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Es war fast vergessen in Zeiten großer Pharmakonzerne: Apotheken verkaufen nicht nur industriell produzierte Medikamente, sondern stellen sie nach ärztlicher Anordnung in der sogenannten Rezeptur auch selbst her. Eine beruhigende Vorstellung, seit vor allem Fiebersäfte und Antibiotika für Kinder durch Lieferengpässe in den letzten Monaten knapp wurden. Die Eigenproduktion kommt aber nur unter bestimmten Bedingungen infrage. Wie sie abläuft, erklären Sarah Flaute, Apothekerin, und Kuno Teerling, pharmazeutisch-technischer Assistent (PTA). Sie leiten gemeinsam die Rezeptur einer Apotheke in Münster.

Individuelle Anpassung

Nicht nur Lieferschwierigkeiten bei Fertig­arzneien können ein Grund dafür sein, Medi­kamente in der Rezeptur anzuferti­gen. „Viele industriell produzierte Präparate in der Behandlung chronischer Erkrankungen sind nicht auf Kinder zugeschnitten, beispielsweise bei Herz­fehlern“, erklärt Kuno Teerling. „Da haben wir die Möglichkeit, die Dosierung genau auf das jeweilige Körpergewicht des ­Kindes ab­zustimmen und mit dem Wachstum auch immer wieder anzu­pas­sen.“ Ebenso werden Arzneien bei Aller­gien oder Unverträglichkeiten in spezieller Zu­sammensetzung extra hergestellt. Damit Kinder die oft bitter schmecken­den Wirkstoffe annehmen, gibt es in der Rezeptur – genau wie in der Industrie – die Möglichkeit, Säfte oder Suspensionen auf Basis von Frucht­aromen herzustellen, um den unan­genehmen Geschmack zu überdecken.

Weit mehr als Salben

Dass Cremes und Salben für Haut­erkrankungen häufig auf ärztliche Verordnung in der Apotheke angerührt werden, wissen viele. Doch das Repertoire ist sehr viel breiter: „Es gibt kaum eine Arznei, die wir nicht in der Rezeptur herstellen können“, sagt Sarah Flaute. „Ob Säfte, Gele, Kapseln, Zäpfchen oder Augentropfen, da sind uns eigentlich keine Grenzen gesetzt – immer vorausgesetzt, die Rohstoffe und die Packmittel, also beispielsweise Tuben oder Medizinflaschen, sind lieferbar.“

Schritt für Schritt zur Fertigen Arznei

Bis ein individuell hergestelltes Medikament tatsächlich in die Hände der Kundschaft übergeht, durchläuft es viele Stationen. „Am Anfang steht eine Plausibilitätsprüfung, das heißt, wir überprüfen, ob die ärztliche Verordnung überhaupt sinnvoll und ein passendes Therapiekonzept erkennbar ist“, so Teerling. Trifft das zu, wird eine konkrete Herstellungsanweisung erstellt. Sie beschreibt unter anderem die Hygienemaßnahmen und legt die Darreichungsform und Verpackung fest. Während der Produktion in der Apotheke muss detailliert Protokoll geführt werden, etwa über die genaue Menge des Wirkstoffs und die Herkunft der jewei­ligen Charge. Schließlich gibt eine Apothekerin oder ein Apotheker nach Begutachtung und Kontrolle das Produkt frei: Saft, Salbe oder Gel erhalten abschließend noch ein Etikett mit personalisierter Dosierungsanweisung und Hinweisen zur Haltbarkeit, Zusammensetzung und Anwendungsdauer – dann kann die Therapie beginnen.

Strenge Qualitäts- und Sicherheitskontrollen

Für die Mitarbeitenden in der Rezeptur ist immer nachvollziehbar, woher die Rohstoffe stammen. „Wir überprüfen streng auf Identität, Reinheit und Gehalt und achten auf höchste pharmazeutische Qualität“, so Apothekerin Flaute. Außerdem stehen Kontrollen während des Herstellungsprozesses an: Wurde die Arbeitsfläche desinfiziert, hat sich der Wirkstoff gelöst, sind Glasflaschen unversehrt und staubfrei? „Es zählt das Vier-Augen-Prinzip, damit wirklich nichts übersehen wird“, ergänzt PTA Kuno Teerling. Auch gelegentliche stichprobenartige Kontrollen von außen, durch ein Zentrallabor oder durch das Gesundheitsamt, finden statt.

Modell mit Zukunft

Ob Rezepturen weiterhin einen wichtigen Platz neben Industrie-­Arzneien einnehmen werden, darauf hat Sarah Flaute eine klare Antwort: „Wir werden auch in Zukunft individuell auf Patienten zugeschnittene Medikamente herstellen, einfach, weil der Bedarf besteht. Rezepturen sind ja ein Alleinstellungsmerkmal der Apotheken vor Ort.“ Gerade chronisch kranke Kinder würden enorm von der individuellen ­Anpassung profitieren, so die Apothekerin.

Die Kostenfrage

Natürlich ist ein handgefertigtes Einzel­medi­kament teurer als eines aus der Massen­pro­duktion. „Dennoch übernehmen die Kranken­kassen die Kosten, wenn eine Rezeptur ärzt­lich verordnet und klar deklariert ist und wenn es keine Alternative dazu gibt“, sagt Sarah Flaute. Bis Redaktionsschluss bestand aufgrund der Knappheit etwa eine ent­spre­chende Ausnahmeregelung bei Fiebersäften.


Quellen:

  • ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. : Rezepturarzneimittel. Online: https://www.abda.de/... (Abgerufen am 19.04.2023)
  • Leitlinie der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung: Herstellung und Prüfung der nicht zur parenteralen Anwendung bestimmten Rezeptur- und Defekturarzneimittel. Leitlinie: 2022. Online: https://www.abda.de/... (Abgerufen am 20.04.2023)

  • GKV-Spitzenverband: Festbeträge für 180 Kinder-Arzneimittel werden ausgesetzt. Online: https://www.gkv-spitzenverband.de/... (Abgerufen am 20.04.2023)