Logo der Apotheken Umschau

Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde die Diagnose Diabetes mellitus, der „honig-süße Durchfluss“, mit einer einfachen Untersuchung gestellt: durch das Schmecken des ­Urins. Denn wer zuckerkrank ist, hat unter Umständen mehr Zucker im Urin. Ist die Krankheit fort­geschritten, schmeckt er süßlich.

Heute gibt es zum Glück bessere Methoden. Ärztinnen und Ärzte führen einfache Blutuntersuchungen durch, um die Diagnose zu stellen. Doch für einige Fragen nutzen manche Mediziner bereits auch die Vorteile von künstlicher Intelligenz (KI). Das sind Computerprogramme, die die menschliche Intelligenz nachahmen sollen. KI wird etwa bereits eingesetzt, um die Netzhaut des Auges zu untersuchen: Mit Hunderttausenden Bildern haben Forscherinnen und Forscher spezielle Computerprogramme trainiert. Jetzt erkennen diese zuverlässig krankhafte Veränderungen an der Netzhaut, die langfristig zum Verlust des Sehens führen, wenn sie unbehandelt bleiben. Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für Gefäßerkrankungen — auch im Auge. Deshalb sollten sie in regelmäßigen Abständen ihre Netzhaut untersuchen lassen.

Netzhaut-Check in Sekunden

Üblicherweise untersucht eine Augenärztin oder ein Augenarzt dazu den Augenhintergrund: zum Beispiel mit einer speziellen Lupe. Das dauert inklusive Vorbereitung 20 bis 30 Minuten. Die KI-basierte
Alternative ist eine digitale Aufnahme, die so schnell erfolgt wie der Schnappschuss mit einem Handy. Die KI braucht dann nur Sekunden, um zu entscheiden, ob die Netzhaut geschädigt ist.

„Künstliche Intelligenz hat hier zwei große Vorteile: Sie hat sofort ein Ergebnis und sie kann komplett fehlerfrei arbeiten“, sagt Prof. Dr. Ursula Schmidt-Erfurth. Sie hat an der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie in Wien Programme ent-
wickelt, die Veränderungen im Auge bemerken. Braucht es da noch einen Arzt? „Auf jeden Fall“, sagt Schmidt-Erfurth. Das KI-Programm liefert eine Information, ob die Netzhaut krankhaft verändert ist oder nicht. Was sich daraus ergibt, entscheidet weiterhin das
medizinische Fachpersonal.

Viele große Diabetes-Kliniken in Deutschland führen inzwischen schon Netzhaut-Untersuchungen auf digitalem Wege durch. Entdeckt die Software keine Auffälligkeiten, erfolgt in der Regel auch keine Überweisung zur Augenärztin oder zum Augenarzt.

Das genannte Beispiel zeigt: Schon heute profitieren Menschen mit Diabetes von Computerprogrammen, die auf künstlicher Intelligenz basieren. Darüber hinaus gibt es schon erste Anwendungen, die jede und jeder selbst nutzen kann: So analysiert die intelligente Software Deepheart den Pulsschlag, der über eine Armbanduhr (Smartwatch) erfasst wird. Deepheart wurde entwickelt, um zum Beispiel Vorhofflimmern zu erkennen. Doch das Programm diagnostiziert auch Typ-2-Diabetes mit einer Verlässlichkeit von bis zu 84 Prozent. Denn die intelligente Software erkennt Muster des Pulsschlags, die sich von Nicht-Diabetikern bei körperlicher Anstrengung unterscheiden. Da die Krankheit anfangs oft symptomlos auftritt, kann das helfen, sie frühzeitig festzustellen.

Eine weitere ­KI-unterstützte App namens Sweetch gibt per Smartphone Tipps zur Vorbeugung: Sie kann auf den Kalender und den Aufenthaltsort der Nutzerin oder des Nutzers zugreifen. Ist ein Park in der Nähe und zudem gerade freie Zeit eingetragen, schlägt die App dann zum Beispiel einen Spaziergang vor.

Daten für die Forschung

Weitere Anwendungen werden aktuell erforscht: vor allem in den USA und in China. Dort sind die vielen Daten, die die Wissenschaft benötigt, leicht verfügbar. In Europa gelten strengere Regeln beim Datenschutz.


Quellen:

  • Bernhard Kulzer: Künstliche Intelligenz (KI) in der Diabetologie – jetzt und in der Zukunft. Die Diabetologie: https://link.springer.com/... (Abgerufen am 05.09.2023)
  • Carolin Kinzel und Mario A. Pfannstiel: Künstliche Intelligenz und Digitalisierung im Bereich Diabetes mellitus. In: Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen. Entwicklungen, Beispiele und Perspektiven. Hrsg. Von Mario A. Pfannstiel. Wiesbaden 2022. S. 451-472.

  • van der Woude F / Universität Heidelberg: Honigsüßer Durchfluß. https://www.uni-heidelberg.de/... (Abgerufen am 05.09.2023)
  • Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS: Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen. https://www.iks.fraunhofer.de/... (Abgerufen am 05.09.2023)
  • Ballinger B. et al: DeepHeart: Semi-Supervised Sequence Learning for Cardiovascular Risk Prediction. Proceedings of the AAAI Conference on Artificial Intelligence: https://arxiv.org/... (Abgerufen am 12.09.2023)
  • Everett E, Kane B, Yoo A. et al: A Novel Approach for Fully Automated, Personalized Health Coaching for Adults with Prediabetes: Pilot Clinical Trial. Journal of Medical Internet Research: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 12.09.2023)