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Nachts mal auf die Toilette müssen, vor allem wenn man viel getrunken hat, damit lässt es sich leben. Doch wenn die Blase sich Tag und Nacht immer wieder ganz plötzlich meldet, so drängend, dass man es kaum noch halten kann, dann ist das für die Betroffenen sehr belastend. Gerade weil dabei nicht selten auch Urin ungewollt abgeht. Durchschlafen und erholt aufwachen? Undenkbar. Ein Gang ins Theater? Aus der Vorfreude wird Furcht, zu oft aufstehen zu müssen oder am Ende mit feuchter Unterhose dazusitzen. Ein Tagesausflug ins Umland? Lieber nicht, gerade wenn das Programm viel Zeit unterwegs vorsieht, wo nicht immer eine Toilette in der Nähe ist.

Vor allem ein Frauenproblem

Den Leidensdruck durch solche Situationen kennen viele Menschen: Ständiger Harndrang, auch als ­Dranginkontinenz bezeichnet, ist die häufigste Form der Blasenschwäche im fortgeschrittenen Alter. Expertenschätzungen zufolge sind knapp zehn Prozent aller Männer betroffen, bei Frauen sind es sogar doppelt so viele. Trotzdem redet darüber natürlich niemand gerne. „Leider ist das Thema Blasenschwäche bei vielen Menschen noch ein Tabu“, sagt Professor Felix Chun, Direktor der Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Doch wer die Scham ablegt und sich Hilfe sucht, dem kann häufig der Hausarzt weiterhelfen. Falls nötig, wird er an einen Urologen überweisen.

Zunächst gilt es herauszufinden, welche Ursachen die Dranginkontinenz hat, und davon gibt es viele. Am häufigsten sind altersbedingte Veränderungen der Blase. Aber auch eine Nervenstörung kommt infrage, ebenso wie eine Blasenentzündung oder ein Mangel am weiblichen Geschlechtshormon Östrogen. Entsprechend erfordert die Diagnostik von den Ärzten Detektivarbeit: „Wenn eine Patientin oder ein Patient mit Dranginkontinenz zu uns kommt, lassen wir uns erst einmal genau die Umstände beschreiben, zum Beispiel wann und wie oft die Probleme auftreten. Das gibt häufig schon erste Hinweise auf die Ursache“, sagt Chun.

Neben einer körperlichen Untersuchung kommt dann manchmal auch die sogenannte Urodynamik zum Einsatz: Dabei bekommt man einen Katheter gelegt, über den Flüssigkeit in die Blase eingeführt wird. So lässt sich feststellen, ab welchem Füllstand der Blase man Harndrang verspürt und wann tatsächlich Urin ausgeschieden wird. Mithilfe von Sensoren auf der Haut lassen sich die Druckverhältnisse messen. „Die Untersuchung liefert wertvolle Erkenntnisse über mögliche Ursachen“, sagt Chun.

Die innere Mitte stärken

Die Behandlung richtet sich nach der Ursache und den Beschwerden. In vielen Fällen hilft einfache Beckenbodengymnastik: Das sind Übungen, mit denen sich die Muskulatur im Beckenboden, der die Blase umgibt, trainieren lässt. Die Ärztin oder der Arzt kann dafür eine Physiotherapie verschreiben. In den Sitzungen zeigen und erklären die Therapeuten geeignete Übungen. Viele lassen sich fast überall machen, ob beim Einkaufen in der Warteschlange an der Kasse oder zu Hause vor dem Fernseher. Eine einfache Übung ist etwa das „Murmelgreifen“: Dabei stellt man sich vor, im Sitzen mit den Muskeln in Po und Beckenboden eine Murmel zu umschließen. Im Idealfall nimmt man sich beispielsweise dreimal am Tag jeweils zwei Minuten Zeit für das Blasentraining, sodass es irgendwann zum Alltag gehört wie das Zähneputzen. „Damit lässt sich häufig das Problem schon in den Griff bekommen“, sagt Chun.

Es gibt auch eine Reihe von Medikamenten, die man bei Dranginkontinenz einnehmen kann. Sie sorgen zum Beispiel dafür, dass ein überaktiver Blasenmuskel sich beruhigt. „Diese Medikamente helfen vielen Patientinnen und Patienten“, sagt Chun. Wegen der häufigen Nebenwirkungen müssen aber manchmal mehrere Präparate ausprobiert werden, bis ein passendes gefunden ist. Bessern sich die Beschwerden nicht, kann je nach Ursache auch ein chirurgischer Eingriff Abhilfe schaffen. Dabei können etwa Elektroden eingesetzt werden, die die Erregung des Blasenmuskels dämmen. Das ist aber nur sehr selten nötig.

Rezeptfreies aus der Apotheke

Bei einer nur leichten Dranginkontinenz können manchmal auch rezeptfreie pflanzliche Mittel aus der Apotheke helfen und etwa die Beckenbodengymnastik wirksam ergänzen. „Bewährt haben sich Präparate mit Sägepalmenfrucht und Brennnesselwurzel“, sagt Laura Schlechter, Apothekerin in Essen. Bei Männern, die mit ihrer Prostata Probleme haben, seien Kürbissamen zu empfehlen. „Diese wirken einer Vergrößerung der Prostata entgegen und haben damit auch eine entspannende Wirkung auf die Blase“, sagt Schlechter. Und wenn immer wieder kleine Mengen Urin tröpfeln, könnten auch Einlagen helfen.

Der entscheidende Schritt aber, um das Problem zu lösen, ist schon getan, wenn sich Betroffene damit frühzeitig ihrer Apothekerin oder ihrem Arzt anvertrauen. Niemand sollte sich aus Scham die Tage und Nächte von seiner unruhigen Blase verderben lassen, ermuntert Experte Chun: „Der lästige Harndrang ist meist gut behandelbar – wenn man denn Hilfe sucht.“


Quellen:

  • Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.: Leitlinie Harninkontinenz der Frau. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 30.01.2023)
  • Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. : Leitlinie Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten, Diagnostik und Therapie. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 30.01.2023)
  • European Association of Urology: EAU Guideline: Urinaty Incontinence in Adults. https://d56bochluxqnz.cloudfront.net/... (Abgerufen am 30.01.2023)