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Es waren viele Tränen, die ­Adelheid Leistner in diesem Moment über die Wangen kullerten. Die Botschaft musste sie erst mal verdauen. Die Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus hatten ihr nahegelegt, das Auto in Zukunft ­stehen zu lassen. Nach einem Sturz hatte sie sich einer Schulteropera­tion unterziehen müssen und konnte ihren rechten Arm nur noch zu 40 Prozent anheben. „Das wäre zu ­gefährlich in einer Gefahrensitua­tion, weil ich nicht schnell ­genug ­würde reagieren können“, ­erinnert sich die Seniorin aus Plauen (Sachsen) an die Worte des Arztes.

Am Auto hängt viel

Mit 71 sollte sie Abschied nehmen von ihrem Führerschein und den ­geliebten Reisen mit dem Auto durch Europa. Jede einzelne hat sie im ­Detail dokumentiert. Vor allem die erste nach der Wende vom Mai 1991 ist ihr in lebhafter Erinnerung. Aus dem Kopf zählt die heute 83-Jährige die Stopps des über 3600 Kilometer langen Trips auf, bei dem ihr Mann wie meistens Beifahrer war. „Plauen, Bodensee, Gardasee, Genua, Côte d’Azur, Nizza, dann über die ­Route Napoléon nach Genf, Montreux, Neuchâtel, Schwarzwald und zurück nach Plauen“, erzählt sie. „Fahren war mein Leben. Ich habe meinen Führerschein noch. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihn abzugeben.“ Mit einem Trabant fing alles an, ein grauer Audi 80 war das letzte Modell.

Noch lange selbst zu fahren ist für viele ältere Menschen auch eine emotionale Frage. Am Auto hängt viel: die Flexibilität, ­Einkäufe nach Lust und Laune zu erledigen. Die Möglichkeit, spontan Freunde und Familie zu besuchen oder in den ­Urlaub zu fahren. Auf der anderen Seite kann es gefährlich werden, wenn Reaktionsfähigkeit, Sehvermögen und Konzentration nachlassen. Der Abbau beginnt schleichend. Wer um die 60 ist, schneidet in der ­Unfallstatistik noch am besten ­unter allen Altersgruppen ab. Ab etwa 75 steigt das statistische Unfallrisiko pro Kilometer deutlich und erreicht das Niveau junger Fahranfänger.

Allerdings wollen sich die ­wenigsten älteren Fahrerinnen und Fahrer mit dem Thema auseinandersetzen, beobachtet Hausarzt Dr. Johannes Püschel aus Greven: „Meist wird die Frage der Fahrfähigkeit nicht durch die Patienten an uns heran-­getragen, sondern eher durch das ­soziale Umfeld, also Verwandte, Kinder, Enkelkinder, manchmal auch durch Pflegekräfte oder Nachbarn.“

Falsche Sicherheit

Für das Gespräch mit den ­Betroffenen brauche es Fingerspitzengefühl: „Für viele ältere Menschen ist die selbstbestimmte Mobilität der ­letzte Anker, der sie mit der Hochphase ­ihres ­Lebens verbindet.“ Auch sei die Überzeugung, trotz der fortgeschrittenen Jahre noch sicher am Steuer zu sein, weitverbreitet.

Adelheid Leistner hörte zwar auf den Rat der Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus. Ganz sein lassen konnte sie es aber nicht. Ab und zu bat sie ihren Sohn Jan, sich auf den Beifahrersitz zu setzen und ein kurzes Stück auf der Landstraße fahren zu dürfen. Nach mehreren Schlaganfällen kommt das heute nicht mehr infrage. „Wenn es ginge, würde ich schon“, sagt sie. „Ich war gerne flott unterwegs. Mich haben schnelle Autos immer fasziniert.“

Natürlich machte sich auch Jan Leistner seine Gedanken und hat seine Mutter darin bestärkt, sich nicht mehr hinters Steuer zu setzen: „Sie war damals hin- und hergerissen, hat aber selbst gemerkt, dass es gefährlich ist. Es fiel ihr zum Beispiel schwer, den Kopf nach hinten zu drehen. Ich war froh, dass ich sie nicht überreden musste.“

Fahrfitness erhalten

Hausarzt Püschel weiß, dass das nicht immer so läuft. Häufig sträubten sich die Betroffenen gegen den Rat der Angehörigen, das Autofahren bleiben zu lassen. „Daher rate ich Patientinnen und Patienten, einen Fahrlehrer zu bitten, mitzufahren und sich das Ganze anzuschauen.“ Wenn der Profi sage, es sei alles gut, ­wären auch die Angehörigen beruhigt. Kommt er zu dem Schluss, man ­solle besser nicht mehr fahren, ­könnten die ­Betroffenen dies eher ­annehmen als von Angehörigen.

Manche Fahrschulen bieten auch gezielte „Rückmeldefahrten“ an, die in erster Linie dem Erhalt der ­Fahrfitness im Alter dienen. An die praktische Fahrstunde schließt sich ein Gespräch an, in dem die Teilnehmenden Tipps zum sicheren ­Fahren erhalten. Studien zeigen, dass ­weniger Fahrfehler auftreten.

Die Fahrtauglichkeit hängt auch von der Gesundheit ab. Ist etwa der Diabetes schlecht eingestellt, sodass es immer wieder zu Unterzuckerungen kommt, sagt Püschel klar, dass man nicht fahren darf. Das erfährt keine Behörde, ist aber bindend und kann bei einem Unfall Folgen haben.

Im Nachhinein, sagt Adelheid Leistner, sei sie froh, rechtzeitig mit dem Fahren aufgehört zu haben. Sie hat gelernt, damit umzugehen. Sie nimmt die Straßenbahn, findet dank eines großen Bekanntenkreises auch immer jemanden, der sie zu Terminen bringt oder für sie einkaufen geht. Und das Reisen? „Ich habe so viel gesehen, ich dürfte ­eigentlich keine Sehnsucht mehr haben“, sagt Leistner. Ganz ohne geht es aber doch nicht. Zuletzt war sie mit dem Bus in Meißen, Dombesuch mit ­Orgelkonzert: „Herrlich!“

Sicher fahren: noch fit am Steuer?

• Lassen Sie regelmäßig Ihr Sehvermögen untersuchen – am besten jährlich. Auch gutes Hören ist wichtig für Ihre Fahrtauglichkeit.

• Sprechen Sie mit Ihrer Hausärztin oder Ihrem Hausarzt vertrauensvoll über das Thema.

• Anzeichen, dass die ­Fahrtauglichkeit nicht mehr so gut ist, sind etwa: Der Blick zurück über die Schulter fällt Ihnen schwer. Sie können die Motorengeräusche anderer Autos nicht mehr so gut verorten. Sie hatten in letzter Zeit Unfälle oder auch ­„Beinahe“-Unfälle.

• Viele Medikamente ­beeinflussen die Sicherheit beim Fahren, besonders in der Einstellungsphase. Lassen Sie sich in der ­Apotheke beraten.

• Fragen Sie bei Fahrschulen vor Ort nach einem „Fahrfitness-Check“ oder einer „Rückmeldefahrt“ (Kosten circa 75 bis 100 Euro).


Quellen:

  • Statistisches Bundesamt: Ältere Autofahrerinnen und -fahrer sind bei Unfällen häufiger Hauptverursachende. Pressemitteilung: https://www.destatis.de/... (Abgerufen am 11.01.2024)
  • Huwiler K, Uhr A, Hertach P: Altersbasierte verkehrsmedizinische Kontrolluntersuchungen: Evaluation des Schweizer Systems. Fachdokumentation der Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU Bern: https://www.bfu.ch/... (Abgerufen am 11.01.2024)
  • Inada H, Tomio J, Nakahara S et al.: Association between mandatory cognitive testing for license renewal and motor vehicle collisions and road injuries. Journal of the American Geriatrics Society: https://agsjournals.onlinelibrary.wiley.com/... (Abgerufen am 11.01.2024)
  • Siren A, Meng A: Cognitive screening of older drivers does not produce safety benefits. Accident Analysis & Prevention: https://www.sciencedirect.com/... (Abgerufen am 11.01.2024)