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SENIOREN RATGEBER: Im Alter häufen sich Beschwerden, vieles wird anstrengend, die eigene Endlichkeit rückt näher. Da liegt die Vermutung auf der Hand: je älter der Mensch, desto unglücklicher …

Esch: Aber das stimmt nicht. Schon früh habe ich in meiner Forschung Hinweise darauf gefunden, dass die Lebenszufriedenheit nicht wie lange vermutet über die Lebenszeit automatisch abnimmt.

Sondern?

Wir wissen heute: In Sachen Zufriedenheit haben Menschen ihren ­statistischen Tiefpunkt im mittleren Teil des Lebens. Danach kommt es zu einem Anstieg, der weit über das Niveau der Jüngeren geht. Die glücklichsten Menschen sind demnach die Alten!

Krimiautorin Agatha Christie sagte mal: Glück misst man nicht nach Länge oder Breite, sondern nach Tiefe. Meinte sie das reife Glück?

Das Zitat beschreibt jedenfalls ganz treffend, was wir für diese Gruppe herausgefunden haben. Ich selbst spreche gern von Glückseligkeit, andere verwenden den Begriff Weisheit. Bei Aristoteles finden wir die Vorstellung vom Lebenslohn, der gezahlt wird. Auf jeden Fall hat das späte Glück mit Ankommen zu tun.

Und das jüngere Glück?

Das Glück der Jugend ist Aufbruch, Abenteuer, Vorfreude. Bei Messungen im Labor sehen wir: Es ist vom Hormon Dopamin getrieben – und vergänglich. Es muss vergänglich sein, denn kein Mensch könnte einen Höhenflug nach dem anderen aushalten. Wir brauchen auch Orte im Gehirn, wo sich die Dinge wieder beruhigen können. Der Zustand der Erleichterung tritt ein, wenn eine schwierige Situation nachlässt.

Zum Beispiel?

Ein Konflikt in der Familie konnte vielleicht gelöst werden, ein anstrengender Arbeitstag ist überstanden, nach einer Krankheit geht es wieder bergauf. Allein das Zur-Ruhe-Kommen, die Entspannung nach dem Stress, macht jetzt glücklich. Wir sprechen auch von einem Glück, das ein Nichterleben von Unglück ist –ein Moment des Durchatmens.

Glücklich sein, weil man nicht unglücklich ist? Das klingt etwas ernüchternd.

Das fand ich auch. Umso mehr hat es mich gefreut, als ich vor ein paar Jahren während einer Gastprofessur in den USA Hinweise fand, die meine Vermutung bestätigten: Es gibt noch eine dritte Form des Glücks. In Harvard hatte ich die Möglichkeit, Daten aus über 40 Jahren Glücksforschung einzusehen, mit Aussagen von insgesamt etwa 200 000 teilnehmenden Frauen und Männern. Durch die Bank zeigte sich: Das Bild vom Abbau ab der ­Lebensmitte stimmt – aber nur in Bezug auf die körperliche Gesundheit, nicht auf die generelle Zufriedenheit. Da kehrt sich die Kurve um. Inzwischen haben Studien dieses „Zufriedenheitsparadoxon“ in über 140 Ländern bestätigt.

Aber sind die Lebensumstände weltweit nicht sehr unterschiedlich?

Wie gesagt, die Ergebnisse waren überall ähnlich. Übrigens auch bei Menschen, die durch eine oder gar mehrere chronische Erkrankungen belastet waren.

Können wir uns das Glück auch gezielt ins Leben holen?

Bewegung, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf, gute Beziehungen oder auch bestimmte Denkmuster – all das kann das Glücksempfinden nachweislich steigern. Aber selbst wenn man diese Faktoren ausblendet, bleibt der offensichtlich wichtigste Treiber für Glücksempfinden im Alter bestehen: das Älterwerden selbst.

Was für ein schönes Geschenk!

Aber das Geschenk kommt keineswegs nur von außen. Mir persönlich gefällt das Bild vom abgeernteten Feld: Ich sehe die Stoppeln, aber es frustriert mich nicht, weil ich den Speicher voll habe.

Und wenn der Speicher nicht ganz so voll ist? Weil zum Beispiel der Kontakt zu den Kindern gestört ist?

Es ist richtig: Um im Alter Glück zu empfinden, brauchen wir ein paar Leitplanken. Aber diese Leitplanken sind relativ weit. Angenommen, jemand hat ständig Schmerzen, muss einen belastenden Verlust verkraften und hat noch Streit mit den Kindern – dann ist die Herausforderung möglicherweise so groß, dass er oder sie nicht dazu kommt, Glück zu empfinden. Doch das ist eher Ausnahme als die Regel. Bei fast 90 Prozent konnten wir im Rahmen von Befragungen trotz Einschränkungen ein großes Glücksempfinden feststellen.

Wie kommt es, dass das Leben im Alter so nachsichtig mit uns wird?

Eine wichtige Rolle spielt der Erfahrungsschatz. Von wegen: Das hatte ich schon, das war nicht schön, das wird aber wieder. Man hat erlebt und überlebt. An derlei Erfahrungen lässt sich gerade in Krisenzeiten anknüpfen. In der Forschung sprechen wir auch von kristalliner Intelligenz. Die ist aber nur ein Aspekt.

Was erklärt die Gelassenheit noch? Dass wir weniger stark auf negative Emotionen reagieren. Dafür werden positive Emotionen wie mit einem Schwamm aufgesogen. Ein Kinderlächeln zum Beispiel oder die ersten Krokusblüten im Frühjahr: Mehr braucht es jetzt oft gar nicht, um Glück zu empfinden.

Entsteht Glück auch, wenn wir anderen Gutes tun, etwa in der Rolle als Oma oder Opa?

Generell können alte Menschen jungen etwas geben, wozu die mittlere Generation oft nicht in der Lage ist. Überspitzt: Mama und Papa stehen kurz vor dem Burn-out, aber die Großeltern sagen: „Alles wird gut.“ Weil sie wissen, dass es so ist. Sie haben es ja erlebt. Ältere Menschen sehen die turbulente Welt und bleiben trotzdem gelassen.

Welch beneidenswerte Zuversicht!

Absolut. Wir tun gut daran, wieder mehr in den generationsübergreifenden Austausch zu gehen. Wir brauchen eine Gesellschaft, die die Schönheit des Alters sichtbar macht.


Quellen:

  • Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung: Sozio-oekonomisches Panel, SOEP. DIW Berlin: https://www.diw.de/... (Abgerufen am 13.06.2023)
  • David G. Blanchflower: Is happiness U-shaped everywhere? , Age and subjective well-being in 145 countries. Journal of Population Economics: https://link.springer.com/... (Abgerufen am 13.06.2023)
  • Tobias Esch: The ABC Model of Happiness, Neurobiological Aspects of Motivation and Positive Mood, and Their Dynamic Changes through Practice, the Course of Life. Universität Witten Herdecke: https://www.uni-wh.de/... (Abgerufen am 13.06.2023)