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Am Tag des Entbindungstermins stand er morgens auf, packte seine kleine Reisetasche, in die alle seine Habseligkeiten reinpassten, und sagte: „Ich kann das doch nicht.“ Danach verließ er meine Wohnung und war weg. Ich lag oder saß oder stand – was ich genau tat, weiß ich nicht mehr –, vor mir dieser ­riesige Bauch, in mir diese riesige Frage, wie es weitergehen soll.

Das ist jetzt fast neun Jahre her. Mittlerweile ist meine Tochter achteinhalb Jahre alt. Ich bin 43 und glücklich und zufrieden und dort angekommen, wo ich immer sein wollte. Damals, das allerdings erinnere ich genau, dachte ich, meine Welt würde über mir zusammenbrechen. Das Gefühl des Alleinseins überrollte mich wie ein Tsunami. Dass der Vater meiner Tochter drei Tage später wieder an meine Tür klopfte, änderte nichts an dem Schock, zum Ende meiner Schwangerschaft verlassen worden zu sein. Insbesondere, weil diese ganze Schwangerschaft ein fucking Roller Coaster mit diesem Mann gewesen war. Als er vom Baby im Bauch erfuhr, saß ich auf der Toilette meiner Wohnung, hielt den Schwangerschaftstest in meiner Hand und war aus dem ­Häuschen. Wir beide waren aus dem Häuschen. Wir wollten dieses Kind. Gemeinsam. Gleich doll.

Aber weil dieser Mann generell nicht der ­emotional stabilste Charakter war, änderte sich sein freudiges Gesicht alle paar Tage und verwandelte sich zu einem entweder enttäuschten, wütenden oder verängstigten. Ich blieb stoisch in diesen ­Momenten, hielt meinen Bauch und sagte immer nur: „Musst du jetzt selber wissen“ oder „Ja gut, dann nicht“ oder „Es geht mir langsam richtig auf die ­Nerven“. Manchmal hatte ich Angst, ich verliere das Kind wegen des Stresses, manchmal fragte ich mich, wie ich in diese Situation gekommen war, und manchmal ging ich voller Zuversicht spazieren, wissend, dass alles gut werden würde. Mit oder ohne ihn.

Eine Shitshow par excellence

Rückblickend würde ich diese Schwangerschaft als absolute Zumutung beschreiben, dabei war ich gerne schwanger. Ich aß voller Freude, trug diesen immer dicker werdenden Bauch voller Freude und dachte an dieses Kind voller Freude. Das einzige Problem, das ich hatte, war er.

Wenn es richtig schön war, stellte ich mir andere Frauen vor und dass diese das Glück hatten, nur solche Momente während der gesamten neun Monate zu erleben. Und wenn es besonders beschissen lief, stellte ich mir Frauen vor, die von den Vätern ihrer Kinder betrogen wurden, und fand, dass die noch mehr am Arsch wären als ich. Das war das Einzige, was immerhin nicht passierte. Aber wahrscheinlich auch nur, weil der Typ keine eigene Wohnung hatte und auf die vier Wände, die ich zur Verfügung stellte, angewiesen war. In diesen vier Wänden drehte sich aber ­leider alles nur um ihn. Wie er fühlte, was er ­wollte, was er konnte oder was eben nicht. Und er konnte sehr viel nicht. Das Einzige, worin er wirklich gut war, war in meinem Bett zu liegen und zu schlafen oder in meiner Wanne zu liegen und zu baden. Heute kann ich darüber lachen. Über alles. Über die neun Monate Roller Coaster und darüber, dass er am Tag des errechneten Entbindungstermins meine Wohnung verließ. Ich kann darüber lachen, dass er drei Tage später wieder vor meiner Tür stand, und auch darüber, dass er sagte, er sei nur aus Anstand zurückgekommen, lieben würde er mich nicht mehr.

Ich kann darüber lachen, dass zwei Stunden später die Wehen einsetzten und ich das Scheißauto zum 20 Kilometer entfernten Krankenhaus fahren musste, während er apathisch aus dem Fenster starrte. Ich kann auch darüber lachen, dass er am Tag nach der Geburt im Krankenhaus glaubte, eine Mandelentzündung zu bekommen, und direkt außer Gefecht gesetzt war. Ich kann auch darüber lachen, dass dieser ganze Quatsch so weiterging, bis ich ihn endgültig rausschmiss, nachdem er sich sechs ­Monate geweigert hatte, am Alltag teilzunehmen. An diesem Morgen, an dem ich entschied, meine ­Tochter alleine aufzuziehen, bat ich ihn darum, die Spülmaschine auszuräumen. Er antwortete: „So was ist Sklaverei!“ Sklaverei, dachte ich, während ich mit meiner Tochter in der Trage auf dem Weg ins Büro war, wo ich arbeitete, um Geld zu verdienen, das wiederum die Miete zahlte, damit er in Ruhe mein Leben durcheinanderbringen könne. Sklaverei, dachte ich und erklärte ihm dann, dass er weg sein müsse, wenn ich aus dem Büro zurückkäme. Und so kam es auch.

Die Last war offensichtlich geworden

Ich kann nicht behaupten, dass die Monate, ach, Jahre danach einfach gewesen wären. Bei Weitem nicht. Hatte ich an dieser Entscheidung gezweifelt? Natürlich! Hatte ich mich in den Schlaf geweint?
So was von! Hatte ich jeden Tag Angstzustände? Oh ja! Aber ich gab nicht auf. Ich kämpfte mich durch all diese Gefühle und die durchweinten Nächte, immer mit einem Ziel im Kopf: meiner Tochter und mir das bestmögliche Leben zu erschaffen. Und das tat ich. Genauso stoisch, wie ich durch diese Schwangerschaft gegangen war. Die harte Phase dauerte zwei Jahre. Ich war erschöpft, müde und fertig. Ich dachte, ich hätte meiner Tochter ihre Chance auf eine Familie zerstört. Ich dachte, ich sei falsch und alle um mich herum wären richtig. Aber dann ging es aufwärts.

Als meine Tochter vier war, konnte ich wieder atmen. In diesen Jahren baute ich eine Karriere auf, zog in eine größere Wohnung. Alles ohne ihn. Ohne irgendeinen Mann. Mein Bauchgefühl hatte mir von Anfang an geraten, mich zu trennen, ich hielt trotzdem lange an der Idee einer Familie fest. Aber als meine Tochter auf der Welt war und meine Energie nicht für alles reichte, wurde die Last, die dieser Mann darstellte, offensichtlicher denn je. Es war klar, dass mein Kind die Leidtragende sein würde, bliebe ich. Weil der Mann so viel forderte: meine Zeit, meine Aufmerksamkeit, meine Kraft. Aber ich hatte nur ein bestimmtes Pensum für mich und meine Tochter zur Verfügung. Warum sollte ich meine Kraft an ihn ­verschwenden, an einen Erwachsenen, der für sich selbst verantwortlich war? Also durchtrennte ich die Kette, an der die Bleikugel an meinem Knöchel hing, und wurde ganz leicht. So leicht, dass ich ­irgendwann fliegen konnte, mit meiner Tochter an der Hand, und glücklich werden.

Während Autorin Mirna Funk schwanger ist, hadert ihr Partner mit dem gemeinsamen Leben. Die Geschichte einer Befreiung