Logo der Apotheken Umschau

L ange ersehnt, seit wenigen Jahren da. 2019 kam in Deutschland die erste Insulinpumpe auf den Markt, die in der Lage war, die Insulinabgabe selbst anzupassen. Jahrzehntelang hatten Forscher an einem solchen System zur automatischen Insulindosierung (AID-System) getüftelt. Inzwischen hat das erste Modell mehrere Nachfolger. Und immer mehr Menschen mit Typ-1-Diabetes entscheiden sich für die neue Technik. Was die Systeme leisten und für wen sie sich eignen:

Wer profitiert?

Vor allem Menschen mit Typ-1-Diabetes, deren Zucker stark schwankt. Studien zufolge erhöhen AID-­Sys­teme die Zeit, in der die Werte im Zielbereich zwischen 70 und 180 mg/dl (3,9 bis 10 mmol/l) liegen, im Schnitt um rund zehn Prozentpunkte. Das bedeutet jeden Tag 2,5 Stunden weniger Zeit in Über- und Unterzuckerung. „Vor allem nachts glätten sich die Zuckerkurven“, sagt der Diabetologe Dr. Bernhard Gehr von der m&i-Fachklinik Bad Heilbrunn. Je kürzer die Zeit im Zielbereich mit der vorigen Therapie war, umso mehr lässt sich durch einen Wechsel gewinnen. Nutze­rinnen und Nutzer sowie Angehörige berichten, dass mit AID-System die Lebensqualität steigt, etwa weil sie besser schlafen können und beim Therapiemanagement entlastet werden.

Eignen sich die Systeme auch für Kinder?

Mehrere Systeme sind bereits für ­Kinder mit Typ-1-Diabetes zugelassen. Das Mindestalter beträgt ein, zwei, sechs oder sieben Jahre. Der Mindestinsulinbedarf liegt bei fünf, acht oder zehn Einheiten.
In Studien verlängerten AID-Systeme bei Kindern und Jugendlichen die Zeit im Zielbereich im Schnitt um rund drei ­Stunden. „Dank der stabileren Werte müssen Eltern seltener nachts aufstehen, um zu hohe oder zu tiefe Werte bei ihrem kleinen Kind in den Griff zu bekommen“, sagt Kinder­diabetologin Dr. Thekla von dem Berge vom Kinderkrankenhaus Auf der Bult in Hannover. Ältere Kinder seien froh, dass sie durchschlafen können, weil ihr Glukosesensor seltener piept und nachts kein Elternteil mehr ins Zimmer kommt. In der Pubertät, wenn Hormone die Werte durcheinanderbringen und für Jugend­liche oft anderes wichtiger ist als
der Diabetes, könne ein AID-System für deutliche Entlastung im Alltag sorgen, so von dem Berge. Laut Deutscher ­Diabetes Gesellschaft soll allen Kindern und Ju­gend­lichen ein AID-System angeboten werden. Voraussetzung: Sie oder Eltern/ Betreuende können es sicher bedienen.

Für Schwangere mit Typ-1-Diabetes ist bislang nur ein AID-System zugelassen. Es ermöglicht, die in der Schwangerschaft empfohlenen niedrigeren Zielwerte einzustellen. Wichtig: inten­sive Schulung und Betreuung durch das Diabetesteam.

Welche Unterschiede gibt es?

Derzeit arbeiten drei Systeme mit Schlauchpumpen (Stand Dezember 2023). Bei zweien läuft der Algorithmus in der Pumpe. Zur Bedienung ist kein Extragerät nötig, mit dem System legen Sie sich auf einen Sensor fest. Beim dritten können Sie zwischen zwei Sensoren wählen. Der Algorithmus läuft als App auf dem Handy, aktuell nur auf Android-Smartphones. Seit Ende 2023 gibt es zwei Patchpumpen-Systeme. Bei einem läuft der Algorithmus auf dem Steuergerät, beim anderen in der Pum­pe. Es erfordert neben dem Steuergerät ein Handy zur Sensornutzung.

Wie finde ich das beste System für mich?

Besprechen Sie mit dem Diabetesteam, welches am besten zu Ihren Bedürfnissen passt. Eine Schlauchpumpe, die sich mit dem Handy steuern lässt, kann unter der Kleidung versteckt bleiben. Dafür muss der Akku immer geladen sein. Ist er leer, fällt das System aus. Vielleicht brauchen Sie ein neues (teureres) Handy, um das System nutzen zu können. Zu Patchpumpen gehört immer ein Steuergerät. Dessen Akku hält länger als ein Handy­akku. Wichtig ist, dass Sie mit Pumpe, Infusionssets (bei Schlauchpumpen) und Sensor zurechtkommen. „Prüfen Sie vor der Entscheidung für ein System, ob der dazugehörige Sensor bei Ihnen genau genug misst“, rät Gehr. Fragen Sie Ihr Diabetesteam, wie das geht. Die meisten Hersteller bieten einen kostenlosen Probesensor an. Fast alle Sensoren lassen sich durch Eingabe von Blutzuckerwerten kalibrieren. Das kann die individuelle Messge­nauigkeit verbessern. Mehr Infos dazu finden Sie hier und hier.

Was sollte ich noch wissen?

„Den Umgang mit dem System unbedingt in einer ausführlichen Schulung lernen“, so Gehr. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, wie der Algorithmus funktioniert. Und wissen, was zu tun ist, falls das System ausfällt. Wichtig ist auch, die Pumpenkanüle regelmäßig zu wechseln und an geeignete Stellen zu legen. Das Kochlenhydrate-Schätzen sollten Sie beherrschen. Und wissen, wie lange vor dem Essen Sie Insulin abrufen müssen, damit der Zucker nicht zu stark steigt. Wer es gewohnt ist, die Therapie selbst zu steuern, tut sich anfangs oft schwer damit, dies dem System zu überlassen. Gehr: „Man muss lernen, ihm zu vertrauen. Und Geduld haben, wenn nicht gleich alles rundläuft. Mit der Zeit passt es die Insulinabgaben immer besser an.“

Wann zahlt die Kasse?

„Gute Chancen auf Kostenübernahme haben Menschen mit Typ-1-Diabetes, die mit ihrer bisherigen Therapie, etwa mit einer nicht AID-fähigen Pumpe und einem Sensor, die Therapieziele nicht erreichen“, sagt Gehr. Klären Sie beim Diabetologen, was Sie für den Antrag bei der Krankenkasse brauchen. Tragen Sie bereits eine AID-fähige Pumpe, aber keinen passenden Sensor, können Sie mit Ärztin oder Arzt eine Umversorgung beantragen.


Quellen:

  • VDBD Akademie: Videofortbildungen AID-Systeme. Online: https://www.vdbd-akademie.de/... (Abgerufen am 07.12.2023)
  • Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft e.V.: Steckbriefe für Systeme zur Automatisierten Insulin-Dosierung (AID). https://diabetes-technologie.de/... (Abgerufen am 07.12.2023)
  • von dem Berge T et al.: Empfehlungen zur Diabetes-Behandlung mit automatischen Insulin-Dosierungssystemen. In: Diabetologie und Stoffwechsel : 01.01.2022, https://doi.org/...
  • Jiao X et al.: Better TIR, HbA1c, and less hypoglycemia in closed-loop insulin system in patients with type 1 diabetes: a meta-analysis. In: BMJ Open Diab Res Care: 01.01.2022, https://doi.org/...
  • Zeng B et al.: Automated Insulin Delivery Systems in Children and Adolescents With Type 1 Diabetes: A Systematic Review and Meta-analysis of Outpatient Randomized Controlled Trials. In: Diabetes Care: 01.01.2023, https://doi.org/...
  • Lee T et al.: Automated Insulin Delivery in Women with Pregnancy Complicated by Type 1 Diabetes. In: N Engl J Med: 26.10.2023, https://doi.org/...
  • Deutsche Diabetes Gesellschaft: Therapie des Typ-1-Diabetes. Leitlinie: 2023. AWMF online: https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 01.02.2024)

  • Deutsche Diabetes Gesellschaft: https://register.awmf.org/assets/guidelines/057-016l_S3_Diagnostik-Therapie-Verlaufskontrolle-Diabetes-mellitus-Kinder-Jugendliche_2023-11.pdf. Leitlinie: 2023. AWMF Online: https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 19.12.2023)