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Wie nehme ich Medizin richtig ein? Was muss ich beachten, damit sie gut wirkt und mit welchen Nebenwirkungen muss ich rechnen? Diese und viele weitere Informationen sind auf Beipackzetteln zu finden. Die Hinweise sind lebenswichtig und sollten vor Einnahme eines Medikaments unbedingt gelesen werden. Für Gehörlose oder Menschen mit einer anderen Hörbehinderung ist das oft nicht möglich. Der Grund: Die Gebärdensprache ist eine andere Sprache als die Deutsche Schriftsprache, entsprechende Übersetzungen fehlen bislang in Beipackzetteln.

Der virtuelle Apotheker erklärt den Beipackzettel in Gebärdesprache

Der virtuelle Apotheker erklärt den Beipackzettel in Gebärdesprache

Das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim will diese Informationslücke jetzt mit einem Gebärdensprach-Avatar schließen. Die Idee des Unternehmens: Der digitale Helfer übersetzt und erklärt Begriffe zur Anwendung und Handhabung eines Medikaments in animierter Gebärdensprache. Der Weg zum Avatar führt über einen QR-Code, der auf dem Beipackzettel hinterlegt ist. Per Scan des Codes öffnen sich Erklärvideos, die den Inhalt der Beipackzettel in Gebärdensprache übersetzen.

Lexikon für Fachbegriffe

Ein weiteres Feature des Avatars ist ein Lexikon für Fachbegriffe. Boehringer Ingelheim ist nach eigenen Angaben das erste Pharmaunternehmen, das ein solches Angebot schafft. Doch wie hilfreich ist es für Betroffene? Der Deutsche Gehörlosen-Bund (DGB) begrüßt die Einführung des Avatars, weist aber auch auf dessen eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit hin. „Grundsätzlich bedeutet jede Nicht-Übersetzung eine Diskriminierung der Gehörlosen und eine fortbestehende Des-, beziehungsweise Nicht-Information“, sagt Dr. Ulrike Gotthardt vom DGB. Zwar seien reale Dolmetscher:innen künstlichen vorzuziehen, doch gebe es hiervon ohnehin viel zu wenige.

Der DGB betont zudem die derzeit schlechte Ausgangslage in Sachen Informationsbeschaffung für Gehörlose. „Das Informationsangebot für Gehörlose ist weit weniger als minimal zu bezeichnen“, sagt Gotthardt. Das treffe auch auf Beipackzettel zu. Nach Ansicht des DGB können gerade hier Avatare eine gute Option sein, Abhilfe zu schaffen. Mit Blick auf Qualität und Nutzen eines solchen digitalen Helfers, sieht der Interessenverbund ein zentrales Kriterium: gehörlose „native signers“ und gehörlose Fachleute müssten an der Entwicklung beteiligt werden, als „Betroffene als Experten in eigener Sache“.

Übersetzungs-Apps: entweder schlecht oder nicht vorhanden

Betroffene in die Entwicklung des Avatars mit ins Boot zu holen sei gerade für die Übersetzung von Fachbegriffen wichtig. „Sie können abschätzen, inwieweit der Fachbegriff den durchschnittlichen Gehörlosen bekannt ist und bei fehlender Gebärde mittels des Fingeralphabets buchstabiert werden kann oder in anderem Fall kurz inhaltlich erklärt werden muss“, sagt Gotthardt.

Der aktuelle Nachholbedarf im Bereich der Übersetzungsmöglichkeiten für gehörlose Menschen ist eklatant. Zwar gebe es Apps, die Lautsprache in Schriftsprache übersetzen, nach Einschätzung des DGB ist deren Qualität aber „sehr dürftig“, sie seien zudem nicht für alle Menschen gut nutzbar und geben in manchen Situationen sogar „ganz ihren Geist auf“. Noch schlechter sieht es für Übersetzungen von Laut- in die Gebärdensprache aus: Eine solche App ist dem DGB im deutschsprachigen Raum nicht bekannt.