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Warum wird jetzt darüber geredet?

Sie sind drei oder sogar vier Mal geimpft – und bekommen dennoch Covid: Bis Dezember 2022 sind unter 50,5 Millionen Menschen mit mehrfacher Immunisierung in Deutschland knapp 1,9 Millionen solcher sogenannten Impfdurchbrüche dokumentiert. Die Bezeichnung rührt von der Vorstellung, dass das Virus eine bestehende Immunität durchbricht.

Tatsächlich sind die bislang verfügbaren Impfstoffe hochwirksam und bauen einen guten Schutz vor schwerer Erkrankung auf. Diese Impfstoffe werden aber in den Muskel gespritzt und gelangen nicht – wie das Virus – über die Nasenschleimhaut in den Körper. Von innen heraus schützen die zugelassenen Impfstoffe daher zwar unter anderem die tief liegenden Bereiche der Lunge und weitere Organe. Eine robuste Schleimhautimmunität entsteht auf diese Weise jedoch nicht.

Seit Beginn der Pandemie suchen Forscherinnen und Forscher deshalb auch nach Impfstoffen, die als Spray in die Nase gegeben werden können. Sie sollen dort, direkt in der Schleimhaut, einen Schutz erzeugen. Da die Schleimhäute in Atemwegen und Verdauungstrakt über Atemluft, Speichel und Nahrung sehr vielen Eindringlingen ausgesetzt sind, besitzen sie eine Art eigenes Immunsystem. Es heißt „mucosa asso­ciated lymphoid tissue“, zu Deutsch „Schleimhaut-assoziiertes lymphatisches Gewebe“ (MALT). In der Nase wird es entsprechend als NALT bezeichnet. Es stellt nach dem Kontakt mit einem Erreger oder Impfstoff spezielle Immuneiweiße her, die einen entscheidenden Unterschied machen: Die sogenannten sekretorischen Antikörper fangen den Erreger direkt im Schleim ab. Zudem ist das Immunsystem bei einem Folge­kontakt schneller abwehrbereit.

Weshalb gab es das nicht schon früher?

Impfstoffe, die über die Schleimhäute eine Immunität aufbauen, gibt es eigentlich schon sehr lange. So wirkt etwa die von 1961 bis 1998 in Deutschland eingesetzte Schluckimpfung zum Schutz vor Kinderlähmung über die Schleimhäute von Magen und Darm. Und gegen die Grippe ist in Deutschland sogar ein zugelassener Impfstoff erhältlich, der über die Nase verabreicht wird. Die Ständige Impfkommission empfiehlt ihn allerdings nur für Kinder und Jugendliche.

Doch gerade die Entwicklung von sogenannten intranasalen Impfstoffen, die über die Nasenschleimhaut wirken, ist nicht ganz so einfach, wie es klingt. Das liegt vor allem an der Abräumfunktion, die jede Schleimhaut im Körper besitzt. Sie sorgt in Nase und Rachen dafür, dass fremde Stoffe zügig mit dem Schleim Richtung Magen wandern und dort zersetzt werden können. Ein Impfstoff muss daher ein starkes Signal an die Immunzellen der Nasenschleimhaut senden, damit er seine Wirkung entfaltet. Eine Möglichkeit besteht darin, einen besonders gut zu erkennenden Teil des Erregers für den Impfstoff zu wählen. Alternativ kann der Impfstoff in hoher Dosierung verabreicht werden. Das Impfsignal lässt sich zudem mit einem Hilfsstoff, Adjuvans genannt, verstärken.

Als Impfstoff infrage kommen zum Beispiel abgeschwächte Viren, die sich noch vermehren können, aber nicht mehr krank machen. Auch harmlose Viren, die mit Erbinformationen für ein Eiweiß des Erregers beladen werden, kommen zum Einsatz. mRNA-Impfstoffe, wie sie derzeit fast ausschließlich zum Schutz gegen Covid genutzt werden, sind für Impfungen durch die Nase ungeeignet.

Was haben wir davon?

„Eine wirksame Impfung über die Nasenschleimhaut hat zunächst zwei Vorteile“, erläutert Professorin Anke Huckriede von der Universität Groningen in den Niederlanden. Erstens seien die Geimpften nicht nur vor schweren Krankheitsverläufen, sondern auch vor Ansteckung geschützt. „Und falls es doch zu einer Infektion kommt, geben Geimpfte mit einem Schutz in den Schleimhäuten das Virus auch nicht mehr so leicht weiter.“ Die Verbreitung des Erregers wird also deutlich gebremst – ein Effekt, der mit den verfügbaren Impfstoffen in der aktuellen Pandemie nicht erreicht werden konnte.

Über die Nase verabreichte Impfstoffe haben zudem einen zusätzlichen Vorteil: Für die Impfungen sind keine Injektionsnadeln nötig. Das erleichtert insbesondere die Immunisierungen von Kleinkindern. Und es braucht nicht zwingend medizinisches Personal, um die Impfstoffe zu verabreichen. „Auf diese Weise könnten intranasale Impfstoffe auch in Regionen der Welt rasch eingesetzt werden, in denen es keine gute Gesundheitsversorgung gibt“, sagt Huckriede. Ein gutes Konzept für Impfungen über die Nase wäre damit auch ein wichtiger Baustein in der Vorbereitung auf künftige Pandemien. Und weil der menschliche Körper so viel mehr Schleimhaut besitzt als Haut, böte sich das Prinzip der Schleimhautimpfung für zahlreiche weitere Erreger an. Etwa für solche, die über den Darm in den Körper eindringen. Ein Beispiel sind Shigellen, die schwere Durchfallerkrankungen auslösen. Infektionen mit diesen Bakterien kosten jährlich 200 000 Menschen weltweit das Leben.


Quellen:

  • Robert Koch-Institut: Monitoring des COVID-19-Impfgeschehens in Deutschland , Monatsbericht des RKI vom 01.12.2022. https://www.rki.de/... (Abgerufen am 22.11.2022)
  • Aqu A. et al.: Intranasal COVID-19 vaccines: From bench to bed. In: The Lancet 01.02.2022, 76: 1-16
  • Silva-Sanchez A..; D. Randall T.: Anatomical Uniqueness of the Mucosal Immune System (GALT, NALT, iBALT) for the Induction and Regulation of Mucosal Immunity and Tolerance. In: in: Mucosal Vaccines (Second Edition) Innovation for Preventing Infectious Diseases 2020, 01.01.2020, 2: 21-54
  • Neutra MR; Kozlowski PA: Mucosal vaccines: the promise and the challenge. In: Nature Reviews Immunology 01.01.2006, 6: 148-158
  • Lavelle EC; W. Ward R.: Mucosal vaccines — fortifying the frontiers. In: Nature reviewa Immunology 01.04.2022, 22: 236-250
  • Chavda V. et al.: Intranasal vaccines for SARS-CoV-2: From challenges to potential in COVID-19 management. In: Drug Discovery Today 01.11.2021, 26: 2619-2636
  • Paul Ehrlich Institut: Sai­so­na­le In­flu­enza-Impf­stof­fe. https://www.pei.de/... (Abgerufen am 22.12.2022)
  • Hameed SA et al.: Towards the future exploration of mucosal mRNA vaccines against emerging viral diseases; lessons from existing next-generation mucosal vaccine strategies. In: npj Vaccines 28.06.2022, 7: 1-19