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Von den Hormonen über das eigene Körpergefühl bis hin zum Schlafrhythmus: Eine Schwangerschaft kann einiges auf den Kopf stellen. Das ist normal. Aufpassen und gegensteuern heißt es aber, wenn der Blutzuckerwert durchei­nandergerät. Ein sogenannter Schwangerschafts- oder Gestationsdiabetes kann sich massiv auf die Gesundheit von Mutter und Kind auswirken – auch langfristig. Viele scheinen das Thema jedoch nach der Geburt abzuhaken und lassen ihre Werte nicht mehr kontrollieren: keine gute Idee!

Bei der Mehrheit der Frauen normalisiert sich der Blutzucker nach der Geburt wieder, berichtet die Leitlinie, nach der Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsdiabetes behandeln. Allerdings entwickeln dennoch mehr als 35 Prozent der Frauen, die in der Schwangerschaft Gestationsdiabetes hatten, in den ersten zehn Jahren nach der Geburt Diabetes Typ 2. Damit steigt auch ihr Risiko für Herz­erkrankungen und Schlaganfall. Hinzu kommt: Die ­Frauen sind gefährdeter, beim nächsten Kind wieder einen Schwangerschaftsdiabetes zu bekommen. Mit dem richtigen Lebensstil – gesunde Ernährung und Bewegung – während und nach der Schwangerschaft lässt sich das Risiko für die langfristigen Folgen häufig verringern, betont die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Sandra Hummel. Die Professorin leitet die Arbeitsgruppe Gesta­tionsdiabetes am Helmholtz Zentrum München.

Schwangerschaftsdiabetes ist eine Störung des Blutzuckerspiegels, die erstmals in der Schwangerschaft auftritt. Der Körper reagiert nicht mehr so gut auf das Hormon Insulin. Dadurch wird der Zucker aus dem Blut schlechter in die Zellen transportiert und bleibt vermehrt im Blut – der Zuckerspiegel steigt. 7,3 Prozent der schwangeren Frauen waren 2019 in Deutschland laut Robert Koch-Institut betroffen, Tendenz: steigend. 2013 waren es noch 4,6 Prozent gewesen.

Risiko für Frühgeburt

Warum manche Frauen Schwangerschaftsdiabetes bekommen und andere nicht, ist noch nicht vollständig geklärt. Eine Rolle spielen nach aktuellem Kenntnisstand die Gene, aber auch der Lebensstil: Wer schon vor der Schwangerschaft übergewichtig ist, sich wenig bewegt und eher ungesund isst, hat ein höheres Risiko.

Neben langfristigen Folgen müssen werdende Mütter mit dieser Erkrankung auch häufiger mit unmittelbaren Problemen rechnen wie Frühgeburt, Kaiserschnitt oder Präeklampsie, die früher Schwan­ger­schaftsvergiftung genannt wurde. Auch steigt die Wahrscheinlichkeit für schwe­rere Geburtsverletzungen, da die Babys von betroffenen Frauen oft schwerer sind oder im Verhältnis zum Kopf breite Schultern haben. Zudem drohen die Kleinen nach der Geburt leichter zu unterzuckern. Ihr Körper ist einen hohen Blutzuckerspiegel gewohnt und produziert daher zunächst zu viel Insulin. Daher müssen Neugeborene von Müttern mit Schwangerschaftsdiabetes während der ersten 24 bis 48 Stunden von geschultem Personal überwacht werden. Spätestens 30 Minuten nach der Geburt brauchen sie Nahrung – am besten durchs Anlegen an der Brust. Der Blutzuckerspiegel reguliert sich zwar in den ersten Lebens­tagen, wie Sandra Hummel sagt: „Die Kinder haben aber langfristig ein erhöhtes Risiko für Übergewicht, Typ-2-Diabetes und die damit einhergehenden Gefahren wie Herz-­Kreislauf-Erkrankungen.“

Lebensstil anpassen

Einen Schwangerschaftsdiabetes früh zu erkennen und zu behandeln, ist darum wichtig. Hinzu kommt: Das Risiko, nach der Schwangerschaft
Diabetes Typ 2 zu entwickeln, haben zwar alle Frauen mit Gestationsdiabetes. Aber: Je ausgeprägter dieser ist, desto höher ist es, erklärt Sandra Hummel. So bekommen beispiels­weise Mütter, die Insulin brauchten, später wahrscheinlicher Diabetes als Frauen, die ihre Werte ohne Medikamente senken konnten.

Ergibt die Untersuchung (siehe Info-­Kasten Seite 24) bei der Gynäkologin oder dem Gynäkologen auffäl­lige Werte, werden diese durch einen zweiten Test überprüft. Das kann auch in einer Praxis für Diabetologie geschehen. Steht die Diagnose, wird die Schwangere von da an üblicherweise auch diabetologisch betreut. Wie genau sie behandelt wird, hängt von der individuellen Situation ab, wie die Gynäkologin und Diabetologin Professorin Dr. Ute Schäfer-Graf erklärt. Sie leitet das Diabeteszen­trum für Schwangere am St. Joseph Krankenhaus in Berlin. Bei den meisten Betroffenen genügt es, wenn sie sich mehr bewegen und ihre Ernährung umstellen, damit ihre Zuckerwerte im empfohlenen Bereich liegen. „Etwa 30 Prozent der Frauen benötigen zusätzlich Insulin“, sagt Schäfer-Graf. Seit März 2022 ist zudem Metformin als Wirkstoff bei Gesta­tionsdiabetes zugelassen.

Die Ernährungswissenschaftlerin Sandra Hummel sagt: „Abnehmen wird in der Schwangerschaft nicht empfohlen.“ Dennoch zählt das Gewicht beim Gestationsdiabetes: Es kommt darauf an, wie viel eine werdende Mutter zunimmt. Die Empfehlungen richten sich nach dem Body-­Mass-Index (BMI), also dem Verhältnis von Körpergewicht zu Größe. Hat eine Frau einen BMI im Bereich des Normalgewichts zwischen 18,5 bis 24,9, ist zum Beispiel ein Plus von 11,5 bis 16 Kilogramm okay. Für Frauen mit einem BMI über 30 gilt inzwischen eine Zunahme von 0 bis 5 Kilogramm als ratsam.

Schwangere müssen ihren Energiebedarf decken und brauchen auch ausreichend Kohlenhydrate, betont Hummel. Aber wichtig ist, wie für Nicht-Schwangere auch, die Art der Kohlenhydrate. Für Weißmehl­produkte, Süßigkeiten, gesüßte Getränke – überhaupt Kohlenhydrate aus stark verarbeiteten Lebensmitteln gilt: besser meiden. Wie alle Kohlenhydrate werden sie zu Glukose – Traubenzucker – umgewandelt.

Vollkorn und gute Fette

An sich ein normaler Prozess, allerdings gelangt der Traubenzucker aus Süßem und Co. sehr schnell ins Blut, der Blutzucker schießt in die Höhe. Besser ist es daher, in Maßen komplexe Kohlenhydrate aus Vollkornprodukten zu sich zu nehmen. Die Glu­kose kommt langsamer ins Blut, der Blutzucker steigt nicht so stark an. Auch wichtig: gute Fette – etwa aus Raps- oder Leinöl oder Walnüssen. Und täglich sollten es mindestens 500 Gramm Gemüse sein.

Was die Bewegung angeht, muss ­keine Frau zur Hochleistungssport­lerin werden – erst recht nicht in der Schwangerschaft. Ausdauersport­arten wie Walking oder Schwimmen können jedoch helfen, die Zucker­werte zu senken, so Expertin Hummel. Ebenso Spazierengehen: dreimal die Woche rund 30 Minuten.

Schwangere mit Gestationsdiabetes sind Risikoschwangere. Die Klinik, in der sie ihr Baby zur Welt bringen möchten, sollte daher über beson­dere diabetologische Erfahrung verfügen. „Am besten stellt man sich dort frühzeitig vor“, rät Ute Schäfer-Graf. „Frauen, die Insulin spritzen, sollten unbedingt in einem Perinatalzentrum entbinden.“ Dort ist auch die Versorgung des Babys sichergestellt (im Internet finden Sie unter perinatalzentren.org/standortliste/ eine Übersicht der Kliniken). Den Frauen wird meist empfohlen, die Geburt am errechneten Termin einleiten zu lassen, weil ihr Baby sonst über die Plazenta womöglich nicht mehr ausreichend versorgt ist. Die Gefahr steigt generell mit der Länge der Termin­überschreitung. „Mit der Einleitung möchte man verhindern, dass sich zwei Risiken addieren“, sagt Schäfer-Graf.

Stillen schützt

Nach der Geburt wird im Krankenhaus bei Frauen, die Insulin gespritzt haben, der Blutzucker kontrolliert. Selbst wenn er im Normalbereich liegt, sollten die Frauen ihn – wie generell nach ­einem Schwangerschaftsdiabetes – sechs bis zwölf Wochen später erneut mit einem oralen Glukosetoleranztest überprüfen lassen. Ist dieser Test wieder in Ordnung, gilt die Empfehlung: Werte alle zwei Jahre checken lassen. Bei Auffälligkeiten jährlich.

Das geht meist mit einer einfachen Blutab­nahme auf nüchternen Magen. Aber Zahlen des Wissenschaftlichen Instituts der niedergelassenen Diabetologen zeigen: Den Check in den Wochen nach der Geburt machen lediglich 40 Prozent der Betroffenen. Mit Blick auf die mög­lichen Langzeit­folgen und weitere Schwangerschaften ist das problematisch. Nur: „Es ist nicht festgelegt, wer für die Nach­sorge zuständig ist und die Mütter sind in den ersten Monaten mit ­einem Säugling belastet“, erklärt Diabetologin Schäfer-Graf. In ­ihrer Klinik wird daher im Arztbrief angekreuzt, ob ein oraler Glukosetoleranztest sinnvoll ist. Zudem liegt ein Zettel als Erinnerung im Mutterpass mit der ­Bitte um Mitteilung des Ergebnisses. Aber: „Da kommt fast gar nichts.“

Expertin Sandra Hummel sieht neben den Frauen vor allem die Gynäkologinnen und Gynäkologen in der Pflicht. Noch etwas liegt ihr am Herzen: das Stillen. „Es ist einer der wenigen Faktoren, von denen wir wissen, dass er einen schützenden Effekt hat, sowohl für die Mutter als auch für das Kind“, sagt sie. ­Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes, die länger als drei Monate ausschließlich stillen, reduzieren damit zum einen das Risiko, später selbst an Diabetes Typ 2 zu erkranken. Zum anderen senken sie das Risiko, dass ihr Kind stark übergewichtig wird.

Screening auf Schwangerschaftsdiabetes

Jeder Schwangeren steht zwischen der 24. und dem Ende der 27. Schwan­gerschafts­woche ein Test auf Schwangerschaftsdiabetes bei der Gynäkologin oder dem Gynäko­logen zu:

Für den Test bekommen Sie in der frauenärztlichen Praxis ein Glas mit 200 Milli­liter Wasser mit 50 Gramm Zucker zu trinken. Nach einer Stunde wird Blut abgenommen und gemessen:

∙Liegt der Zuckerwert über 200 mg/dl (11,2 mmol/l), steht die Diagnose Schwangerschaftsdiabetes.

∙Liegt der Zuckerwert über 135 mg/dl (7,5 mmol/l), folgt ein weiterer Test, meist in einer diabetologischen Praxis.

Ist ein Folgetest nötig, gilt: mindestens acht Stunden vorher nichts mehr essen und bis auf Wasser ohne Kohlensäure nichts trinken. Nach Blutabnahme und Blutzucker-Messung trinken Sie schluckweise eine Lösung aus 300 Milliliter Wasser und 75 Gramm Glukose. Nach einer und nach zwei Stunden wird erneut Blut abgenommen:

∙Liegt der Blutzucker nüchtern bei mehr als 92 mg/dl (5,1 mmol/l), nach einer Stunde höher als 180 mg/dl (10,0 mmol/l) oder nach zwei Stunden über 153 mg/dl (8,5 mmol/l), liegt ein Schwangerschaftsdiabetes vor.


Quellen:

  • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG): Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge. Leitlinie: 2018. https://www.awmf.org/... (Abgerufen am 11.10.2022)

  • Robert Koch-Institut: Gestationsdiabetes in Deutschland: Zeitliche Entwicklung von Screeningquote und Prävalenz. https://www.rki.de/... (Abgerufen am 11.10.2022)
  • Schäfer-Graf U, Laubner K, Hummel S et. al.: Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge - Praxisempfehlung. https://www.ddg.info/... (Abgerufen am 11.10.2022)
  • Wissenschaftliches Institut der niedergelassenen Diabetologen Gemeinnützige winDiab GmbH: Ergebnisse des GestDiab Registers. https://www.windiab.de/... (Abgerufen am 11.10.2022)
  • Robert Koch-Institut: Prävalenz des Gestationsdiabetes. https://diabsurv.rki.de/... (Abgerufen am 27.10.2022)