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Frau Runge, ein Buch von Ihnen wirbt mit "juristischem Know-how" zu Schwangerschaft, Geburt und Elternsein. Klingt kompliziert.

Sandra Runge: (lacht) Kinder zu haben ist doch auch kompliziert, oder? Im Ernst: Die Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes sind ein Riesen­einschnitt im Leben, der auch mit vielen rechtlichen Fragen verbunden ist. Nehmen wir nur den Mutterschutz, das Elterngeld und die Elternzeit: Obwohl selbst Juristin, fiel es mir nicht leicht, da durchzusteigen. Und dann die Frage, wie es mit dem Job an sich weiter­geht, wie man den Wiedereinstieg regelt und seine Interessen sichert.

Was meinen Sie damit?

Vor allem die Mütter sind nach der Geburt oft länger aus dem Beruf raus. In zwölf, 24 Monaten kann viel passieren, und es ist ratsam, sich darauf einzustellen: Wenn die Firma umstrukturiert wird, sind vielleicht auch Vorgesetzte nicht mehr da, die einem die Wiederaufnahme des alten Jobs, Teilzeit, flexiblere Arbeitszeiten und Home­office zugesichert haben. Selbst wenn strukturell nichts passiert, werden diese Versprechen womöglich nicht gehalten oder eine in Aussicht ge­stellte Beförderung oder Gehaltserhöhung bleibt aus. Da fehlt es oft daran, dies schriftlich festzuhalten.

Als Klassiker bezeichnen Sie auch die Kündigung direkt nach der Elternzeit. Das ist Ihnen selber passiert. Wie war das damals?

Vor der Geburt meines ersten Kindes habe ich die Rechtsabteilung eines Mittelständlers geleitet. Ich nahm ein Jahr Elternzeit, blieb aber in gutem Kontakt mit der Firma. Es hieß, sie freuten sich auf meinen Wiedereinstieg. Als ich dann wiederkam, war mein Büro leer. Eine Stunde wartete ich, um dann zu hören, dass meinen Job nun eine externe Kanzlei mache – was im End­effekt sogar nur für die Zeit der gericht­lichen Auseinandersetzung stimmte. Als die beendet war, wechselte die Juristin, die bis dahin für die Kanzlei gearbeitet hatte und meine Vertretung war, in die Firma. Das zu erleben war übel, und es ist ein Unding, dass das möglich ist.

Seitdem beraten Sie Mütter und Väter und treten dafür ein, ­Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal gesetzlich festzulegen. So wie Geschlecht, Alter oder Religion. Was würde das ändern?

Eltern hätten andere Möglichkeiten, sich zu wehren und zum Beispiel auch Schadensersatz einzuklagen. Zudem müssten sich Unternehmen diskriminierungsfrei, das heißt bezogen auf das Merkmal Elternschaft familienfreundlich ausgestalten. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Beweislastumkehr. Gelingt der Beweis, zum Beispiel im Rahmen einer Kün­digung, dann wären etwa Eltern bessergestellt, die in Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden arbeiten und für die das allgemeine Kündigungsschutzgesetz nicht gilt.

Und würden Arbeitgeber dann mit Klagen überziehen?

Darum geht es mir ausdrücklich nicht. Was ich will, ist ein geändertes Be­wusstsein: dass Elternschaft nicht mit einem Makel verbunden ist, dass Fir­men familienfreundlicher, flexibler werden und Dinge auch mal ausprobieren. Und vor allem: dass sie auf Augen­höhe mit Eltern reden und verhandeln! Hinzu kommt: Fürsorgeleistung muss einen anderen Stellenwert und
eine bessere Wertschätzung erhalten. Immerhin hat der Schutz von Familien Grundrechtsrang.

Glauben Sie, dass Gesetze eine Kultur verändern können?

Ich glaube fest daran, dass Gesetze Motoren für Entwicklungen und für einen Kulturwandel sein können. Und die Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, in dem die Diskriminierungsmerkmale festgelegt sind, wäre ein solcher Motor. Weil Personalabteilungen und Vorgesetzte sich im Klaren darüber sein müssten, dass Benachteiligungen aufgrund der Tatsache, dass man Kinder bekommen hat, un­zulässig sind und Schadensersatzpflichten nach sich ziehen können. Wichtig ist mir aber auch, dass wir mit einer Gesetzesänderung familienfreund­lichen Vorgesetzten, Betriebsräten und Gleichstellungsbeauftragten, die oftmals auch intern auf Wider­stände stoßen, den Rücken stärken.

Was sind typische Fälle, die Sie vertreten?

Ich vertrete viele Mandantinnen, die nach der Rückkehr aus ihrer Elternzeit aufs Abstellgleis gestellt werden. Vielen wird gekündigt oder sie müssen plötzlich an ihren alten Job berichten, sind also zum Beispiel nur noch einfache Marketingmanagerin statt Head of Marketing. Oft ist das sogar verbunden mit Gehaltskürzungen. Weitere Fälle sind die unberechtigte und syste­matische Ablehnung von Teilzeitanträ­gen, bei der nicht selten betriebs­be­dingte Gründe vorgeschoben wer­den, oder das Nichtgenehmigen von Weiterbildungen aufgrund einer Elternzeit.

Ist das erlaubt?

Natürlich nicht, aber es wird versucht, und manche sind so unter Druck, dass sie darauf eingehen. Auch kommt die Verletzung des Beschäftigungsverbots vor oder das willkürliche Auferlegen desselben. Ich habe einmal eine Assistenzärztin vertreten, der dadurch Zeit für ihre Ausbildung zur Fachärztin gefehlt hat. Sie hätte anders eingesetzt werden müssen, nicht mehr operieren, keine 24-Stunden- und Nachtdienste mehr machen dürfen – wohl zu lästig.

Ist es schwer, das zu beweisen?

Das ist der Punkt: Heutzutage liegt die Beweislast beim Arbeitnehmenden. Hätten wir das Diskriminierungsmerk­mal Elternschaft, wäre es anders herum. In Österreich etwa ist das schon so. Dort heißt es, dass niemand in Bezug darauf, dass er Kinder hat oder nicht, diskriminiert werden darf. Allerdings ist das noch ans Merkmal "Geschlecht" gekoppelt. 

Gibt es Zahlen dazu, wie oft Eltern im Beruf benachteiligt werden?

Nein, und das zeigt auch, wie stiefmütterlich das Thema in der Vergangenheit behandelt worden ist. Allerdings sagt auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass arbeitende Eltern häufig benachteiligt werden. Ein Großteil der Beschwerden, die eingehen, stammt aus diesem Bereich. Bis zum Herbst will die Stelle Zahlen liefern.

Für die Gesetzesänderungen treten Sie seit Jahren ein. Die Initia­tive #proparents haben Sie aber erst in diesem Jahr gegründet. Welche Rolle spielt die Pandemie?
Corona legt offen, was schon seit Langem schiefläuft. Die Pandemie bietet die Chance, Schwachstellen klar zu benennen.

Außerdem muss Deutschland bis 2022 die sogenannte EU-Vereinbarkeitsrichtlinie umsetzen. Diese soll für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sorgen und explizit Pflegende (also nicht nur Eltern) vor Benachteiligungen schützen. In diesem Zusammenhang steht unser Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ohnehin auf dem Prüfstand.

Es ging nun viel um Mütter. ­Welche Rolle spielen die Väter?

Eine große. Auch sie erfahren Benach­teiligung, wenn sie mehr für ihre Fa­­mi­lien da sein wollen – und schrecken des­halb oft davor zurück. Väter, die mehr als zwei Monate Elternzeit an­melden oder Teilzeit beantragen, wer­den immer häufiger auf das Ab­stell­gleis gestellt oder verlieren ihren Job nach der Elternzeit. Ich bin davon über­-
zeugt: Die Ergänzung der Dis­kri­minie­rungsmerkmale wäre ein echter Gamechanger in der geschlechtergerechten Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Hat die Politik bereits reagiert?

Ja, und die Signale, die vor allem von familienpolitischen Sprecher:innen und Nachwuchs-Politiker:innen kamen, sind positiv. Um unserem Anliegen noch mehr Gehör zu verschaffen, sammeln wir zudem Stimmen für eine Pe­tition, die wir diesen Monat dem Bundestag übergeben wollen.