Sauberwerden: Weg mit der Windel!

Windel adé! Ab einem bestimmten Zeitpunkt wollen Kinder trocken werden
© W&B/Martin Ley
Wie, du wickelst immer noch?", "Was, dein Kind ist noch nicht trocken?" – die Windelfrage steht auf der Nerv-Skala von Eltern ganz weit oben. Hat der Nachwuchs erst einmal das zweite Lebensjahr vollendet, wird man damit ständig konfrontiert, egal ob auf dem Spielplatz oder in der Kita. Rückt der Kindergarten-Start in sichtbare Nähe, steigt der Druck, und man fragt sich: Sollen wir jetzt striktes Töpfchen-Training starten, schließlich kommen andere Kinder auch längst ohne Windel aus?
Reifungsprozess verläuft unterschiedlich schnell
"Das Sauberwerden ist ein Reifungsprozess", sagt Astrid Sult, die am Berliner Institut für Frühpädagogik Seminare zur Sauberkeitsentwicklung für Erzieherinnen und Kindertagespflegepersonen gibt. Und dieser Prozess, so die Expertin, laufe individuell ab. "Manche Kinder interessieren sich mit 18 Monaten für das Töpfchen, andere wissen auch mit 24 Monaten noch nicht, was sie da machen sollen", erklärt Sult. "Beides ist ganz normal." Damit ein Kind sich überhaupt auf das Abenteuer Sauberwerden einlassen kann, muss es bestimmte Entwicklungsschritte vollzogen haben. Die Nervenbahnen zwischen Blase beziehungsweise Darm und Gehirn müssen so ausgereift sein, dass das Kind eine volle Blase oder den Drang im Darm überhaupt wahrnehmen kann. Im nächsten Schritt folgt das Deuten der Körpersignale und dann das Kontrollieren der Schließmuskeln, erst tagsüber, später nachts.
Studien: Druck ist kontraproduktiv
Diese Reifungsschritte lassen sich von außen nicht beeinflussen. Das bedeutet auch: "Sauberwerden ist kein Erziehungserfolg der Eltern", sagt Astrid Sult, die immer wieder erlebt, welchen Druck sich Mütter und Väter machen, wenn ihr Kleines "immer noch nicht so weit ist". Studien zeigen sogar, dass zu frühes, strenges Töpfchentraining den Prozess des Sauberwerdens verlängern kann. Denn Blase und Darm reagieren empfindlich auf Stress. Für das große und kleine Geschäft ist aber Entspannung notwendig. Deshalb raten Experten Eltern dazu, sich zu gedulden und dem Tempo des Kindes anzupassen. "Mit der Sauberkeitsentwicklung klappt es am besten, wenn das Kind selbst es lernen will", sagt Sigrun Eder, Psychologin und Autorin aus Salzburg. Wann es so weit ist, erkennen Eltern an den verschiedenen Start-Signalen, die die Kleinen zeigen.
Auch wenn Eltern das Tempo des Sauberwerdens nicht bestimmen können, sind sie wichtige Begleiter in dieser Phase. "Sie können ihr Kind genau beobachten und dann im passenden Moment das Töpfchen anbieten oder dem Kind auf die Toilette helfen – ganz ohne Druck", sagt Sigrun Eder. Gleiches gilt auch, wenn das Kleine von sich aus sagt, dass es Pipi oder Kacka machen möchte.
Praktische Voraussetzungen schaffen
"Zu Beginn geht es oft in die Hose, wenn man nicht schnell genug ist. Denn das Kind spürt den Druck in Blase und Darm anfangs sehr kurzfristig", erklärt die Salzburger Psychologin. Doch je häufiger die Kleinen dieses Gefühl erleben, umso besser lernen sie es zu deuten und frühzeitig zu erkennen. Deshalb können Kinder ihren Stuhl meist eher kontrollieren. Die Signale sind eindeutiger.
Damit Kleine schnell auf das Töpfchen oder die Toilette kommen, sollten die praktischen Voraussetzungen stimmen. Ideal ist es, den Toilettendeckel offen zu lassen und direkt vor dem Klo einen Schemel hinzustellen. Für die Toilette eignen sich spezielle Aufsätze. Auch die passende Kleidung macht vieles leichter. "Kinder, die sich erst den Body aufknöpfen oder eine Latzhose ausziehen müssen, sind einfach nicht so schnell", sagt Pädagogin Sult. Und: Windelhöschen erlauben mehr Selbstständigkeit als Windeln. Wenn Kleine im Sommer zu Hause im Garten nackt herumlaufen dürfen, müssen sie besonders wenig Hindernisse überwinden.
Wichtigste Regeln: Reagieren und loben
Gerade in der Anfangsphase sind viele Pipi-Ankündigungen des Kindes Fehlalarm. "Passiert das abends vorm Schlafengehen, würde ich als Mutter es am liebsten ignorieren, weil die Kleinen dann sowieso eine Windel anhaben", erzählt Sigrun Eder, die zweijährige Zwillinge hat. Aber Eltern sollten auf jede Meldung des Kindes reagieren. Wenn kein Klo in der Nähe sei oder der Toilettengang aus Zeitgründen schwierig, könne man das Kind mal vertrösten. Zur Regel sollte das nicht werden. Tun Eltern nämlich die Meldung als unwichtig ab, ignoriert das Kleine den Vorgang künftig. "Kinder sind darauf angewiesen, dass ihre Bezugspersonen ihnen bei diesem Entwicklungsschritt helfen", sagt Eder. Deshalb solle man sein Kind immer dafür loben, dass es die volle Blase gespürt hat, auch wenn es zu spät war. So hat es kleine, wichtige Erfolgserlebnisse.
Kleine Unfälle akzeptieren
Der Abschied von der Windel ist nicht nur ein individueller Prozess, sondern auch einer, zu dem kleine Missgeschicke gehören. "Auf keinen Fall dürfen Eltern schimpfen, wenn das Geschäft in die Hose geht", sagt Astrid Sult. Sie rät Eltern: "Nehmen Sie Ihr Kind in den Arm, trösten Sie es, und machen Sie das Ganze nicht zu sehr zum Thema." In dieser sensiblen Phase erleben Kinder jedes Missgeschick ohnehin als Niederlage. Gut zu wissen: Zwischen dem ersten Mal ohne Windel und dem Zeitpunkt, wo der Nachwuchs ganz sauber ist, können mehrere Jahre vergehen. In dieser Zeit lohnt es sich, immer Wechselkleidung und eine Plastiktüte (für die nassen Klamotten) dabeizuhaben. Und auch nach dem vierten Geburtstag, wenn die meisten Kinder den Toilettengang alleine bewältigen, brauchen sie Hilfe beim Abputzen und die Erinnerung an das Händewaschen.
Trotzdem weiter kuscheln
Der Abschied von der Windel fällt Kindern manchmal auch schwer, weil sie die Nähe vermissen, die beim Wickeln entsteht. Mama küsst und kitzelt den Bauch, Papa plaudert mit dem Nachwuchs. "Windelwechseln hat viel mit Beziehungspflege zu tun. Durch das Sauberwerden fällt diese Zuwendung aber weg", erklärt Eder. Damit Kinder auch weiterhin die Aufmerksamkeit von Mama und Papa bekommen, empfiehlt sie, gezielt Kuscheleinheiten einzulegen.
"Die meisten Probleme bei der Sauberkeitsentwicklung sind Scheinprobleme, die durch falsche Erwartungen und falschen Rat entstehen", sagt Sult. Viele Eltern beginnen das Sauberkeitstraining zu früh, angespornt vom eigenen Ehrgeiz. Das kann nicht gelingen – und verstärkt den Druck nur. Deshalb, so der Rat der Expertin: "Akzeptieren Sie, dass sich dieser Prozess Ihrem Einfluss entzieht." Es ist nur einer von vielen. Die Kleinen wissen selbst gut, was sie brauchen und können.