Logo der Apotheken Umschau

Felix und ich diskutieren seit Wochen. Er sagt „Florist“, ich „Landschaftsarchitekt“. Felix kontert mit „Laborant“, ich entgegne „Bibliothekar“. Los ging es, als wir in einem Café über unsere Jobs sprachen. Mein Kumpel erzählte mir vom HbA1c-Wert, den er gerade erhalten hatte: 7,4 Prozent, schlechtes Mittelmaß. Mein HbA1c war kaum besser. Auch die „Zeit im Zielbereich“ überstieg bei uns beiden zuletzt nur selten die 50-Prozent-Marke.

In meinem Fall geht das auf Überzuckerungen zurück, vor allem nachts, weil ich oft spät esse. Tagsüber komme ich kaum dazu. Hier ein Anruf, da eine Deadline, die Chefredakteurin drängelt. Felix geht es in seinem Beruf ähnlich. Er ist Diplomat in einer deutschen Botschaft mitten in einem Krisenherd. Für ihn, der wie ich seit seiner Jugend Diabetes Typ 1 hat, heißt das: Schichtdienst, Überstunden, Hitze – der Blutzucker wird noch mehr Nebensache.

Ich liebe mein Journalistenleben, aber ob die damit einhergehende unstete Lebensführung so gut für einen Mann um die 40 mit Diabetes ist, darf ja wohl hinterfragt werden. Zumindest, wenn man doppelt so alt werden möchte. Was also ist das passende Leben für Menschen mit Diabetes? Die Frage saß mit Felix und mir am Bistrotisch und nistete sich dann in unserem Chat ein.

Felix: „Wie wäre es mit Tierpfleger?“

Ich: „Ist Förster nicht besser? Nonstop frische Luft!“

Felix: „Wenn du unterzuckerst, liegst du allein im Wald rum.“

Ich: „Anwalt? Manager? Viel Kohle = gute Versorgung?!“

Felix: „Zu stressig. Handwerker?“

Ich: „Zu gefährlich. Hab keinen Bock auf Hypo beim Hämmern oder Sägen.“

Wir spielen weitere Berufe durch, vor allem solche, die einen aktiv halten, ohne zu anstrengend zu sein. Irgendwas zwischen Pförtner und Zugschaffner. Leider ohne befriedigendes Ergebnis.

Vielleicht kann künstliche Intelligenz helfen? Ich frage ChatGPT: „Welche Berufe sind für Menschen mit Diabetes gut geeignet, wenn sie alt werden und ein erfülltes Leben führen wollen?“ Die Antwort fällt lang aus. Natürlich könnten Menschen mit Diabetes eine breite Palette von Berufen ausüben und ein erfülltes Leben führen, solange sie ihre Gesundheit gut managen.

Es folgt eine Liste mit relativ öden Jobs. (Ich möchte niemanden beleidigen, aber Programmierer und Büromanager ist wirklich nix für mich). Bis ich auf eine Übersicht kreativer Betätigungen stoße: „Künstler“, „Schriftsteller“ – und „Kolumnist“. Diese könnten ihre Arbeitsumgebung anpassen und ihre Arbeitszeiten oft selbst festlegen.

Wie praktisch, denke ich, eins davon bin ich ja schon! Ich öffne ein neues Dokument, schaue auf die weiße Fläche und lächle wie jemand, der ausgerechnet durch einen Algorithmus jene Bestätigung fand, auf die er lange warten musste. Dann schreibe ich die ersten Worte dieser Folge nieder: „Felix und ich diskutieren seit Wochen …“

Stephan Seiler ist Journalist und lebt in Hamburg. 1995 erhielt er die Diagnose Typ-1-Diabetes