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Es gibt Situationen, da stürzt eine Schwangerschaft eine Frau in tiefe Verzweiflung, von Freude keine Spur. „Weil man sich zu jung fühlt für ein Baby, weil die Aussicht auf Alleinerziehen Angst macht. Oder weil eine Gewalterfahrung zur Schwangerschaft geführt hat“, sagt Annette Zebrala, die in Landshut die Katholische Beratungs­stelle für Schwangerschaftsfragen leitet. Oder weil das famili­äre Umfeld mit Ausgrenzung oder Schlimmerem reagieren würde oder die Familienplanung schon abgeschlossen ist. Die Beraterin hat Schwangere in allen Situationen erlebt.

Wenn eine Frau ein Kind zur Welt bringt und das als katastrophale emotionale Notlage empfindet, kann das für das Baby im Extremfall schlimmste Folgen haben. Immer wieder gibt es Fälle, wo Säuglinge ausgesetzt oder gar getötet werden. So wurden 2019 in Deutschland 16 Neugeborene aufgefunden, zwölf von ­ihnen nicht mehr lebend, meldete der Evangelische Pressedienst und beruft sich auf Zahlen des Kinderhilfswerks ­terre des hommes. Expertinnen und Experten vermuten, dass die tatsächliche Zahl noch höher liegt, die Säuglinge aber verschwunden bleiben.

Ungewollt schwanger: Diese Hilfsangebote gibt es

„Auch für die Mutter birgt es Risiken, ihr Kind ohne Hebamme, Ärztin oder Arzt zur Welt zu bringen“, sagt Schwangerschaftsberaterin Zebrala. Die Risiken reichen von Wehenproblemen, schwieriger Kinds­lage, unvorhergesehenen Blutungen und Geburtsverletzungen bis hin zu ernsthaften Problemen mit der Nachgeburt (Plazenta).

Deshalb entstanden Hilfsangebote, die Mutter und Kind in dieser Situation ­einen Ausweg bieten. Doch oft sind sie zu wenig bekannt. Zum einen ­haben einige Kliniken und andere Institutionen Baby­klappen eingerichtet: Das sind Wärme­betten, in die das Baby anonym abgelegt wird. Ein automatisches Alarm­system sorgt dafür, dass wenig später Pflegepersonal das Baby aus der Klappe heraus­nimmt und sich um das Neugeborene kümmert. Es gibt auch die Möglichkeit der sogenannten anonymen Arm-zu-Arm-Übergabe, dabei wird das Neugeborene in einem Krankenhaus abgegeben. Das Problem bei anonymer Ab­gabe und Babyklappe: Das Kind, das dann meist in ­einer Adoptivfamilie aufwächst, hat ­keine Chance, etwas über seine leiblichen Eltern zu erfahren – oft eine psychische Belastung, die es lebenslang begleitet. Auch deshalb ist diese Variante umstritten und führte dazu, dass vor sieben Jahren die Möglichkeit der vertraulichen Geburt in Deutschland eingeführt wurde.

Das Hilfetelefon für Schwangere bietet unter Tel. 0800/40 40 020 anonyme Beratung und auf Wunsch eine bundesweite Vermittlung zu einer Beratungsstelle in der Nähe. Viele Informationen und eine Online-Beratung gibt es auch unter www.geburt-vertraulich.de.

Die vertrauliche Geburt: Muter und Kind sicher begleitet

Der größte formale Unterschied zur Baby­klappe: Die werdende Mutter nennt ­ihren tatsäch­lichen Vor- und Nach­namen, ihr Geburtsdatum und ihre Adresse ein einziges Mal, und zwar nur gegenüber ­ihrer Beraterin. Anschließend wird sie mit ­einem selbst gewählten Namen, einem Pseudonym, angesprochen. Niemand sonst, der sie durch Schwangerschaft, Geburt und Adop­tionsfreigabe begleitet, erfährt ihre wahre Identität.

Die Beraterin behandelt die Angaben der Mutter absolut vertraulich und hinterlegt sie beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Erst wenn das Kind 16 Jahre alt ist, hat es den rechtlichen Anspruch, herauszufinden, wer seine leibliche Mutter ist. Allerdings kann diese Widerspruch einlegen, wenn aus ihrer Sicht ein gewichtiger Grund gegen die Offenlegung ihrer Identität spricht. Dann muss das Kind den Weg über das Gericht nehmen, um das Einsichtsrecht gegebenenfalls einzuklagen.

Juristin Prof. Dr. Anna Schwedler-Allmendinger von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin hat sich auf Familienrecht spezialisiert. Sie sieht einen Nachteil bei der vertraulichen Geburt: „Das ganze Verfahren ist sehr bürokratisch. Sehr wahrscheinlich können deswegen nicht alle Schwangeren, die ­ihre Schwangerschaft verheimlichen möchten oder müssen, erreicht werden.“ Für diese Frauen seien die Baby­klappen eine wichtige Alternative.

So hilft die Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen

Bei der Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen, die Annette Zebrala leitet, wurden im vergangenen Jahr mehr als 1200 Beratungen durchgeführt. Über die Möglichkeit einer vertraulichen Geburt besteht oft eine Art Halbwissen, stellt die Sozialpädagogin fest. „Eine junge Frau kam zum Beispiel in der Hoffnung, dass ich ihr alles erklären kann und sie begleiten werde“, erzählt Zebrala.

Es entstand schnell ein tiefes Ver­trauen zwischen den beiden. Weil die junge Frau sich das wünschte, begleitete Annette Zebrala sie zu Untersuchungen, die während einer Schwangerschaft für die Gesundheit von Mutter und Kind wichtig sind. Und sie regelte alle Formalien rund um Geburt und Aussicht auf Adoption mit ihr gemeinsam. Denn dabei hat die Schwan­gere ein Mitspracherecht. Sie kann sich zum Beispiel wünschen, dass das Kind eher in der Stadt oder auf dem Land aufwachsen soll. Sie kann einen Namen mitgeben. Und sie kann, wenn sie das möchte, eine ano­nyme Nachricht für ihr Kind aufschreiben, eine kleine ­liebe Botschaft.

Vertrauliche Geburt: Eine Perspektive für alle

Vor allem für das Kind, aber auch für die späteren Adoptiveltern ist das eine ­schöne Verbindung zur unbekannten Mutter, findet Karin Diruf-Pritscher. Sie kümmert sich bei der Katholischen Jugendfürsorge Landesverband Bayern um Adoptionen. Sie hat auch in dem von Annette Zebrala beschriebenen Fall dafür gesorgt, dass das Neugeborene gleich nach der Geburt zu neuen Eltern kam. Diese können das Kind nach einem Jahr mit dem stillschweigendem Einverständnis der Mutter adoptieren. „So lange hat die Mutter das Recht, sich doch noch für ein Leben mit ihrem Kind zu entscheiden“, erklärt Schwedler-Allmendinger.

Die Mutter darf ihr Kind nach der Geburt auch begrüßen und wird in der Klinik sicher betreut. So war es auch in dem Fall, den Annette Zebrala begleitete. Zudem erfuhren die Beraterin, Karin Diruf-­Pritscher und die zukünftigen Adoptiveltern noch aus dem Kreißsaal von der Geburt des Babys und hießen es vor Ort willkommen (momentan entscheidet die jeweils aktuelle Corona-­Lage über diese Möglichkeit).

„Ich werde das nie vergessen“, sagt Annette Zebrala, „weil es so hautnah am mensch­lichen Schicksal war.“ Die Gewissheit, dass Mutter und Kind die Geburt nicht ­allein bewältigen mussten und es für alle eine echte Perspektive gibt, bedeutet ihr viel: „Ich denke, die Entscheidung der Mutter war richtig, für sie selbst, für das Kind, für die Adoptivfamilie. Ich habe das Gefühl, etwas Gutes begleitet zu haben.“

Ein Ausweg für verzweifelte Mütter

Seit es die Möglichkeit der vertraulichen Geburt gibt, haben sich gut 800 Frauen dafür entschieden. Sie haben sich den ­eigenen Wunsch nach Geheimhaltung erfüllt und ihrem Kind dennoch ermöglicht, eines Tages etwas über seine Herkunft erfahren zu können – mit einer betreuten Geburt in einem sicheren und fürsorg­lichen Umfeld.

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