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EHER NICHT

Der Darm beherbergt eine riesige Wohn­gemeinschaft von Bakterien, Viren, Pilzen und anderen Mikroben. Welche Bewohner in dieser WG leben, beeinflusst möglicherweise die Gesundheit. Da liegt der Gedanke nahe, das Darm-Mikrobiom mit zugeführten Mikroorganismen zu stärken – sogenannten Probiotika. Es gibt sie zum Beispiel als Pulver oder in Kapseln.

Doch für eine positive Wirkung von Probiotika auf den Darm und unsere Gesundheit gibt es bislang kaum Belege. „Zunächst muss man grundsätzlich sagen, dass die meisten Probiotika als Nahrungsergänzungsmittel im Handel sind und nicht als Arzneimittel“, sagt Julia Podlogar, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation und Klinische Pharmazie von der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. „Sie sollen die Nahrung ergänzen, aber nicht gegen Krankheiten helfen.“

Bereits 2012 hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Werbeangaben der Hersteller von probiotischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln überprüft. Das Urteil: Aussagen zum Gesundheitsnutzen seien nicht belegt. „Fast keine der Behauptungen wie etwa ‚stärkt das Immunsystem‘ konnte bestätigt werden“, sagt der Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Dirk Haller von der Technischen Universität München. Bislang sei lediglich der Hinweis erlaubt, dass Milchprodukte, die bestimmte Joghurt-Kulturen in ausreichender Menge enthalten, die Verdauung des im Produkt enthaltenen Milchzuckers verbessern könnten – sofern man mit Unverträglichkeit von Milchzucker zu tun hat.

Überhaupt steht die Forschung zu Probiotika und Darm-Mikrobiom noch am Anfang. Klar ist immerhin, was Probiotika offenbar nicht können. Zum Beispiel bei infektions­bedingtem Durchfall helfen. „Die Einnahme von Probiotika verkürzt die Krankheitsdauer nicht“, weiß Apothekerin Julia Podlogar. Für Hilfe beim Gewichtsverlust gebe es ebenfalls keine Belege. „Auch zur Prävention gegen Asthma, Heuschnupfen oder Neurodermitis bei Kindern kann die Einnahme von Probiotika in der Schwangerschaft oder durch den Säugling wahrscheinlich nicht beitragen.“

„Das Darm-Mikrobiom ist ein hochkomplexes System“, erklärt Dr. Antonia Stahl, Hausärztin und Ernährungsmedizinerin in Falkensee. „Wir führen mit Probiotika irgendwelche Bakterien zu in der Hoffnung, dass das was bringt.“ Zwar könne man sagen, dass Probiotika bei gesunden Menschen keinen Schaden anrichten, „außer im Portemonnaie“. Nicht einnehmen solle man Probiotika aber beispielsweise bei einer Chemotherapie, so Stahl. „Bei Probiotika – wie bei allen Nahrungsergänzungsmitteln – erst mal den Hausarzt fragen.“

ABER

Probiotika kann man nicht über einen Kamm scheren – die Bakterienstämme sind zu unterschiedlich. Auch wenn es bislang kaum wissenschaftliche Belege gibt, sind gesundheitliche Wirkungen im Einzelfall nicht auszuschließen. Beim Reizdarmsyndrom etwa seien zwar keine Wunder zu erwarten, sagt Podlogar. „Aber möglicherweise können die Beschwerden durch bestimmte Probiotika zumindest ein wenig gelindert werden.“ So äußern sich beispielsweise die Autorinnen und Autoren der aktuellen Leitlinie zum Reizdarmsyndrom verhalten optimistisch zu einem möglichen Nutzen ausgewählter Probiotika. Auch hier gilt: zunächst mit Ärztin oder Arzt sprechen.

Und wie ist es bei Behandlungen mit Antibiotika? Unbestritten ist, dass diese Medikamente das Darm-Mikrobiom aus dem Gleichgewicht bringen können. Die Vorstellung, man könne das Mikrobiom nach der Therapie mit Probiotika wieder aufpäppeln, ist daher weit verbreitet. Doch dafür gibt es laut Apothekerin Julia Podlogar keine ausreichenden Daten. Studien deuten jedoch darauf hin, dass bestimmte Bakterien und Hefen Durchfälle bei Kindern, die durch Antibiotika verursacht wurden, teilweise verhindern können. Dazu muss die Einnahme aber parallel zur Antibiotikatherapie erfolgen.

Mikrobiom-Menü

Futter für Mikroben: Ballaststoffe wirken positiv auf den Darm. Die Wissenschaft nennt sie Präbiotika. Es handelt sich dabei nicht um Mikroorganismen, ­sondern um Ballaststoffe: Kohlenhy­drate, die für uns unverdaulich sind, aber den Bakterien im Darm als ­Nahrung dienen. Etwa Inulin, das unter anderem in Porree steckt. Reich an Ballaststoffen sind zudem viele andere Gemüsesorten, zum Beispiel Brokkoli, Kohl, Rüben, Karotten, Sellerie, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, aber auch Vollkornprodukte wie Hafer, Brot oder Nudeln aus Vollkorn. Anders als bei Probiotika ist der Gesundheitsnutzen von Ballaststoffen unstrittig.


Quellen:

  • European Union: Verordnung (EU) Nr. 432/2012 der Kommission vom 16. Mai 2012 zur Festlegung einer Liste zulässiger anderer gesundheitsbezogener Angaben über Lebensmittel als Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos sowie die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern Text von Bedeutung für den EWR. EUR-Lex: https://eur-lex.europa.eu/... (Abgerufen am 12.01.2024)
  • Verbraucherzentrale: Lebensmittel mit speziellen Bakterienkulturen (früher: "Probiotika"). Online: https://www.verbraucherzentrale.de/... (Abgerufen am 12.01.2024)
  • Der Arzneimittelbrief: Probiotika bei der schweren akuten Pankreatitis?. Online: https://der-arzneimittelbrief.com/... (Abgerufen am 12.01.2024)
  • Layer P, Andresen V, Allescher H et al.: Update S3 Leitlinie Reizdarmsyndrom, Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. AWMF online: https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 12.01.2024)
  • Guo Q, Goldenberg JZ, Humphrey C et al.: Probiotics for the prevention of pediatric antibiotic-associated diarrhea . Cochrane Database Systematic Review: https://www.cochranelibrary.com/... (Abgerufen am 12.01.2024)