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F ür Menschen mit extremem Übergewicht geht es beim Abnehmen nicht um ein paar Kilogramm mehr Erfolg, sondern manchmal um Leben oder Tod. Der Theologe Mickey W. war vor fünf Jahren an dem Punkt angekommen. Er wog über 150 Kilogramm und hatte seit Langem Typ-2-Diabetes. Er brauchte enorme Insulindosen, trotzdem lag sein Langzeit-Blutzucker HbA1c bei 13 Prozent, ein besorgniserregender Wert. Dazu kamen Bluthochdruck, Schlafapnoe, Bandscheibenvorfälle, Nierensteine. „Ich lag ständig mit Nierenkoliken im Krankenhaus. Eine Ärztin sagte, meine Nieren würden das nicht mehr lange mitmachen.“

Weg vom Insulin

Mit seinem Entschluss zu einer Magen-Operation zog er schließlich die Notbremse. Heute hält er sein Gewicht unter 100 Kilogramm und hat die Blutzuckerwerte eines Gesunden — ohne Insulin: „Seit dem Tag nach der OP habe ich keinen Tropfen mehr gespritzt.“ Ähnlich positive Effekte belegen Langzeitdaten für einen Großteil der Operierten. Demnach kann ungefähr jeder zweite Adipositas-Patient mit Diabetes durch einen Eingriff seinen Blutzuckerwert normalisieren, oft ganz ohne Diabetes-­Medikamente. Braucht es also nur ein paar Schnitte mit dem Skalpell und alles ist gut? Das wäre Wunschdenken, sagt Dr. Jost-Hendrik Hübner, leitender Chirurg am Adipositaszentrum Winsen. „Man benötigt lebenslang Ansprechpartner, die begleiten, betreuen und behandeln.“ Wie die Nachsorge aussehen soll, legen sogenannte Leitlinien fest. Der erste Termin steht in der Regel einen Monat nach dem Eingriff an, danach weitere Checks in größeren Abständen und langfristig jährliche Kontrollen.

„In unserer Klinik ist bei den ersten Terminen immer jemand aus der Chirurgie und jemand aus dem Ernährungsteam dabei“, erklärt Experte Hübner. Wichtige Fragen sind abzuklären: Sind die Wunden gut verheilt? Gibt es Komplikationen? Wie klappt es mit der Ernährung? Müssen Diabetes- und andere Medikamente angepasst werden?

Meist wird bei Adipositas-OPs der Magen verkleinert oder ein Teil des Darms umgangen und dadurch quasi stillgelegt. Das erzwingt neue Essensgewohnheiten. Existieren vorher fast keine Limits, so nimmt es ein umoperierter Bauch sofort übel, wenn man ihm zu viel oder das Falsche zumutet. Operierte brauchen
eine Ernährungsberatung vor der Operation und danach. „Nicht immer bezahlen Krankenkassen alle Termine“, räumt Hübner ein.

Ein Kostenfaktor sind auch Nahrungsergänzungsmittel. Um Mangelerscheinungen vorzubeugen, müssen Adipositas-Operierte lebenslang bestimmte Vitamine und Nährstoffe einnehmen und regelmäßig ihre Blutwerte kontrollieren lassen. Die hoch dosierten Spezialpräparate sind nicht billig. Und nicht immer findet sich in Wohnortnähe eine Praxis, die die Blutkontrollen übernimmt. Diese sind aber unerlässlich. „Vitaminmangel kann dramatische Folgen haben“, warnt Jost-Hendrik Hübner.

Oft noch mal unters Skalpell

Chirurgische Komplikationen seien relativ selten, sagt der Experte. Manche Probleme können aber eine erneute Operation nötig machen, darunter undichte Nähte, Magengeschwüre oder Sodbrennen. Fast alle Patientinnen und Patienten leiden sehr unter den entstellenden Hautfalten, die infolge der starken Gewichtsabnahme an Armen, Rumpf und Beinen herabhängen. „Die kann man leider nicht durch Training loswerden, sondern nur durch eine plastische Operation“, gibt der Chirurg zu bedenken. Die Kasse übernimmt die Kosten von oft mehreren Tausend Euro meist nur, wenn ein Eingriff zum Beispiel wegen Ekzemen oder Pilzinfektionen medizinisch notwendig ist, selten auch aus ästhetischen Gründen.

Recht oft belastet das neue, vermeintlich leichtere Leben auch die Seele. Psychische Probleme, die überwunden geglaubt waren, tauchen wieder auf. Oder neue entstehen, weil Frust und Stress nicht mehr mit Essen kompensiert werden können. Eine Psychotherapie kann helfen, allerdings können die Wartezeiten lang sein. Als erste Anlaufstellen gibt es in vielen Städten Zentren für Essstörungen. Mickey W. fühlte sich von Anfang an gut aufgefangen in einer Selbsthilfegruppe. „Dort hatten andere dasselbe durchgemacht und ich bekam viele hilfreiche Tipps“, sagt er. Leicht sei es trotzdem nicht gewesen. „Für den Weg nach der Operation ist die Selbsthilfe eine Krücke, aber laufen muss man selbst.“


Quellen:

  • Schauer PR, Bhatt DL, Kirwan JP et al.: Bariatric Surgery versus Intensive Medical Therapy for Diabetes — 5-Year Outcomes. In: NEJM: 16.02.2017, https://doi.org/...
  • Jost-Hendrik Hübner: Operation im Ausland. https://www.adipositaszentrum-winsen.de/... (Abgerufen am 27.02.2023)
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie e.V.: S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen. https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 27.02.2023)
  • Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie e.V.: Zentren für Adipositas- und metabolische Chirurgie. http://www.dgav.de/... (Abgerufen am 27.02.2023)