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E s war zu schön, um wahr zu sein: Von Süßstoffen erhofften sich viele einen Genuss ohne Reue. Schließlich ist der Zuckerersatz kalorienfrei. An dem Versprechen kamen allerdings schon vor Jahrzehnten Zweifel auf. Seither diskutieren Experten, inwiefern Süßstoffe unserer Gesundheit schaden: etwa, ob sie dick machen, statt beim Abnehmen zu helfen, oder ob sie das Diabetes-Risiko erhöhen, statt es zu senken. Gerade bei Diabetes ist diese wissenschaftliche Debatte wichtig, denn Süßstoffe spielen hier eine Rolle, weil sie den Blutzucker nicht nach oben treiben. Doch selbst diese Annahme wankt seit einer Studie aus Israel: Je 20 Teilnehmer, die noch nie Süßstoff verwendet hatten, erhielten 14 Tage lang Saccharin, Sucralose, Aspartam oder Stevia in einer unbedenklichen Dosis. Weitere 40 Testpersonen bekamen zur Kontrolle ein süßstofffreies Präparat oder nichts.

Ungünstig für die Darmbakterien

Bei allen Süßstoffkonsumenten veränderte sich das Mikrobiom. Das sind die unzähligen Mikroorganismen, vor allem Bakterien, die überwiegend im Darm leben und etwa bei der Verdauung helfen. Am stärksten war der Einfluss von Saccharin und Sucralose. Wer das eingenommen hatte, bei dem verschlechterte sich die Glukosetoleranz, also die Fähigkeit des Körpers, Zucker zu verwerten. Manche Süßstoffe scheinen also den Blutzucker indirekt zu erhöhen.

„Vielleicht passiert das, weil sich in Gegenwart der Süßstoffe jene Bakterien vermehren, die Kohlenhydrate in Zucker aufspalten, und andere, günstigere Bakterien weniger werden“, sagt Ernährungswissenschaftlerin Dr. Astrid Tombek vom Diabetes Zentrum Mergentheim. Laut Ernährungsforscher Dr. Stefan Kabisch von der Charité in Berlin ist ein weiterer Zusammenhang denkbar: „Süßstoffe beeinflussen womöglich die Ausschüttung von Darmhormonen wie GLP-1, die den Blutzucker mitregulieren.“ Das Beispiel dieser Studie verdeutlicht: Für eine sichere Beurteilung reicht eine einzige wissenschaftliche Untersuchung nicht aus. Und es zeigt ein weiteres Problem, das Aussagen über Süßstoffe erschwert: „Viele dieser Studien dauern nur kurz und haben wenige Teilnehmer. Das könnte erklären, warum sie teils widersprüchliche Ergebnisse liefern“, sagt Kabisch. So ist zum Beispiel offen, was mit dem Mikrobiom passiert, wenn jemand längere Zeit Süßstoff nutzt.

Supersüßes weckt Gelüste

Ein anderer Aspekt ist die vermutlich appetitanregende Wirkung von Süßstoffen. Machen sie wirklich hungrig? Einer US-Studie mit 74 Teilnehmenden zufolge schon: Sie aßen mehr, wenn sie zuvor etwas mit Sucralose getrunken hatten.

Dass Menschen Süßes mögen, ist ein Ergebnis der Evolution. Die Lust auf energiereiche Nahrung hilft, sich Reserven anzufuttern. „Die intensive Süße von Süßstoffen könnte das verstärken“, sagt Kabisch. Allerdings ist damit noch nicht bewiesen, dass Zuckerersatz die Ursache ist, warum Süßstofffans häufiger zu viel wiegen. Es könnte auch sein, dass Übergewichtige öfter Süßstoffe nutzen, in der Hoffnung, damit abzunehmen. Ebenfalls vorstellbar: Wer mit Süßstoffen Zucker spart, langt vielleicht woanders stärker zu.

Fördern Süßstoffe Krebs?

Jüngste Analysen aus Frankreich mit Daten von mehr als 100 000 Menschen deuten nun darauf hin, dass Süßstoffe das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall steigern. Auch bestimmte Krebsarten sind häufiger, vor allem solche, die mit Übergewicht und Typ-2-Diabetes zusammenhängen, etwa Brust- und Darmkrebs. Doch auch hier seien noch keine weitreichenden Schlüsse angebracht, sagt Kabisch. Experten der Deutschen Diabetes Gesellschaft raten, nur begrenzte Mengen Süßstoff zu konsumieren. „Wer Diabetes hat und sich eine Limo gönnen möchte, sollte die Süßstoffvariante wählen“, meint Tombek. Besser sei Wasser. Auch wegen des starken Aromas von Zuckerersatz. „Natürliche Süße schmeckt dann nicht mehr intensiv genug“, so Tombek. Entwöhnen ist aber möglich, indem man weniger Süßes isst. Dann finden wir zum Beispiel einen Naturjoghurt mit frischem Obst auch wieder lecker.


Quellen:

  • Suez J et al.: Personalized microbiome-driven effects of non-nutritive sweeteners on human glucose tolerance. In: Cell: 19.08.2022, https://doi.org/...
  • Yunker A et al.: Obesity and Sex-Related Associations With Differential Effects of Sucralose vs Sucrose on Appetite and Reward Processing, A Randomized Crossover Trial.. In: JAMA: 18.09.2021, https://doi.org/...
  • Debras C et al.: Artificial sweeteners and risk of cardiovascular diseases: results from the prospective NutriNet-Santé cohort. In: BMJ: 07.09.2022, https://doi.org/...
  • Debras C. et al.: Artificial sweeteners and cancer risk: Results from the NutriNet-Santé population-based cohort study. In: PLOS MEDICINE: 24.03.2022, https://doi.org/...