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Einst hieß er juveniler, also jugendlicher Diabetes. Doch an
Typ-1-Diabetes erkranken in der Summe weltweit jedes Jahr mehr Erwachsene als Kinder und Jugendliche: Von rund 510 000 Menschen, die 2021 die Diagnose Typ-1-Diabetes erhielten, waren mehr als die Hälfte mindestens 20 Jahre alt. Der Anteil der Neuerkrankungen war am höchsten bei 75- bis 79-Jährigen: Rund 10 von 100 000, gefolgt von 10- bis 14-Jährigen mit 9 von 100  000. In anderen Jahrgängen waren es um die 5 bis 8 pro 100 000. Das ergab eine Hochrechnung internationaler Forscher. Diese haben zudem errechnet, dass die Zahl der Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes bis 2040 am stärksten in Ländern mit niedrigerem Einkommen steigen wird. „Das liegt wohl auch am hohen Bevölkerungswachstum in diesen Ländern“, sagt Epidemiologe Dr. Joachim Rosenbauer vom Deutschen Diabetes-Zentrum in Düsseldorf.

Wenige Daten aus ärmeren Ländern

Ob der Anteil der Erwachsenen, die jedes Jahr erkranken, insgesamt steigt, sei unklar. Besonders aus ärmeren Ländern gebe es dazu kaum Daten. Sicher ist, dass Typ-1-Diabetes in jedem Lebensalter auftreten kann. Bei dieser Diabetesform zerstört das Immunsystem irrtümlich die Insulin produzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Was diese Autoimmunreaktion auslöst, bleibt trotz jahrzehntelanger Forschung ein Rätsel. „Zwar kennt man inzwischen mehr als 50 Gene, die Varianten haben können, die mit einem Risiko für Typ-1-Diabetes verbunden sind. Doch längst nicht jeder mit diesen Genen erkrankt. Es müssen also auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen“, sagt Professor Peter Achenbach vom Helmholtz Zentrum München am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung.

Im Verdacht haben Forscher etwa manche Viren. Diese setzen möglicherweise Autoimmunprozesse in Gang. Oder zerstören die Betazellen direkt. Auf Letzteres deuten Fälle von Typ-1-Diabetes hin, die keine dafür typischen Immunmarker (Autoantikörper) im Blut zeigten, etwa nach einer Covid-19-Infektion. Rosenbauer nennt eine weitere Vermutung: Geraten die Betazellen unter Stress, weil sie viel Insulin produzieren müssen, werden bei einer Veranlagung für Typ-1-Diabetes Eiweiße so verändert, dass das Immunsystem sie als fremd erkennt und angreift. Zu den Ursachen für einen erhöhten Insulinbedarf gehört etwa eine Gewichtszunahme.

Übergewicht erhöht Typ-1-Risiko

Dazu passen die Ergebnisse einer Studie aus Israel. Demnach haben stark übergewichtige Jugendliche ein doppelt so hohes Risiko, als junge Erwachsene an Typ-1-Diabetes zu erkranken, wie normalgewichtige Jugendliche. Eine Reihe weiterer Studien fand Zusammenhänge zwischen starkem Übergewicht in der Kindheit und dem Typ-1-Risiko.

„Bauchfett fördert auch Entzündungsprozesse, die das Immunsystem aus dem Takt bringen können. Ähnliches gilt für Umweltbelastungen wie Luftschadstoffe und verschiedene chemische Substanzen“, sagt Edda Weimann. Die Professorin an der TU München und medizinische Direktorin einer Kinderklinik in Oberbayern engagiert sich in der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit. Als Beispiel für eine Substanz, die mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht wurde, nennt sie Weichmacher in Kunststoffen: „Es gibt Hinweise, dass diese Phthalate die Betazellen schädigen und eine Insulinresistenz fördern können.“ Einige der Weichmacher sind in der EU verboten. In anderen Ländern werden sie weiterhin genutzt. Die Stoffe könnten mitverantwortlich dafür sein, dass dort auch viele Erwachsene an Typ-1-Diabetes erkranken.

Zehnmal häufiger bei Erwachsenen ist Typ-2-Diabetes. Nicht wenige „Typ-1-er“ werden zunächst als Typ 2 fehldiagnostiziert. Tatsächlich gibt es eine Typ-1-Sonderform, die sich anfangs wie Typ-2-Diabetes mit Medikamenten und einem gesunden Lebensstil behandeln lässt, der LADA: „Latent Autoimmune Diabetes in Adults“, auf Deutsch: „verzögert auftretender, autoimmuner Diabetes bei Erwachsenen“. Auch hier finden sich Autoantikörper im Blut. Die Zerstörung der Betazellen verläuft aber langsamer. Betroffene sind eher normalgewichtig, älter als 30 bis 35 Jahre und brauchen frühestens nach sechs Monaten Insulin.

Bei Symptomen rasch zum Arzt

„Beim klassischen Typ-1-Diabetes lässt die Insulinproduktion rasch nach“, sagt Achenbach. Es kann sich eine gefährliche Übersäuerung (Ketoazidose) entwickeln. Daher ist es wichtig, bei Symptomen wie ständigem Durst, häufigem Wasserlassen und Gewichtsabnahme schnell zum Arzt zu gehen. Nachweisen lässt sich Typ-1-Diabetes durch eine Blutuntersuchung auf Autoantikörper. Experten empfehlen dies bei der Diabetesdiagnose von Erwachsenen mit normalem Körpergewicht und sehr hohen Zuckerwerten: über 360 mg/dl (20 mmol/l). Den Diabetestyp zu kennen hilft zu ermitteln, welche Therapie kurz- und langfristig die richtige ist. Das Gute: Wer als Erwachsener Typ-1-Diabetes bekommt, produziert oft noch etwas Insulin. Dadurch schwankt der Blutzucker weniger.


Quellen:

  • Rosenbauer J et al.: Diabetestypen sind nicht auf Altersgruppen beschränkt: Typ-1-Diabetes bei Erwachsenen und Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen. In: Journal of Health Monitoring: 27.06.2019, https://doi.org/...
  • Gregory G et al.: Global incidence, prevalence, and mortality of type 1 diabetes in 2021 with projection to 2040: a modelling study. In: THE LANCET Diabetes & Endocrinology: 13.09.2022, https://doi.org/...
  • Harding J et al.: The Incidence of Adult-Onset Type 1 Diabetes: A Systematic Review From 32 Countries and Regions. In: Diabetes Care: 01.04.2022, https://doi.org/...
  • Holt R et al.: The management of type 1 diabetes in adults. A consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). In: Diabetologia: 30.09.2021, https://doi.org/...
  • Abela A et al.: Why is the Incidence of Type 1 Diabetes Increasing?. In: Current Diabetes Reviews: 23.08.2021, https://doi.org/...
  • Davis A et al.: Prevalence of Detectable C-Peptide According to Age at Diagnosis and Duration of Type 1 Diabetes. In: Diabetes Care: 01.03.2015, https://doi.org/...
  • Buzzetti R et al.: Management of Latent Autoimmune Diabetes in Adults: A Consensus Statement From an International Expert Panel. In: Diabetes: 01.10.2020, https://doi.org/...