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Manche nennen die rumänische Stadt auch „Klein Wien“. Die rund 15.000 historischen Gebäude aus der Zeit der österreichisch-ungarischen Herrschaft (bis 1918) haben Timișoara (dt.: Temeswar) diesen Beinamen eingebracht. Auch die Wiener Kaffeehaustradition hat in den zahlreichen Cafés und „Beisln“ der Altstadt ihre Spuren hinterlassen. Bummeln und Schlemmen lohnen sich hier. Ebenso ein Ausflug ins Banater Bergland – zum Beispiel zum komplett mit Moos bewachsenen Wasserfall Bigar im Anina-Gebirge. Er gilt als einer der spektakulärsten Wasserfälle weltweit, die Anreise mit dem Auto dauert etwa drei Stunden. Zurück in der Stadt wartet reichlich Kultur. Zum Beispiel im Kulturpalast mit der Oper und drei Theatern – oder in Kulturzentren wie dem 2020 in ehemaligen Fabriken eröffneten Faber.

Kulturvielfalt in Temeswar

In diesem Jahr feiert Temeswar als „Europäische Kulturhauptstadt“ ihre Vielfalt. In der Stadt mit gut 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern leben Menschen aus mehr als 30 verschiedenen Kulturen und Ländern. Zum Beispiel aus Rumänien, Deutschland, Ungarn, Serbien, Kroatien, Italien, Spanien und Bulgarien. Temeswar ist auch ein Schmelztiegel der Religionen: Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, Muslime und Juden praktizieren hier ihren Glauben.

Einer der Höhepunkte im Kulturherbst ist das Europäische Theater-festival Eurothalia, das vom 20. bis zum 30. September stattfindet. „Die deutschsprachige Theaterszene zeigt sich in Rumänien“, sagt Andrea Wolfer. Die 33-Jährige kuratiert das Festival, das vom Staatstheater organisiert wird. Geboren wurde sie 1989 in Temeswar, wenige Wochen vor der rumänischen Revolution. Wahrscheinlich sei sie deshalb heute so politisch engagiert, meint sie lachend. Aufgewachsen ist Wolfer – wie viele andere hier – zweisprachig. Ihre Mutter ist Banater Schwäbin, ihr Vater Rumäne. Nach dem Abitur studierte sie Schauspiel und arbeitet heute für das Deutsche Staatstheater Temeswar.

Theater mit Realitätsbezug

Im Herbst 1989, Wolfers Geburtsjahr, löste die Zwangsversetzung eines widerspenstigen ungarischen Pfarrers in Temeswar einen Aufstand gegen den rumänischen Diktator Nicolae Ceaușescu aus. Unter seinem Regime war das Land zum Armenhaus Europas verkommen. Die Regierung in Bukarest schickte den berüchtigten Geheimdienst Securitate und die Armee, um die Unruhen niederzuschlagen. Doch nach tagelangen Straßenschlachten war Ceaușescu gestürzt –und hingerichtet. Von Temeswar aus verbreitete sich die Revolution durch das ganze Land. Heute präsentiert sich Temeswar friedlich: Andrea Wolfer genießt in ihrer Heimatstadt die zahlreichen Parks, spielt dort Frisbee mit ihren Freunden. Sie schätzt die Cafés und besucht Konzerte und Ausstellungen. Zum Beispiel im ehemaligen Straßenbahndepot, das zum Museum umgebaut wurde.

Im Rahmen des Eurothalia-Festivals zeigt das deutsche Ensemble Rimini Protokoll sein Stück „Uncanny Valley“ („unheimliches Tal“), eine Anspielung auf das Silicon Valley, wie Andrea Wolfer erklärt. Im Stück geht es um die Digitalisierung, den Einsatz von Robotern und künstlicher Intelligenz. Auf der Bühne stellt ein Roboter-Double des Autors Thomas Melle Fragen wie: „Was bedeutet es für einen Menschen, wenn sein Roboter-Klon die Kontrolle übernimmt?“ Oder: „Stehen Original und elektronische Kopie in Konkurrenz oder helfen sie einander?“

Die belgische Gruppe Ultima Vez („letztes Mal“) bringt in Temeswar ihr Stück „Traces“ („Spuren“) auf die Bühne. Autor und Choreograf Wim Vandekeybus schickt die Tänzerinnen und Tänzer auf Spurensuche in die letzten Urwälder Europas. Schätzungen zufolge gibt es in Rumänien noch 100 000 Hektar Urwald. (Noch) so viel wie sonst nirgends in Europa.

Andrea Wolfer ist 1989 in Temeswar geboren. Die Leidenschaft der 33-Jährigen gilt dem Theater: Nach dem Abitur am deutschsprachigen Gymnasium studierte sie Schauspiel, heute arbeitet Wolfer für das Deutsche Staatstheater Temeswar und kuratiert das Theaterfestival Eurothalia.

Infos für Ihre Reiseplanung

Wie kommt man hin?

Bahn: Mit dem Zug schafft man die Strecke München–Temeswar über Wien in etwa 15 bis 17 Stunden. Zwischenübernachtungen sind empfehlenswert.

Auto: ab München über Wien und Budapest in etwa zehn Stunden.

Wo kann man übernachten?

Hostel Cornel: neues, freundliches Hostel. Manche Zimmer verfügen über ein eigenes Bad.

Hotel Timișoara: 191 Zimmer und 18 Apartments mit Wellness- und Spa-Bereich in der Innenstadt.

Was kann man erleben?

Sich ein Fahrrad mieten und durch die vielen Parkanlagen fahren. Oder entlang des Flusses Bega Richtung serbische Grenze durchs Grüne radeln.

Unbedingt probieren:

Leckeres aus der Region auf dem Markt Piaţa Volantă Stadion verkosten. Im Spätsommer gibt es dort zum Beispiel sonnengereifte Tomaten und anderes Gemüse, auch in Bio-Qualität, frisch vom Feld. Banater Spezialitäten (mit und ohne Fleisch, auch vegan) serviert die Casa Bunicii. Ein Klassiker sind hausgemachte Spätzle.


Quellen: