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Eine rote und zwei blaue Tabletten morgens, zwei gelbe und eine weiße Pille dann am Abend. 43 Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland nehmen täglich mehr als fünf verschiedene Medikamente. Am häufigsten gegen hohen Blutdruck, schlechte Cholesterinwerte, Herzschwäche und Diabetes. Auch Schmerzmittel und Arzneien gegen Depressionen, Parkinson oder Demenz-Erkrankungen sind stark vertreten. So wichtig die Mittel für die Gesundheit sind – sie können Nebenwirkungen haben und sich gegenseitig beeinflussen.

Was viele Patientinnen und Patienten nicht wissen: Das Risiko für unerwünschte Effekte steigt mit dem Alter. Leber und Nieren ­arbeiten mit der Zeit schlechter, Medikamente werden langsamer abgebaut. Viele ältere Menschen reagieren zudem empfindlicher auf Wirkstoffe. Und wenn unterschiedliche Medikamente ähnliche Nebenwirkungen haben. sind diese stärker zu spüren. Umso wichtiger also, dass Sie Ihre Tabletten und die Risiken genau kennen. Doch woher bekommen Sie die notwendigen Informationen?

Die Priscus-Liste hilft

Auf dem Beipackzettel ist davon eher selten zu lesen. Während Mittel für Kinder zum Beispiel einer gesonderten Zulassung bedürfen, ist das bei älteren, mehrfach erkrankten Menschen nicht so. Im Gegenteil: Diese Gruppe wird bei Arzneimittelstudien oft wenig miteinbezogen. Deshalb gibt es seit 2010 die sogenannte Priscus-Liste. Die Version von 2022 umfasst 187 Medikamente, die für ältere Menschen ungeeignet sein können. Fachleute nennen sie kurz „PIM“, potenziell inadäquate Medikamente. Die Liste gibt Nebenwirkungen, maximale Therapiedauern und Höchstgrenzen für die Dosierung an und nennt Alternativen. Viele Ärztinnen und Ärzte verwenden sie bereits. Verbindlich ist sie allerdings nicht – obwohl sie hilft, ­unerwünschte Wirkungen von Arzneien zu verhindern. Prof. Dr. Petra Thürmann sieht großen Bedarf: „Auch vielen Ärztinnen und Ärzten sind diese Wirkungen immer noch wenig bekannt.“

Blutdrucksenker plus Schmerzmittel belastet Nieren

Die Direktorin des Philipp-Klee- Instituts für Klinische Pharmakologie am Helios Uniklinikum Wuppertal hat die Priscus-Liste federführend erstellt. Sie hofft, dass damit weniger älteren Menschen ungeeignete Arzneimittel verschrieben werden. Denn das passiert immer noch häufig: Jede und jeder Zweite über 65 Jahre bekam 2022 mindestens ein Präparat verschrieben, das zu unerwünschten Neben- oder Wechselwirkungen führen kann, so das Wissenschaftliche Institut der AOK. Relativ oft kommt es auch zu ungünstigen Kombinationen. Ein Paradebeispiel dafür sei ein dreifacher Angriff auf die Nieren, erklärt Dr. Beate Mussawy, Apothekerin am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. Herz- und Kreislaufkranke müssten häufig nierenbelastende Blutdrucksenker und Entwässerungstabletten schlucken. „Nehmen sie zusätzlich ein entzündungshemmendes Schmerzmittel wie Ibuprofen ein, etwa wegen Gelenkschmerzen, können die Nieren versagen“, warnt Mussawy.

Um Risiken zu minimieren, ist es wichtig, dass man mit der Ärztin oder dem Apotheker über seine Medikamente spricht. Wer sich selbst informieren will: Die Broschüre „Medikamente im Alter“ des Ministeriums für Bildung und Forschung enthält die Priscus-Liste in verständlicher Sprache.

Eines Ihrer Medikamente steht auf der Liste? Besprechen Sie sich mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin. Bei Unsicherheiten können Sie auch in Ihrer Apotheke nachfragen. „Verdächtig sind etwa Situationen, in denen Beschwerden innerhalb von Tagen oder Wochen nach einer Medikations­umstellung neu oder ausgeprägter als sonst auftreten“, erläutert ­Expertin Thürmann.

Beratung in der Apotheke vor Ort

Wer längerfristig mehr als fünf Medikamente verordnet bekommen hat, kann in der Apotheke einmal jährlich eine erweiterte Medikationsberatung in Anspruch nehmen. Die Kosten trägt die Krankenkasse. Zum Termin bringen Sie alle Ihre Medikamente mit: ärztlich verordnete, rezeptfreie und Nahrungsergänzungsmittel. Die Apothekerin oder der Apotheker analysiert unter anderem, ob ungünstige Kombinationen darunter sind, und erstellt nach dem Gespräch einen Medikationsplan. Diesen können Sie in der Hausarztpraxis vorlegen. Bei Bedarf werden die Arzneimittel angepasst.

Drei Beispiele für ungünstige Kombinationen

  1. Diuretikum (Entwässerungsmedikament) + ACE-Hemmer (Blutdrucksenker) + NSAR (Schmerzmittel) -> Kann zu Nieren­versagen führen.
  2. Antidepressiva + Hypnotika (Schlafmittel) -> Die Kombi erhöht das Sturzrisiko. Kommen Blutdrucksenker oder Entwässerungsmedikamente dazu, steigt die Sturzgefahr weiter.
  3. Kortison-Präparat oder Gerinnungshemmer (zum Beispiel ASS) + NSAR (Schmerzmittel) -> Beides zusammen erhöht das Risiko
    für Magen-Darm-Blutungen.

Quellen:

  • Bundesministerium für Bildung und Forschung: Medikamente im Alter. Welche Wirkstoffe sind ungeeignet?. Broschüre online oder zum Bestellen: https://www.bmbf.de/... (Abgerufen am 06.02.2024)
  • Petra Thürmann, Nina-Kristin Mann, Anette Zawinell, et al.: Arzneimittel-Kompass 2022, Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen – PRISCUS 2.0. Springer Nature: https://link.springer.com/... (Abgerufen am 06.02.2024)
  • AOK: Priscus-Liste: potenziell ungeeignete Arzneimittel für ältere Menschen . online: https://www.aok.de/... (Abgerufen am 06.02.2024)
  • Universität Witten/Herdecke: Priscus 2.0, über das Projekt. https://www.priscus2-0.de/... (Abgerufen am 06.02.2024)
  • Pressemitteilung WidO, Wissenschaftliches Institut der AOK: Aktuelle Auswertung zeigt: Jeder zweite ältere Mensch erhält potenziell unangemessene Medikamente . online: https://www.wido.de/... (Abgerufen am 06.02.2024)
  • Francesco Lapi , Laurent Azoulay, Hui Yin, Sharon J Nessim, Samy Suissa: Concurrent use of diuretics, angiotensin converting enzyme inhibitors, and angiotensin receptor blockers with non-steroidal anti-inflammatory drugs and risk of acute kidney injury: nested case-control study . BMJ : https://doi: 10.1136/... (Abgerufen am 06.02.2024)