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Ein unstillbarer Juckreiz. Kleine Finger, die Wangen, Arme und Beine blutig kratzen. Sandra Z. kennt diese quälenden Nächte, in denen an Schlaf nicht zu denken ist: „Dann sitze ich am Bett meiner kleinen Tochter und halte sanft ihre Händchen fest, um sie davon abzuhalten. Oder ich nehme Lilli mit zu mir und umarme sie vorsichtig.“ Während die Zweijährige zur Ruhe kommt, liegt Sandra stundenlang wach und grübelt. „Ich würde ihr so gerne helfen und kann es nicht“, sagt die 33-Jährige. Hautarzt Dr. Uwe Schwichtenberg aus Bremen kennt diese Problematik: „Unter Neurodermitis leidet das ganze Umfeld. Die Familien spüren eine große Hilflosigkeit. Gepaart mit der aufwendigen Pflege und schlaflosen Nächten ist die körperliche und see­lische Belastung für alle sehr hoch.“

Das atopische Ekzem, wie Neurodermitis eigentlich korrekt genannt wird, ist bei Kindern die häufigste chronische Hauterkrankung. Etwa 13 Prozent der Kinder und zwei bis drei Prozent der Er­wachsenen in Deutschland sind betroffen. Meist tritt Neurodermitis bereits im Säuglingsalter auf und zeigt sich durch ­eine sehr trockene Haut, die buchstäblich gereizt reagiert: Sie entzündet sich schnell und juckt. Bei Lilli beginnt es mit einer extrem trockenen Kopfhaut und ­einem Ekzem an der Schläfe. Das Mädchen ist damals erst drei Monate alt. Seitdem gibt es immer wieder Phasen, in denen die ­heute Zweijäh­rige sehr unter der Krankheit leidet.

Neurodermitis verläuft meist in Schüben, es gibt symptomfreie Zeiten, in denen die Haut zwar etwas trockener, aber nicht entzündet ist. Bei einem akuten Krankheitsschub ist die Hautbarriere aufgrund einer Störung des Immunsystems geschwächt, Keime können eindringen, es juckt und brennt. Kratzen schädigt die Haut weiter, sie entzündet sich. Die Hautoberfläche nässt, es bilden sich Krusten, was zu neuen Kratz-­Attacken führt. Der sogenannte Juckreiz-Kratz-Zirkel setzt ein. Nicht nur für das Kind eine Belastung, sondern auch für die Eltern. Viele fragen sich dann: Werden wir diese Krankheit je wieder los? Hier gibt es ­eine gute Nachricht. „Nicht selten verbessert sich die atopische Der­matitis im Jugend­alter oder verschwindet sogar ganz“, sagt Hautarzt Schwichtenberg.

Nicht der eine Auslöser

Die verzweifelte Suche nach der Ursache zermürbt Familien oft. Dabei sind sich die Fachleute heute einig: Einen einzelnen Grund für die Hauterkrankung gibt es nicht. Vielmehr können mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Das Risiko, an Neurodermitis zu erkranken, steigt zum Beispiel, wenn ein oder beide Elternteile selbst betroffen waren oder sind. So ist es bei Familie G.: Mama Maike litt bis zur Pubertät daran, Papa Lars bis heute. Überrascht waren die beiden daher nicht, als auch bei Tochter Emilia, heute 4, die ersten Anzeichen der Neurodermitis auftraten, auch bei ihr schon im Säuglingsalter. Die Eltern wissen, dass die Krankheit zwar nach wie vor als nicht heilbar gilt. Aber sie beobachten aufmerksam, welche Schlüsselreize, auch „Trigger“ genannt, zu einer Verschlechterung führen. Bei Emilia kam es beispielsweise nach dem Besuch im Pferde­stall zu einem heftigen Ausbruch. „Entweder sind es die Haare oder das Heu. Und wir haben das Gefühl, dass Emilias Haut sich durch zu viel Zucker verschlechtert“, so Maike.

Klopfen statt kratzen

Hautarzt Uwe Schwichtenberg hält das für möglich. Nahrungsmittel, Pollen, Tierhaare, Textilien, aber auch Waschmittel und Stress können etwa Auslöser für Neurodermitis-Schübe sein. Er betont aber: „Dennoch gibt es nicht den einen Auslöser, der weggelassen den Spuk sofort und für immer beendet. Sosehr wir uns das alle wünschen.“ Ihm liegt das am Herzen. Denn er weiß: Viele Mütter und Väter suchen Monate und Jahre verzweifelt nach dem einen Übeltäter, der die Hauterkrankung vermeintlich verursacht. „Wer ihn nicht findet, leidet häufig unter Schuldgefühlen.“

Sosehr die Krankheit den Fami­lienalltag belastet, so gerne hätten ­Eltern oft mehr Hilfe und Unterstützung. Sie wollen mehr über die atopische Dermatitis erfahren, um besser damit umgehen zu können. Auch Sandra Z. hat Kurse von der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung e. V. belegt. Hier lernen Betroffene unter anderem Strategien, um den Juckreiz-­Kratz-Teufelskreis zu durchbrechen, also zum Beispiel eher zu klopfen, als zu kratzen. Eltern bekommen Tipps, wie sie die Neurodermitis in den Alltag integrieren und wie sie besser mit den emotionalen Belastungen umgehen können. „Sich austauschen zu können und zu merken, dass man mit den Problemen nicht allein ist, kann sehr entlastend wirken“, sagt Schwichtenberg.

Der Alltag mit einem an Neurodermitis erkrankten Kind ist oft anstrengend. Besonders die Pflege der Haut braucht viel Zeit und Geduld. Die
Behandlung erfolgt nach einem so­-
ge­nannten Stufentherapieplan. Er ­besteht aus der Basispflege mit
fett- und feuchtigkeitsspendenden Cremes. Mindestens zwei Mal am Tag, meist morgens und abends, sollten Eltern das Kind gewissenhaft eincremen. Zusätzlich nach jedem Bad. „Das gehört bei uns allen zum Alltag wie das Zähneputzen, Emilia kennt es nicht mehr anders“, meint Papa Lars.

Doch so wie es nicht die eine Ursache gibt, gibt es auch nicht die eine Creme, die allen hilft. „Bei der Pflege müssen sich Eltern an den Hautzustand und an die Jahreszeit anpassen“, erklärt Prof. Dr. Regina Fölster-­Holst, Oberärztin am Campus Kiel des Universitäts­klinikums Schles­-
wig-Holstein. Eine trockene Haut braucht mehr Fett, also lipidhaltigere Produkte. Bei Rötungen sind laut der Expertin eher Feuchtigkeitscremes zu bevorzugen. Auch rückfettende Bäder oder feuchte Umschläge (siehe Grafik Seite 20) lindern vielfach die Beschwerden. Tritt keine Besserung ein, sollten spezielle Inhaltsstoffe verwendet werden. Bewährt haben sich etwa ab dem vierten Lebensjahr Zink und Harnstoff (Urea). Auch eine ausschleichende Behandlung mit niedrig dosiertem Kortison kann helfen.

Keine Angst vor Kortison

Die Dermatologin sieht dann oft in erschrockene Gesichter: „Die Angst vor diesem Wirkstoff ist nach wie vor weit verbreitet. Doch in der richtigen Dosis und erforderlichen Behandlungsdauer ist Kortison ein sicheres und hilfreiches Medikament.“ Diese Erfahrung machte auch Familie G.. Mit nur drei Monaten musste Emilia für sechs Tage ins Kran­kenhaus, weil sie sich den ganzen Oberkörper aufgekratzt ­hatte. „So ein kleines Baby mit einer hoch dosierten Kortisoncreme zu behandeln, ist uns erst schwergefallen. Aber wir wussten, dass es keine andere Lösung gab, und konnten fast zuschauen, wie sich ­ihre Haut verbessert hat“, erinnert sich Maike. Inzwischen läuft das Leben mit der Neurodermitis recht routiniert: Mit der richtigen Basispflege und genug Pausen im Alltag kommt die Kortisonsalbe zum Glück nur noch ganz selten zum Einsatz.

Tipp 1

Zwei- bis dreimal täglich eine rückfettende Basiscreme
auftragen.
Bei akutem Juckreiz darf das Kind selbst nachcremen. Das hält die Haut feucht
und kann den Juckreiz lindern.

Tipp 2

Regelmäßig Fingernägel schneiden. So kann
sich das Kind nicht so leicht blutig kratzen.

Tipp 3

Lockere Kleidung aus ­Naturfasern wählen. ­Kratzige Nähte vermeiden, Textilien vor dem ersten Tragen mit möglichst duftstofffreiem Waschmittel waschen.

Tipp 4

Darauf achten, dass
das Kind nicht schwitzt. Bei einem akuten Schub auf schweißtreibende sportliche Aktivitäten lieber verzichten.

Tipp 5

Im Winter auf ­ausreichend Luftfeuchtigkeit achten und überheizte Räume meiden.

Tipp 6

Seifenfreies Duschgel und Shampoo ohne Zusatz von Duftstoffen verwenden. In der Apotheke bei der Wahl der richtigen Basispflege beraten lassen.

Sandra Z., 33, wünscht sich mehr Unterstützung, wenn es um die Verordnung von Hilfsmitteln geht

Unsere Töchter haben beide Neurodermitis. Bei Helena ist es zum Glück nicht ganz so dramatisch, aber Lilli leidet sehr darunter. Sie war etwa drei Monate, als die Erkrankung ausbrach. Alles begann mit einer extrem trockenen Kopfhaut und einem Ekzem an der Schläfe. Heute hat sie bei heftigen Schüben am ganzen Körper aufgekratzte, nässende Stellen. Weil sie am Daumen lutscht, ist ihre linke Armbeuge ständig durch die gestaute Wärme und Feuchtigkeit entzündet. Wenn es besonders schlimm ist, ­greife ich auch zur Kortisoncreme und bin froh, wie schnell es besser wird. Trotzdem setze ich Kortison sehr vorsichtig ein und nur, falls nichts anderes mehr hilft.

Morgens und abends creme ich die Mädchen mit einer Basispflege ein. Für Helena ist das inzwischen Rou­tine geworden, doch Lilli findet die Cremerei manchmal richtig doof und schubst mich weg oder versucht wegzulaufen. Mit zwei Jahren versteht sie natürlich noch nicht, warum das so wichtig für ihre Haut ist.

Zweimal die Woche bade ich die zwei mit einem rückfettenden Badezusatz und nachts tragen sie lange Schlafanzüge aus einem Spezial-Gewebe. Das Material hat eine weiche, glatte Oberfläche, die an schorfigen Stellen nicht hängen bleibt. Gleichzeitig reguliert das Gewebe die Temperatur optimal. Lillis Haut muss immer komplett bedeckt sein, sonst fängt sie sofort an, sich zu kratzen. Das ist für uns alle belastend. In den Winternächten ist an Schlaf häufig nicht zu denken.

Das hilft uns: die Beratungen in ­einem ambulanten Schulungszentrum. Hier habe ich viel gelernt und auch wertvolle Tipps bekommen. Zum Beispiel, dass ich die Pflege­creme so oft benutzen kann, wie es mir nötig erscheint, und eine Neurodermitis-Haut nicht überpflegt werden kann, wenn sie trocken ist. Das wird ja nach wie vor häufig behauptet. Auch zum Thema Fettgehalt von Cremes gab es dort gute Infos. Demnächst möchte ich eine mehrtägige Schulung machen, um noch mehr über die Erkrankung zu erfahren. Hilfreich fand ich in der Corona-Zeit, dass ein Arzt eine Online-­Sprech­stunde angeboten hat und sich Lillis Haut per Skype „angeschaut“ hat.

Das finden wir anstrengend: Theo­retisch könnten Kinderärzte die speziellen Schlafanzüge verordnen und viele Krankenkassen beteiligen sich an den Kosten. Ich hatte nicht die Kraft, das durchzukämpfen, und ­kaufe nun eine günstigere Variante selbst. Da würde ich mir wünschen, dass Eltern unkomplizierter Unterstützung bekommen.

Lars G., 44, weiß, dass Stress der Haut seiner Tochter nicht guttut

Mist, jetzt hat es sie auch erwischt! Das war unser erster Gedanke, als bei Emilia kurz nach der Geburt Neurodermitis diagnostiziert wurde. Natürlich haben wir damit gerechnet, weil wir beide betroffen sind beziehungsweise waren.

Trotzdem gab es diesen Funken Hoffnung. Gleichzeitig waren wir durch unsere eigenen Erfahrungen nicht total verzweifelt oder in Panik, wir sind da ja quasi reingewachsen. Schlimm war, als Maike mit der erst drei Monate alten Emilia für sechs ­Tage ins Krankenhaus musste, weil sie so einen schweren Schub hatte. Da war uns allen schwer ums Herz. Damals hat Maike Emilias Körper alle vier Stunden mit fett-feuchten Umschlägen verbunden und die offenen Stellen mit Kortisoncreme versorgt, auch nachts. Und der Aufwand wurde belohnt: Emilias Haut geht es seitdem deutlich besser. Cremen gehört für uns zum Alltag. Wenn sie trotzdem mal gar keine Lust hat, versuchen wir es spielerisch. Da ist Maike wirklich gut drin. Die beiden malen in solchen Momenten Emilias Gesicht voller weißer Punkte oder einen Mond auf ihren Bauch.

Wir achten darauf, dass Emilias Fingernägel immer kurz sind. Wenn sie sich kratzt, sprechen wir sie nicht darauf an, sondern lenken sie ab. Oder wir raten ihr, mit der Faust über die Stelle zu rubbeln, statt zu kratzen. Cremen statt jucken ist auch gut. Vor allem besser als der überflüssige Satz „Hör auf, dich zu kratzen“ – das bringt nur Frust.

Wenn es nicht anders geht und Emilia Ekzeme oder blutende Stellen hat, benutzen wir auch nach ärzt­licher Rücksprache für ein paar Tage Kortisoncreme. Klar hat jedes Medikament Nebenwirkungen, doch es geht auch um eine Risiko-Nutzen-Abwägung. Wir wollen verhindern, dass sich die Haut noch mehr entzündet.

Das hilft uns: Wir versuchen, uns nicht zu viel Sorgen zu machen, und haben einen recht entspannten Umgang mit der Neurodermitis gefunden. Die Krankheit ist unberechenbar und wir haben wenig Einfluss auf den Verlauf. Wir haben nicht das Gefühl, dass ein bestimmtes Nahrungsmittel der Übeltäter ist. Eventuell könnte zu viel Zucker problematisch sein. Nicht gut sind Stress und zu viele Termine, das sehen wir Emilias Haut sofort an. Deswegen achten wir darauf, den Kalender nicht zu voll zu stopfen, und machen gerne Gesellschaftsspiele oder Fahrradtouren mit Emilia.

Das finden wir anstrengend: Anfangs haben wir unglaublich viele Rat­schläge bekommen. Alle waren gut gemeint und einige haben wir ausprobiert. Dennoch ist Neurodermitis eine extrem individuelle Krankheit. Ein Patentrezept gibt es nicht, jeder muss seinen eigenen Weg finden.

Nasse Wickel richtig anwenden

Feuchtwarme Wickel können die Haut beruhigen. Wichtig: Die Behandlung unbedingt vorher mit Ärztin oder Arzt absprechen!

schritt 1

Baden Sie das Kind circa 5 bis 8 Minuten in handwarmem Wasser mit einem milden, für Neuro­dermitis geeigneten Badezusatz.

Schritt 2 Wickeln Sie das Kind in ein trockenes Hand­- tuch oder tupfen Sie es leicht ab. Bitte nicht abrubbeln, das reizt und strapaziert die Haut.

schritt 4

Tauchen Sie ein eng ­anliegendes Kleidungsstück, zum Beispiel einen Body, in handwarmes Wasser. Wringen Sie den Body aus und ziehen Sie ihn dem Kind an.

schritt 3

Cremen Sie entzündete Stellen mit der verord­-
ne­ten (Kortison-)Creme ein, den Rest mit
einer Basispflege je nach Hautzustand. Trockene Haut braucht mehr Fett, gerötete Haut mehr Feuchtigkeit.

Schritt 5 Über den Body ein trockenes Kleidungsstück ziehen. Kind warm halten, um eine Erkältung zu vermeiden.

schritt 6

Nach 2 bis 3 Stunden den feuchten Body aus­ziehen und den kompletten Kör­per erneut eincremen (Schritt 3). Tritt keine
Besserung des Ekzems ein, bitte mit der Ärztin oder dem Arzt sprechen.

„Die Krankheit folgt eigenen Gesetzen“

Warum sich Eltern keine Schuld an der Erkrankung geben sollten und
weshalb Entlastung so wichtig ist, erläutert der Dermatologe Uwe Gieler

Welche Frage stellen Sie den Eltern beim ersten Termin in Ihrer Praxis als Erstes?

Eine, die viele erst mal überrascht. Sie lautet: „Welche Entlastungsmöglichkeiten haben Sie?“ Erst danach sprechen wir über die Erkrankung.

Warum ist Ihnen das so wichtig?

Eine Neurodermitis bedeutet Dauer­pflege, und zwar 24 Stunden und sieben Tage die Woche. Da der Juckreiz vermehrt nachts auftritt, schläft oft die ganze Familie nicht gut. Das Kind, weil es sich die ganze Zeit kratzen muss, und die Eltern, weil sie versuchen, es vom Kratzen abzulenken. Unter diesem Schlafentzug leiden alle. Kinder sind am nächsten Tag quengelig und Eltern fällt es unter Umständen schwer, sich im Job zu konzentrieren. Deswegen
ist es so wichtig, dass Betroffene regel­mäßig eine Pflegepause haben und sich auch jemand anderes um das Kind kümmert. Vor allem bei Alleinerziehenden ist das kaum der Fall.

Beobachten Sie, dass sich viele Eltern unter Druck setzen?

Ja. Dazu möchte ich sagen: Liebe Eltern, geben Sie sich bitte nicht die Schuld an der Erkrankung. Es handelt sich um eine angeborene Hauterkrankung, die zum Großteil ihren eigenen Gesetzen folgt. Es gibt externe Einflüsse, die ­einen Schub begünstigen können. Da­zu zählen manchmal Nahrungsmittel und auch sogenannte Life-Events wie Trennung, Tod oder Umzug. Diese Faktoren haben jedoch einen kleineren Einfluss als angenommen. Es gab sogar eine Zeit, da wurde Müttern der Vorwurf gemacht, sie seien zu behütend und würden die Krankheit damit verschlimmern. Das ist absoluter Unsinn!

Gibt es hierzulande genügend psychologische Unterstützung für betroffene Familien?

Hier herrscht ein klarer Mangel in Deutschland. Natürlich muss ein Fokus darauf liegen, den Hautzustand beim Kind durch Pflege und notfalls Medikamente zu verbessern, und die Derma­to­­-
logie hat hier große Fort­schritte gemacht. Dennoch braucht es auch eine stärkere psychische Unter­stützung, um Überforderungssituatio­nen zu verhindern. Wir dürfen nicht vergessen: Bis zu 70 Prozent aller Fälle treten bereits im ersten Lebensjahr auf. Das bedeutet, dass die Familien sehr früh und jahrelang einem hohen Leidensdruck ausgesetzt sind.

Wie können Eltern im Alltag besser mit der Erkrankung umgehen?

Indem sie sich bewusst Auszeiten ­nehmen. Betroffene Eltern brauchen
einen Ausgleich, um bei der auf­wendigen Pflege ausgeglichen zu sein. Denn Abwehr ist bei Kindern normal, schließlich raubt das Cremen Spielzeit und wird eventuell auch als unangenehm empfunden. Dann ist Geduld gefragt, um trotzdem liebe­voll zu cremen und nicht ruppig zu werden.

Was wäre denn ein guter ­Ausgleich?

Das ist sehr individuell. Der eine schöpft Kraft bei der Gartenarbeit, die andere beim Sport. Entscheidend ist, überhaupt eine Energiequelle neben der Erkrankung zu haben.

Was halten Sie von speziellen
Entspannungstechniken?

Finde ich großartig! Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Achtsamkeit oder autogenes Training sind zum Beispiel sehr hilfreich. Diese können zum Teil schon von Kindern ab drei Jahren erlernt werden.

Werden Kinder älter, wächst auch bei ihnen oft die seelische Be­lastung. Wie kann ich mein Kind gut unterstützen?

Indem ich als Mutter oder Vater gut informiert und selbstbewusst mit der Krankheit umgehe. Das überträgt sich meist auch auf das Kind. Die Krankheit sollte kein Tabu sein und auch kein Dauerthema, das den Familienalltag bestimmt.

Medizinisch gut versorgt

Hilfsmittel: Spezielle Neurodermitis-Kleidung, etwa mit eingewebten Silberfasern, muss meist privat bezahlt werden. Aber fragen Sie in der behandelnden Arztpraxis und bei Ihrer Krankenkasse nach. An den Kosten für qualifizierte Neurodermitis-Schulungen beteiligen sich die Krankenkassen in der Regel. Infos zum Beispiel bei der Arbeitsgemeinschaft Neurodermitisschulung e. V. unter www.neurodermitisschulung.de. Kosten für Basispflege werden teilweise übernommen, zumindest bis zum zwölften Lebensjahr.

Impfen: Die Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG) rät zu allen von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen. „Kinder mit Hauterkrankungen sollten keine Kinderkrankheiten wie Windpocken bekommen. Davor schützen Imp­fungen“, sagt Dermatologe Schwichtenberg. Liegt ein akuter Schub vor, Impftermin aber lieber noch mal verschieben.

Immuntherapie: „Mit einer spezifischen Immuntherapie, kurz SIT, können wir die überschießende Reaktion des Immunsystems dämpfen, die möglicherweise einen Schub begünstigt“, sagt Schwichtenberg. Bei einer nachgewiesenen Allergie ist eine Hyposensibilisierung gegen Pollen, Insektengift und Hausstaubmilben in der Regel ab dem sechsten Lebensjahr möglich. Die Behandlung ist aber langwierig und dauert mindestens drei Jahre.

Biologika: Biologika sind seit 2017 zur Therapie der atopischen
Dermatitis bei Erwachsenen zugelassen, Dupilumab auch für Kinder
ab sechs Jahren. Bei diesen Substanzen handelt es sich um spezi­fische Antikörper. Sie bremsen das Immunsystem und stoppen Entzündungsmechanismen. Sie werden unter die Haut gespritzt, in den Oberschenkel oder in den Bauch.


Quellen:

  • Werfel Thomas, Deutsche Dermatologische Gesellschaft Aberer Werner, Österreichische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie Ahrens Frank, Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin e.V., et al.: Ärztliche Leitlinie Neurodermitis. https://www.awmf.org/... (Abgerufen am 19.10.2022)
  • Robert-Koch-Institut: Faktenblatt zu KiGGS Welle 1: Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Erste Folgebefragung 2009 – 2012. https://www.rki.de/... (Abgerufen am 19.10.2022)
  • Deutsche Dermatologische Gesellschaft: Neue Behandlungsmöglichkeiten bei moderater bis schwerer Neurodermitis . https://derma.de/... (Abgerufen am 19.10.2022)
  • Arbeitsgemeinschaft NeurodermitisSchulung e.V.: Zertifizierte Neurodermitisschulungen. https://www.neurodermitisschulung.de/... (Abgerufen am 19.10.2022)