Osteopathie – Heilen mit den Händen?

Osteopathie soll auch Babys in bestimmten Fällen helfen – aber stimmt das auch?
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Für die Kinderorthopädin Dr. Marina Umari aus Aschau ist es berufliche Routine, moderne Technik einzusetzen: Ultraschall, Röntgen und Kernspintomographie helfen ihr bei Diagnosen. Wenn sie Kinder in ihrer Praxis für Osteopathie behandelt, verzichtet sie dagegen auf technische Hilfsmittel: „Ich benutze dann nur meine Hände. Mit ihnen diagnostiziere und behandle ich.“
Die sanfte Herangehensweise überzeugt offenbar viele Eltern: Laut einer forsa-Umfrage aus 2021 entfielen elf Prozent der Besuche bei Osteopathinnen und Osteopathen auf Babys und Kinder bis zwei Jahre. Typische Anlässe für Rat suchende Eltern: Die Kleinen bewegen sich nicht symmetrisch oder haben abgeflachte Köpfchen. Andere schreien viel, schlafen schlecht oder machen Probleme beim Stillen.
Von Gewebsspannungen und Blockaden
Was bei den Behandlungen passiert, erschließt sich Laien nicht: ein leichtes Handauflegen hier, ein kaum merklicher Druck da. „Ich spüre mehr als nur die Oberfläche“, erklärt Ärztin Marina Umari. Sie nehme zum Beispiel Gewebespannungen oder Blockaden wahr und ergründe deren Ursachen.
Osteopathie folgt dem Grundsatz, dass Struktur und Funktion des menschlichen Körpers eng miteinander verwoben sind. Sie zielt darauf ab, Ungleichgewichte in dieser Beziehung zu beheben. Für Marina Umari gehen Schulmedizin und Osteopathie Hand in Hand und können sich sinnvoll ergänzen. Eine Einschätzung, die viele Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte so nicht teilen. Denn die Osteopathie hat ein Problem: Um die Evidenz, den wissenschaftlichen Beweis ihrer Wirksamkeit, ist es ziemlich schlecht bestellt.
Studien überzeugen nicht – trotz einzelner positiver Effekte
Die Bundesärztekammer kam 2009 in einer wissenschaftlichen Stellungnahme zur Osteopathie zu dem Ergebnis, dass „einigermaßen zuverlässige Aussagen zur Wirksamkeit/Effektivität osteopathischer Behandlungen nur bei wenigen Erkrankungsbildern vorliegen“. Therapien bei Kindern zählten nicht dazu. 2013 veröffentlichte die Fachzeitschrift Pediatrics eine Metaanalyse, die zahlreiche Studien an Kindern ausgewertet hatte. Die Wirksamkeit von Osteopathie könne aufgrund der geringen methodischen Qualität der Studien nicht bewiesen werden, so das Ergebnis.
Ein Jahr später bewerteten deutsche pädiatrische Gesellschaften und Verbände in einer gemeinsamen Stellungnahme die Datenlage als unverändert schwach – trotz einzelner positiver Effekte in kleinen Studien. Auch eine aktuelle Übersichtsstudie im British Medical Journal fand für die Heilmethode keine überzeugenden Wirknachweise bei Kindern. Gesetzliche Kassen übernehmen die Kosten allenfalls anteilig.
Fehlt es an Geld für die Forschung?
Die Göttinger Kinder- und Jugendärztin Dr. Tanja Brunnert kommentiert die Studienlage als „nach wie vor erschreckend schlecht“. Sie nennt mögliche Gründe: Qualitativ hochwertige Studien seien teuer und ohne Gelder aus der Pharmaindustrie schwer zu finanzieren. Und die Behandlungen seien schwierig zu standardisieren, weil jeder Therapeut individuell behandle. Doch „diese Kröte muss geschluckt werden, wenn man gute Studien machen will“.
Arztpraxis sollte immer erste Anlaufstelle sein
Fehlende Daten bedeuten für Tanja Brunnert jedoch nicht automatisch fehlenden Nutzen. Sie selbst praktiziert nicht nur als niedergelassene Kinderärztin, sondern behandelt Kinder in privaten Sprechstunden auch osteopathisch. Wann das sinnvoll ist, kann sie durch ihren schulmedizinischen Hintergrund gut beurteilen. Sie betont auch: Die Arztpraxis sollte bei Gesundheitsproblemen von Babys und Kindern immer die erste Anlaufstelle sein.
Osteopathie als Plus von Zeit und Zuwendung
„Nicht jede Befindlichkeitsstörung muss sofort therapiert werden“, findet sie. Wenn aber ein Säugling beispielsweise tatsächlich Probleme habe, das Köpfchen beidseitig zu drehen – und nicht nur einfach eine Lieblingsseite bevorzuge –, dann könne Osteopathie möglicherweise helfen, Verspannungen zu lösen und die beidseitige Bewegung zu erleichtern.
Diese dann weiter zu fördern ist Aufgabe der Eltern. „Im Rahmen einer osteopathischen Behandlung habe ich viel Zeit, ihnen das in Ruhe zu erklären“, sagt Tanja Brunnert – anders als in den durchgetakteten ärztlichen Sprechstunden. Ausführliche Gespräche, Empathie: Daraus resultiere womöglich auch ein Placeboeffekt, der Heilung fördern könne.
Grenzen der Therapie
Eine Allheilmethode, als die sie mitunter angepriesen wird, ist Osteopathie gewiss nicht. „Gut ausgebildete Osteopathinnen wissen, wo ihre Grenzen liegen und wann sie Patienten an den Arzt überweisen müssen“, ist Marina Umari überzeugt. Wie Sie qualifizierte, seriöse Behandlerinnen und Behandler finden können, erfahren Sie im Infokasten unten.