Logo der Apotheken Umschau

Frau Professorin Lange, sind Eltern von Kindern mit Diabetes besonders besorgt?

Wie bei allen anderen Eltern gibt es extrem ängstliches über völlig entspanntes bis zu vernachlässigendem Verhalten. Es hängt sehr davon ab, wie sicher und erfahren Eltern bei der Erziehung sind und wie es ihnen selbst seelisch geht.

Welche Ängste gibt es?

An erster Stelle steht wohl die Sorge um die langfristige Gesundheit des Kindes. Dann treibt die Eltern um, wie das Kind gut versorgt ist, sie aber dennoch arbeiten können. Die ganz Kleinen sind ja noch nicht in der Lage mitzuhelfen. Da haben quasi die Eltern den Diabetes — das ist wie ein Vollzeitjob. Wenn das Kind selbstständiger und ohne Eltern unterwegs ist, fürchten sie akute Komplikationen, vor allem eine plötzliche Unterzuckerung.

Ab wann können Kinder Diabetes selbstständiger managen?

Da sich Kinder unterschiedlich schnell entwickeln, sind feste Altersangaben nicht sinnvoll. Bei stoffwechselgesunden Kindern ist es genauso: Es gibt Fünfjährige, die schon lesen, während es selbst manche Viertklässler noch nicht richtig können. Komplexe Aufgaben wie die Insulinberechnung sollten Kinder im Grundschulalter noch nicht allein bewältigen müssen. Das Risiko, dass sie einen Fehler machen, sich etwa um eine Zehnerstelle vertun, ist zu groß. Mit zehn bis zwölf Jahren können sie sich aber oft gut an Regeln halten und kommen sehr gut alleine durch den Tag, wenn sie den Rückhalt eines Erwachsenen haben.

Wie damit umgehen, wenn Kinder allein zum Sport oder zu Freunden gehen?

Trainer und auch Eltern von Freunden sollten natürlich wissen, dass ein Kind in ihrer Obhut Diabetes hat und was bei einer Unterzuckerung zu tun ist. Bei älteren Schulkindern, die sich schon auskennen, sollten Eltern aber gelassen sein und ihnen zutrauen, ihr Leben nach und nach selbst zu meistern. Ist doch Hilfe erforderlich, können Kinder ihre Eltern per Handy erreichen.

Sollte man das Kind auf Zwischenfälle vorbereiten?

Ja. Das Kind sollte wissen, wie es konkret Hilfe holen kann und dass das okay ist. Schon mit Kindergartenkindern kann man üben: Wie sage ich Erwachsenen, dass ich Diabetes habe und Hilfe brauche? Auf die Bitte, die Eltern anzurufen, reagieren fast alle Erwachsenen hilfsbereit.

Per App den Blutzucker des Kindes überwachen: Ist das eine Option?

Bei Zwölfjährigen halte ich das meist für unnötig. Drei- oder Fünfjährige verstehen natürlich noch nicht, was die Werte auf dem Display der Pumpe oder des Sensorsystems bedeuten. Sie sind auf Erwachsene angewiesen, die für sie die Verantwortung tragen — ­direkt oder aus der Ferne.

Was ist aus der Ferne zu beachten?

Wer solche Technik nutzt, sollte vorab überlegen, wie er im Notfall handelt, also etwa wenn das Kind extrem unterzuckert. Das System würde Alarm schlagen und die Eltern könnten den Erzieher oder die Lehrerin anrufen. Bei jeder Kleinigkeit aber sollte man nicht anrufen. Das Kind hat sonst den Eindruck, es sei in der Schule nicht sicher. Auch das Lehrpersonal wird zunehmend verunsichert und weniger bereit sein, dem Kind zu helfen.

Diabetesmanagement verlangt viel Disziplin. Wie schaffen Kinder das?

Ein Großteil der Kinder mit Diabetes entwickelt sich altersgemäß bei guter Lebensqualität, wächst daran und führt ein Leben wie viele Gleichaltrige auch. Eltern sollten darum nicht den Diabetes des Kindes zum Mittelpunkt des Lebens machen, aber anerkennen, was die Kinder da eigentlich leisten. Auch wenn nicht alles perfekt gelingt.

Und wie kommt man dahin?

Das Diabetesmanagement gehört zum Alltag. Genau wie das Kind vor dem Zubettgehen die Zähne putzt, gibt es sich vor dem Essen Insulin. Genau wie es seine Schultasche packt, wird alle zwei oder drei Tage der Katheter der Insulinpumpe gewechselt. Eltern sollten die Kinder gleich miteinbeziehen und ihnen altersgerechte Aufgaben übertragen, etwa Hautstellen desinfizieren oder den Blutzucker messen. Je älter das Kind, desto mehr kann es selbst übernehmen. Und je mehr die einzelnen Schritte dafür Routine sind, desto leichter fällt es ihm, gut mit Diabetes zu leben.


Quellen:

  • Interview mit Prof. Dr. Karin Lange, Diplom-Psychologin und Fachpsychologin Diabetes DDG, vom 29.11.2022