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Unser Körper arbeitet nicht den ganzen Tag über gleich. Er folgt ungefähr einem 24-Stunden-Takt, dem sogenannten zirkadianen Rhythmus. Der bestimmt, wann wir aufwachen, müde werden und am leistungsfähigsten sind. Wichtigster Taktgeber von außen: Das Sonnenlicht. Trotzdem gibt es Unterschiede (siehe Kasten: Lerche oder Eule?). Aber auch, wenn die innere Uhr von Mensch zu Mensch um ein paar Stunden verschoben sein kann: Fast jede unserer Zellen hat eine.

Und damit nicht genug: Die verschiedenen Zelltypen, zum Beispiel Fett-, Blut- oder Leberzellenticken unterschiedlich. Idealerweise bleiben alle im Takt, sonst kann es Probleme geben. Studien zeigen, dass die Zellen von Menschen mit Typ-2-Diabetes, Adipositas oder anderen Stoffwechselerkrankungen oft veränderte Rhythmen haben.

Wenn die innere Uhr aus dem Takt gerät

„Da stellt sich natürlich die Frage: Was war zuerst da: Die Krankheit oder der gestörte Rhythmus?“, fragt Dr. Olga Ramich. Sie leitet die Forschungsgruppe Molekulare Ernährungsmedizin am Deutschen Zentrum für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke. Die Chronobiologie ist eines ihrer Lieblingsthemen - (Chrónos heißt auf altgriechisch „Zeit“) ein relativ neues Feld. In den letzten Jahren interessieren sich Medizinerinnen und Mediziner immer mehr für die innere Uhr, weil klar ist: Sie spielt bei zahlreichen Prozessen eine Rolle.

Schon bevor wir aufwachen, stellt unsere Nebennierenrinde das Hormon Cortisol her. Das sorgt dafür, dass unser Blutdruck steigt, der Herzschlag beschleunigt sich. Der ganze Körper ist aufs Wachsein programmiert - das sollten wir nutzen. Viele Menschen sind am Vormittag am aufmerksamsten und produktivsten.

So geht es auch Jürgen-Stefan Batscheider. „Morgens habe ich am meisten Kraft“, sagt der 68-jährige. Mittlerweile ist er in Rente, früher war er selbstständig und vertrieb Maschinen in alle Welt. Ein Morgenmensch war er schon immer. „Spätestens um 6 Uhr stehe ich auf.“ Dann wird alles Wichtige erledigt. Auch Bewegung an der frischen Luft gehört zum Vormittag. Batscheider ist schlank und wirkt dynamisch.

Das war nicht immer so. „Ich habe mal 110 Kilogramm gewogen“, erzählt er. Vor etwa 15 Jahren kam heraus, dass er Typ 2-Diabetes hat. Daraufhin änderte Batscheider sein Verhalten, vor allem seine Ernährung - und nahm binnen weniger Wochen 15 Kilogramm ab. „Der Arzt sagte: Sie müssen bald Insulin spritzen. Das wollte ich unbedingt verhindern.“

Blutzucker und Gewicht im Griff

Es ist ihm gelungen. Sein Gewicht hat er mittlerweile gut unter Kontrolle. Mehrere Medikamente, darunter Metformin, helfen ihm dabei. Seit kurzem trägt er einen kontinuierlichen Glukose-Sensor. „Eine super Sache“, findet er. Mit Hilfe seines Smartphones kann er verfolgen, wie sich sein Blutzucker entwickelt. „Ich weiß ganz genau, was ich essen darf.“ Weniger Kohlenhydrate, keine Süßigkeiten, viel Gemüse: „Wenn ich mich so ernähre, geht es mir gut.“ Steigt der Blutzucker doch mal stärker an, geht er eine Runde spazieren. Denn: Durch Bewegung wird Glukose in die Muskelzellen aufgenommen.

Um 14.30 Uhr kommt Batscheiders Frau von der Arbeit. Dann steht das selbstgekochte Essen auf dem Tisch. „Unsere Hauptmahlzeit“, erklärt Batscheider. Manchmal macht er danach ein Nickerchen. Viele Menschen fallen zur Mittagszeit ins sogenannte Schnitzelkoma, das bedeutet: Sie sind wenig leistungsfähig. Der Grund: Statt ins Gehirn und in die Muskeln strömt das Blut vor allem in den Verdauungstrakt. Nach ein paar Stunden ist man meist wieder fit. Puls, Blutdruck und Muskelkraft erreichen zwischen 16 und 19 Uhr ihr Tageshoch.

Im Laufe des Tages merkt Batscheider jedoch, wie seine Energie nachlässt. „Um 18 oder 19 Uhr ist meine Batterie einfach leer. Dann muss ich mich ausruhen.“ Das ist ganz natürlich: Sobald es dunkel wird, beginnt der Körper damit, das Schlafhormon Melatonin auszuschütten. Er schaltet quasi auf Standby: Blutdruck, Puls, Atemfrequenz, Körpertemperatur fahren zurück - auch der Stoffwechsel. Die Zellen reagieren dann nicht mehr so sensibel auf das Hormon Insulin.

Nicht zu spät am Abend essen

Batscheider weiß das. „Abends darf ich nicht mehr sündigen, sonst steigt mein Blutzucker stark an. Und um 22 Uhr mag ich nicht mehr spazieren gehen.“ Am Abend isst er daher nur noch eine Kleinigkeit - etwas Rohkost oder eine Scheibe Eiweißbrot zum Beispiel.

Damit tut er seinem Körper einen Gefallen. In Laborexperimenten hat Chronobiologin Olga Ramich herausgefunden, dass Insulin die innere Uhr von Fettzellen durcheinander bringt. „Das Gleiche passiert wahrscheinlich, wenn wir spätabends noch essen“, sagt die Forscherin. Studien belegen: Menschen, die im Schichtdienst arbeiten, haben ein erhöhtes Risiko für Diabetes. Für Ramich ist deshalb klar: „Man muss die inneren Rhythmen unbedingt beachten.“

Jürgen-Stefan Batscheider hat einen guten Weg gefunden, im Einklang mit seiner inneren Uhr zu leben - und mit seinem Diabetes. „Das Tückische daran ist: Man merkt es nicht, mein Diabetes verursacht keine Schmerzen. Aber durch eine konsequente Lebensweise kann man ihn sehr gut in den Griff bekommen.“

Lerche oder Eule?

Fachleute sprechen von verschiedenen Chronotypen: Menschen, die früh aufstehen und früh schlafen gehen, sind Frühtypen oder „Lerchen“. „Eulen“ schlafen länger und bleiben länger wach.

Übrigens: Frauen sind öfter Lerchen als Männer. Und: Der Chronotyp kann sich im Laufe des Lebens verändern. Die meisten Menschen sind als Kinder Lerchen und werden als Jugendliche zu Eulen. Im Alter stehen sie dann wieder früher auf.


Quellen:

  • Engin A: Circadian Rhythms in Diet-Induced Obesity . In: Obesity and Lipotoxicity 06.06.2017, 960: 19-52
  • Yildiz B O , Suchard M A, Wong M-L et al.: Alterations in the dynamics of circulating ghrelin, adiponectin, and leptin in human obesity. In: Proc Natl Acad Sci U S A 01.07.2004, 101: 10434-10439
  • Teo W, Newton M J and McGuigan M R: Circadian Rhythms in Exercise Performance: Implications for Hormonal and Muscular Adaptation. In: Journal of sports science & medicine 01.12.2011, 10: 600-606
  • Tuvia N, Pivovarova-Ramich O, Murahovschi V: Insulin Directly Regulates the Circadian Clock in Adipose Tissue. In: Diabetes 05.07.2021, 70: 1985-1999
  • Gan Y, Yang C, Tong X et al.: Shift work and diabetes mellitus: a meta-analysis of observational studies. In: Occupational and environmental medicine 01.01.2015, 72: 72-78
  • Carrasco-Benso M P, Rivero-Gutierrez B, Lopez-Minguez J et al.: Human adipose tissue expresses intrinsic circadian rhythm in insulin sensitivity. In: The FASEB Journal 02.06.2016, 30: 3117