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Im vergangenen Jahr wurde unübersehbar, wie wichtig digitale Prozesse sein können. Nicht nur im Arbeitsleben oder im Alltag, sondern auch im Bereich Gesundheit. So blickt manche:r sehnsüchtig Richtung digitaler Vorreiter wie Estland oder Israel. Denn in der Bundesrepublik ging es mit der Digitalisierung bisher eher schleppend voran.

Wobei im deutschen Gesundheitswesen in den vergangenen Monaten sehr wohl Fortschritte erkennbar sind. Das "Digitale-Versorgung-Gesetz", das erste Digital-Gesetz vom Bundesgesundheitsministerium, sorgt seit 2019 für Aufwind.

Genau dieses Gesetz ebnete auch den Weg für Deutschlands digitalen "Coup": die "Apps auf Rezept", in Fachkreisen auch Digitale Gesundheitsanwendungen, kurz DiGA, genannt. Sie ermöglichen es erstmals, dass digitale Programme direkt von Ärzt:innen auf Rezept verschrieben werden können. Das gibt es bisher in keinem anderen Staat. Angesichts dessen von Deutschland als Digital-Nation zu sprechen, ist vielleicht zu optimistisch. Doch es kommt Bewegung in die Sache.

DiGA als Leuchtturm für digitale Gesundheit

Für die digitale Gesundheitsversorgung sind DiGA mittlerweile so etwas wie ein Leuchtturm: Sie sorgen international für Ansehen. Und sie zeigen, was möglich ist, wenn Digitalisierung mit vereinten Kräften vorangetrieben wird. Gleichzeitig sind wir mit den Apps auf Rezept noch lange nicht am Ziel. Wenngleich einzelne Behandlungen jetzt digital erfolgen können, ist damit noch keine umfassende Digitalisierung der Branche erreicht. Auch die Prozesse zwischen Ärzt:innen, Patient:innen, Apotheken und anderen Beteiligten müssen digital erfolgen. Wesentlich sind dafür zum Beispiel die elektronische Patientenakte (kurz ePA) und das eRezept, die in diesem beziehungsweise dem kommenden Jahr nutzbar werden sollen.

Das Ziel muss sein, dass die gesamte Nutzererfahrung von Patient:innen reibungslos, intuitiv und digital unterstützt abläuft: von der Terminbuchung über den Arztbesuch bis zur Einlösung des Rezepts. Die Gesundheitspolitik, aber auch Unternehmen aus der Branche, Ärzt:innen, Apotheker:innen, Krankenkassen und Patient:innen selbst können ihren Beitrag dazu leisten, den Weg dorthin mitzugestalten.

Digitalisierung bedarf Gesundheitskompetenz

Digitalisierung muss demokratisch sein. Denn vom digitalen Gesundheitswesen sollen alle profitieren. Dafür muss die Gesundheitskompetenz der Bürger:innen gestärkt werden: Dank neuer Tools erhält jede:r mehr Möglichkeiten, die eigene Gesundheit mitzugestalten. Wiederum liefern digitale Programme eine Vielzahl an Informationen und Daten, die einen verantwortungsvollen Umgang erfordern. Für diesen bedarf es Wissen - Wissen darüber, wo seriöse Quellen zu finden sind und welche Informationen glaubwürdig sind. Digitalisierung und Gesundheitskompetenz müssen ineinandergreifen.

Neue Rolle für Ärzt:innen

Trotz Digitalisierung wird der persönliche Kontakt zu Ärzt:innen nicht überflüssig sein. Denn medizinisches Fachwissen und persönliche Erfahrung werden auch künftig entscheidend für Therapieerfolge sein. Doch der Kontakt zwischen Ärzt:innen und Patient:innen wird sich mit zunehmender Digitalisierung verändern. Beteiligte werden in neue Rolle schlüpfen. Neue digitale Programme müssen beiden nützen, Ärzt:innen und Patient:innen. Sie müssen sich einfach in den (Praxis)alltag integrieren lassen. Denn Digitalisierung kann nicht zum Selbstzweck stattfinden.

Bessere Voraussetzungen für digitale Innovationen

Aus der Perspektive eines Unternehmers kann ich sagen: Wer mit einem Start-up im Gesundheitswesen echten Nutzen stiften will, sollte den Markt nicht unterschätzen. Der Gesundheitsmarkt ist stark reguliert und äußerst komplex. Es erfordert Know-how, darin seinen Platz zu finden. Bisher gab es kaum Strukturen, die es für junge Unternehmen vereinfacht hätten, in diesen Markt einzusteigen. Das ist einer der Gründe, warum es digitale Geschäftsmodelle im Gesundheitswesen bisher schwer hatten. Mit den neuen Digital-Gesetzen, die das Bundesgesundheitsministerium nun fokussiert, bewegt sich hier einiges zum Guten.

Konkurrenz durch US-Unternehmen

Viele aktuelle Modelle wie DiGA, Videosprechstunden oder das eRezept, zeigen, dass digitale Lösungen auf wachsendes Interesse stoßen. Die Akzeptanz solcher Angebote nimmt bei Patient:innen und medizinischem Fachpersonal zu. Gleichwohl dürfen wir jetzt nicht locker lassen. Denn im US-amerikanischen Raum stehen bereits die Tech-Unternehmen in den Startlöchern. Für sie ist der deutsche Gesundheitsmarkt attraktiv und so entwickeln sie im Rekordtempo neue Angebot und Konzepte. Wenn wir ein faires, sicheres und zukunftsfähiges digitales Gesundheitswesen in Deutschland aufbauen wollen, gibt es noch viel zu tun. Jedes einzelne Digital-Projekt ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg dorthin.

Zur Person

  • Henrik Emmert ist Mitgründer und Geschäftsführer des Digital Health-Unternehmens aidhere GmbH, das mit dem Programm zanadio die erste digitale Adipositas-Therapie entwickelt hat. zanadio wurde im Herbst 2020 als eine der ersten Digitalen Gesundheitsanwendung oder "Apps auf Rezept" zugelassen. Henrik Emmert ist außerdem Vorstandsmitglied des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung e.V.