weiterarbeiten, werden hier nicht erfasst.

Wie entsteht Präsentismus?

Die Gründe für Präsentismus sind vielfältig. Wichtige Faktoren sind laut Schröder das hohe Verantwortungsgefühl und die hohe Arbeitsmotivation für Firma, Kolleginnen, Kollegen, die Vorgesetzten oder eben die Menschen, die man während der Arbeit betreut.

Damit einher geht ein weiterer Grund für Präsentismus: die hohe Arbeitslast. Sie spielt vor allem bei Erwerbstätigen mit einem hohen beruflichen Status oder bei Führungskräften eine Rolle. Weitere Gründe sind liegenbleibende Arbeit und der dadurch befürchtete Ärger mit den Kolleginnen und Kollegen, die einspringen müssen, um die Arbeit zu erledigen. Auch die Angst vor Problemen mit dem Arbeitgeber im Fall des krankheitsbedingten Fernbleibens oder gar die Angst vor einer Kündigung spielen eine Rolle bei Präsentismus.

Was kann man gegen Präsentismus tun?

Ein zu hohes Pflichtgefühl bei Beschäftigten, das möglicherweise die eigene Gesundheit gefährdet, kann auch als Signal gewertet werden. Schröder sagt: „Präsentismus ähnelt einer Suchtkrankheit. Die Betroffenen müssen erst erkennen, dass sie ein riskantes Verhalten an den Tag legen.” Dabei können ihnen die Familie, Freundinnen, Freunde sowie im Unternehmen Team und Vorgesetzte helfen.

Auch eine Ärztin oder ein Arzt kann helfen, das Verhalten zu ändern, Gespräche führen sowie psychologische Unterstützung oder Reha-Maßnahmen verordnen. Auf den Internetseiten der gesetzlichen Krankenkassen kann man sich nach Online-Kursen oder im Betrieb nach Schulungen erkundigen.

Die Maßnahmen zielen darauf ab, dass die Betroffenen lernen, mit sich selbst und anderen achtsam umzugehen, Verantwortung für das eigene Wohl zu übernehmen und Fürsorge für andere zu entwickeln. Dazu gehört auch, nicht gegen den ärztlichen Rat zur Arbeit zu gehen.

Arbeitgeber sollten vorbeugen

Aufgrund vieler Studien empfiehlt Schröder Unternehmen, eine die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wertschätzende und achtsame Kultur zu praktizieren. Führungskräfte sollten mit gutem Beispiel vorangehen, Präsentismus ansprechen und sich selbst daheim auskurieren, wenn sie krank sind. Es ist Führungsaufgabe, eine Lösung für die dann unerledigte Arbeit zu finden, ohne dabei die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu überlasten.

„Die Pandemie hat uns verdeutlicht, dass sich Gesunderhaltung und Arbeitsfähigkeit gegenseitig bedingen. Diese Erfahrung sollten wir uns auch künftig immer wieder vergegenwärtigen,“ sagt Schröder.