Was tun, wenn mein Kind stottert?
Es passiert meist von heute auf morgen. Ganz ohne Ankündigung. K-k-k-katze statt Katze. Pi-pi-pi-pizza statt Pizza. Einfachste Wörter wollen dem Kind nicht mehr flüssig über die Lippen kommen, stattdessen wiederholt es einen Laut oder eine Silbe. Manchmal stockt das Sprechen komplett, und ein ganzes Wort bleibt stecken.
Jungen stottern häufiger als Mädchen
"Fünf Prozent aller Kinder zwischen zwei und fünf Jahren fangen zu stottern an, Jungen häufiger als Mädchen", sagt Georg Thum, akademischer Sprachheilpädagoge und Leiter der Stotterberatungsstelle an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Als Ursache vermuten Wissenschaftler eine Veranlagung dafür, konkrete Auslöser lassen sich schwer festmachen. "Stottern entsteht in einer Zeit, in der sich ein Kind körperlich, geistig, sprachlich und emotional am schnellsten entwickelt. Viele Einflüsse aus diesen Bereichen können bei der Entstehung eine Rolle spielen", erklärt Thum.
Eltern trifft keine Schuld
Immer wieder erlebt der Sprachheilpädagoge, dass sich Eltern Vorwürfe machen. Sie geben sich die Schuld am Stottern ihres Kindes, weil sie zum Beispiel umgezogen sind oder sich getrennt haben. Aber Georg Thum beruhigt: "Das sind Zufälle. Ein einschneidendes Erlebnis kann der Auslöser sein, er bedingt das Stottern aber nicht. Es wäre womöglich zu einem späteren Zeitpunkt aufgetreten."
Noch eine gute Nachricht gibt es für Familien: Bei 80 Prozent der betroffenen Kinder geht die Sprechstörung von selbst wieder weg. Bei welchem Kind das passiert, lässt sich aber nicht sicher voraussagen. "Wir wissen zum Beispiel, dass das Stottern umso häufiger von alleine wieder aufhört, je früher es erstmalig aufgetreten ist", erklärt Georg Thum. Die Stärke der Symptome wiederum gibt keinen Aufschluss darüber, der Verlauf jedoch schon: Stottert ein Kind durchgehend über sechs Monate hinweg und verstärkt sich die Störung sogar, birgt das ein höheres Risiko, dass sie sich verfestigt. Schwanken die Symptome hingegen stark, ist es wahrscheinlicher, dass das Kind eines Tages wieder flüssig spricht.
Sofort eine Therapie?
Doch was bedeutet das für Eltern, deren Nachwuchs plötzlich zu stottern begonnen hat? Können sie einfach abwarten, wie sich alles entwickelt? Ja. "Erst nach drei Monaten empfehlen wir eine Therapie, falls die Symptome bis dahin nicht wieder von selbst verschwunden sind", sagt Georg Thum. Es sei denn: Das Stottern belastet das Kind, die Eltern oder die ganze Familie. "Wer einen Leidensdruck spürt, sollte sofort den Kinderarzt darauf ansprechen." Dieser kann eine Verordnung für eine Beratung ausstellen, die dann Tipps für den Umgang mit der Sprachstörung gibt. Eltern erhalten zudem Hilfe bei der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e. V. (www.bvss.de, Tel.: 02 21/1 39 11 06) oder auch bei der Stotterberatungsstelle der LMU (Tel.: 0 89/21 80 51 20).
Tipps zur Therapeutenwahl
Absolut falsch sei ein Rat, der betroffenen Eltern früher gerne gegeben wurde und auch noch heute kursiere: abwarten, bis das Kind in die Schule geht. "Das ist zu spät! Wir wissen, dass sich Stottern im Vorschulalter noch heilen lässt und sich mit beginnendem Schulalter das Fenster dafür schließt."
Wichtig für die Therapie: ein Experte, der sich gut mit der Sprachstörung auskennt. Drei Kriterien sollte der Therapeut erfüllen: 1. Er arbeitet nach einem anerkannten Therapieansatz (Informationen dazu gibt es ebenfalls auf der Homepage der BVSS). 2. Er hat Erfahrung mit Kindern im entsprechenden Alter. 3. Ein Elternteil darf bei der Therapie dabei sein. "Telefonieren Sie am besten wohnortnahe Praxen durch, und fragen Sie nach diesen drei Punkten", rät Georg Thum.
Stottern nicht bewerten
Entscheidend ist auch, dass sich Eltern ihrem stotternden Kind gegenüber richtig verhalten. Kinder merken selbst, wenn ihre Sprache steckenbleibt. "Trotz der Unterbrechungen erzählen sie aber munter weiter", sagt Sprachheilpädagoge Thum. Und damit zeigen sie ihren Eltern ziemlich genau, was sie brauchen: dass ihnen trotz des Stotterns zugehört und dieses vor allem nicht bewertet wird. "Nur wenn ein Kind gespiegelt bekommt, dass mit seinem Sprechen etwas nicht stimmt, entwickelt es ein Störungsbewusstsein", erklärt Georg Thum.
Und das kann weitreichende Folgen haben: Das Kind will nicht mehr mit anderen spielen, zieht sich zurück, vermeidet im schlimmsten Fall das Sprechen komplett. Reagieren Eltern angemessen, können sie einer solchen Entwicklung entgegenwirken.