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Wohl viele von uns dachten im März 2020: Nur zwei Wochen durchhalten, dann haben wir das Virus im Griff. Wahrscheinlich gut, dass wir es nicht besser wussten. Sicherlich gut, dass die Pandemie inzwischen als beendet gilt. Ungut aber ist, dass die gesundheitlichen Folgen von Covid-19 auch heute noch Thema sind, gerade bei Kindern. Sie seien im Großen und Ganzen zwar gut durch diese Zeit gekommen, sagen Fachleute. Trotzdem liege die Lebensqualität noch nicht bei allen jungen Menschen wieder auf dem Level wie vor Corona.

„Die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen war während der Pandemie sehr hoch und nähert sich tatsächlich erst jetzt langsam wieder dem Niveau an, das wir davor hatten“, sagt die Soziologin Dr. Franziska Reiß. Sie war an der COPSY-Studie (COrona und PSYche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) beteiligt, bei der mehr als 1000 Kinder und Teenies sowie 1500 Eltern von 7- bis 17-Jährigen befragt wurden. 27 Prozent der Kids spürten auch vergangenen Herbst noch Einschränkungen. „Sie fühlten sich nicht so fit oder wohl wie früher, hatten weniger Energie, konnten sich nicht so gut konzentrieren“, so Reiß. Vor der Pandemie betraf dies nur 15 Prozent.

Die Zahl derer, die psychisch belastet sind, ist zwar seit 2021 deutlich gesunken, liegt mit 23 Prozent aber immer noch höher als vor Corona. „Viele Kinder und Jugendliche sind nach wie vor sehr ängstlich und leiden unter psychosomatischen Beschwerden wie Gereiztheit, Schlafproblemen, Niedergeschlagenheit, Kopf- und Bauchschmerzen“, sagt Reiß. Besonders betroffen: Kinder aus Risikofamilien, etwa mit niedrigem Bildungsgrad oder psychischer Krankheit der Eltern, mit Migrationshintergrund oder wenig Platz in der Wohnung. „Sie leiden etwa doppelt so häufig an psychischen Auffälligkeiten.“

Auch körperlich hat die Pandemie etwas mit den Kindern gemacht. Das Kinder- und Jugendkrankenhaus Auf der Bult in Hannover hat Vorschulkinder miteinander verglichen. Von ihnen waren 2019/2020 rund zehn Prozent übergewichtig oder fettleibig. 2021 waren es 14,5 Prozent. Der Wert hat sich nun auf rund zwölf Prozent eingependelt. Das Fitnessbarometer 2023 der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg weist in eine ähnliche Richtung: Die Drei- bis Zehnjährigen sind langsamer, weniger beweglich und ausdauernd und haben eine schlechtere Koordination. „Da­bei ist es gerade die Ausdauer, die eine über die Motorik hinausgehende Bedeutung hat. Sie stärkt neben der physischen auch die psychische Widerstandsfähigkeit der Kinder“, heißt es von der Stiftung – ein wichtiger Faktor für lebenslange Gesundheit.

Denn wer widerstandsfähig ist, hat bessere Chancen, durch aktuelle und künftige Krisen zu kommen. Entscheidend dafür sei eine vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern, sagt Reiß: „Kinder sollten sich ernst genommen, wertgeschätzt und sicher fühlen, indem Eltern ihnen zuhören, ihre Gefühle sehen und ernst nehmen und ihnen helfen, sie zu bewältigen.“ Ganz kleine Kinder müssten allerdings erst lernen, ihre Emotionen zu erkennen und zu benennen. Mama und Papa können helfen, die Gefühle ohne negative Bewertung einzuordnen und Lösungen aufzuzeigen: „Ich sehe, dass du sauer bist. Das ist okay. Ich atme dann immer dreimal tief durch. Vielleicht hilft es dir, in ein Kissen zu boxen?“ Eine geregelte Tages- und Wochenstruktur, Rituale, Ausflüge in die Natur oder gemeinsame Mahlzeiten machen ebenfalls stark, sagt Reiß. Genauso wie Vereine oder Hobbys. „So merken Kinder, dass sie aus eigener Kraft etwas erreichen können. Deshalb sollte man schon die Kleinsten ermutigen, Dinge auszuprobieren, statt sie ihnen abzunehmen oder sie sogar zu verbieten.“

In Bewegung Kommen

„Einige Kinder haben während der Pandemie zugenommen, weil sie nicht mehr in den Sportverein konnten und auch nicht zurückgekommen sind, als es wieder möglich war“, beobachtet Kinderärztin Brunnert. Eltern sollten dann möglichst niederschwellig und gemeinsam mit dem Kind mehr Bewegung ins Leben bringen und überlegen: Welche Sportarten im Verein könnten Spaß machen? Gibt es ein Kind aus dem Freundeskreis, das mitkommen möchte? Auch in den Alltag lässt sich Bewegung integrieren, beispielsweise auf dem Weg zur Kita oder Schule. Möglichst nicht das Eltern-Shuttle anbieten, sondern – sofern die Strecke für das Kind nicht zu gefährlich ist – zu Fuß gehen oder mit dem Rad oder Roller fahren. Die Kleinen können das Laufrad nehmen, die Eltern begleiten sie.

Beim Essen Vorbild sein

„Um Übergewicht und ungesundes Essverhalten bei Kindern zu vermeiden, müssen Eltern mit gutem Beispiel vorangehen“, sagt Kinderärztin Brunnert. „Eine Veränderung des Lebensstils sollte die ganze Familie einbeziehen.“ Ihrer Erfahrung nach der wichtigste Schritt: auf süße Getränke verzichten. So lassen sich viele Kalorien einsparen. Trinkt das Kind vor der Mahlzeit ein großes Glas Wasser, ist der Magen schon etwas gefüllt. Dann reicht oft eine Portion aus. Tipp: die Mahlzeit bereits auf einem Teller anrichten, damit das Kind nicht zum Nachschlag verführt wird. Wer in Gesellschaft ohne Ablenkung durch Bücher, Medien oder Spielzeug isst, wird schneller und zufriedener satt. Außerdem sollten Eltern beobachten, ob hinter einem ungesunden Essverhalten nicht etwa eine Essstörung wie Ess-Brech- oder Magersucht steckt. Diese haben durch die Pandemie zugenommen. Damit es nicht so weit kommt, ist es wichtig, beim Kind ein gesundes Körperbewusstsein zu stärken. Es kann auch helfen, geschönte Scheinideale in sozialen Netzwerken zu entlarven. „Sind Eltern mit dem Thema überfordert oder wissen nicht, ob das Gewicht des Kindes schon bedrohlich ist, brauchen sie einen Termin in der Kinder- und Jugendarztpraxis“, sagt Brunnert.

Hinschauen und Zuhören

„Kinder, die psychisch belastet sind, zeigen das nach außen hin häufig sehr deutlich“, sagt Kinderärztin Dr. Tanja Brunnert. Typisch sind Bauchschmerzen, viel Weinen, Einnässen, Nägelkauen. Oft gebe es dafür konkrete Auslöser, die den Eltern nicht immer gleich bewusst seien. Also: nach möglichen Belastungen Ausschau halten – und darüber sprechen. „Zeigen und sagen Sie, dass Sie für Ihr Kind da sind, dass die Familie ein geschützter Raum ist“, empfiehlt Brunnert. Wird die Situation schwieriger, weil das Kind nicht mehr in den Kindergarten oder die Schule möchte oder offensichtlich leidet, ist ein Termin in der Kinderarztpraxis nötig. „Wir schließen organische Ursachen aus und schauen dann, wie wir dem Kind konkret helfen können.“

Klare Medienregeln

Während der Pandemie haben die meisten Kinder zu viel auf Bildschirme geguckt. „Die Rolle rückwärts zu machen ist natürlich anstrengend“, sagt Brunnert. Was hilft? Klare Familienregeln, etwa: „Das sind unsere Medienzeiten und an die halten wir uns.“ Die Richtwerte: kein Bildschirm unter drei Jahren, Drei- bis Fünfjährige dürfen maximal eine halbe Stunde täglich auf einen Bildschirm schauen – egal ob Handy, Tablet oder Fernseher. Mit sechs bis sieben Jahren können es 45, danach 60 Minuten sein. Nutzt das Kind ab der weiterführenden Schule im Unterricht und bei Hausaufgaben elektronische Medien, muss man die passenden Zeiten individuell herausfinden. Ausnahmen sind okay. „Ist man ohnehin angestrengt, muss man es nicht immer auf einen Kampf ankommen lassen, solange man es klar als Ausnahme formuliert.“ Allerdings sollten Medienzeiten keine Belohnung sein. „Dadurch bekommt der Bildschirm eine enorme Wichtigkeit in unserem Alltag. Das wollen wir gerade nicht“, warnt Brunnert.


Quellen:

  • Ravens-Sieberer U, Devine J, Napp A et al.: Three years into the pandemic: results of the longitudinal German COPSY study on youth mental health and health-related quality of life. Online: https://www.frontiersin.org/... (Abgerufen am 03.07.2023)
  • Kinderturnstiftung Baden-Württemberg: Fitnessbarometer 2023. Online: https://www.kinderturnstiftung-bw.de/... (Abgerufen am 03.07.2023)
  • Reschke F, Wünsch A, Weiner S et al.: Auswirkungen des COVID-19 Lockdowns auf das Gewicht von Kindern zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchung der Region Hannover. Online: https://www.thieme-connect.com/... (Abgerufen am 03.07.2023)