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David Beckham hat es getan, genauso wie Fußball-Kollege Mario Balotelli und Tennisspielerin Serena Williams. Wurden auch Sie schon einmal Kinesio-getapt? Die bunten Bänder stehen nicht nur bei Sportlerinnen und Sportlern hoch im Kurs, auch Orthopädie- und Physio-Praxen haben sie im Angebot. Und die Do-it-yourself-Variante gibt’s für uns alle zu kaufen. In den 1970er-
Jahren entwickelte der japanische Chiropraktiker Kenzo Kase Kinesiotapes – im Gegensatz zu konventionellen Tapes ein elastisches, atmungsaktives Band aus Stoff, das mit Acrylkleber wie eine zweite Haut angebracht wird. Je nach Beschwerde mal längs, mal quer, mal als I, Y, X, mal als Kreis, mal mit Zug, mal ohne. An Rücken, Schulter, Sprunggelenk oder Knie. Dort verbleibt das wasserfeste Band mehrere Tage und passt sich den Bewegungen an.

Die Theorien, wie die Bänder wirken sollen, sind zahlreich. So soll der sanfte Zug dazu führen, dass sich die obere Hautschicht (Epidermis) leicht von den anderen Schichten abhebt. Der erhoffte Effekt: Der Druck auf die zwischen diesen Hautschichten liegenden Schmerzrezeptoren verringert sich. Das Zusammenziehen und Dehnen der Bänder soll zudem wie bei einer Art Mikromassage die Durchblutung und den Lymphfluss anregen. Schmerzen und Verspannungen sollen sich dadurch reduzieren, Entzündungen schneller abklingen. Zusätzlich sollen die Tapes Gelenke und Bänder stabilisieren, die Eigenwahrnehmung von Bewegungsmustern verbessern, Gelenke beweglicher machen. Mitunter wird den Farben ebenfalls eine Wirkung zugeschrieben – Rot gilt zum Beispiel als wärmend, Blau als kühlend.

„Viele Patientinnen und Patienten bemerken direkt nach dem Anlegen des Tapes, dass der Schmerz nachlässt und sich die Muskulatur entspannt“, berichtet Lars Junker, Physiotherapeut, Manualtherapeut und Leiter der Therapieabteilung der Klinik ­Porta Westfalica in Bad Oeynhausen. „Der Effekt ist klar zu beobachten“, sagt auch Sportmediziner Dr. Lutz Graumann aus Kolbermoor. Ein Großteil seiner Patientinnen und Patienten, die er getapt hat, gaben an, Linderung zu verspüren. Manch einer macht also gute Erfahrungen damit.

Wissenschaftlich belegt ist der Nutzen der bunten Bänder nicht. „Wahrscheinlich sind die Unterschiede, so überhaupt vorhanden, für die Patientinnen und Patienten nicht wirklich bedeutsam“, sagt Cordula Braun, Professorin für Physiotherapie und Mit­arbeiterin von Cochrane Deutschland.

Tatsächlich entzaubert die Forschungslage den Hype eher. Eine aktuelle Übersichts­arbeit zu Schulterschmerzen wertet 23 Studien aus. Darin wird Taping auch mit konventionellen Methoden der Physiotherapie verglichen. Fazit: Ob die Bänder Schmerzen lindern und die Beweglichkeit verbessern, sei unsicher, der Nutzen eher klein oder fehlend. Problematisch sei auch, dass die einzelnen Studien oft nicht wirklich aus­sagekräftig sind, etwa wegen zu geringer Teilnehmerzahlen. In einer anderen Arbeit zu orthopädischen Beschwerden heißt es: „Obwohl Kinesiotaping weitverbreitet ist, unterstützen die Daten den Nutzen der Intervention nicht.“ Nicht besser als konven­tionelle Physiotherapie schneiden die Bänder auch bei chronischen Rückenschmerzen ab. Möglicherweise, schreiben die Stu­-
dienautorinnen und -autoren, verbessern sie die Beweglichkeit, die Bewegungskon­trolle und die Muskelkraft. Aber: Um das zu belegen, brauche es bessere Studien.

Und im Spitzensport? „Hier mag jedes kleine bisschen, das man an Unterstützung geben kann, zum Erfolg beitragen“, sagt Braun. Übertragbar auf Amateur- oder Nicht-Sportlerinnen und -Sportler sei dies aber nicht ohne Weiteres. Womöglich sei ohnehin viel Psychologie dabei.

Braun, die vor Jahren als Behandlerin selbst mit den Bändern gearbeitet hat, berichtet: „Meiner Erfahrung nach hing der Erfolg maßgeblich davon ab, ob der Therapeut überzeugt vom Nutzen war und es gut an den Mann oder die Frau gebracht hat.“ Sie rät nicht davon ab, Kinesiotaping auszuprobieren: „Ich finde es allerdings wichtig, Patientinnen und Patienten zu sagen, dass kein weltbewegender Unterschied zu erwarten ist.“


Quellen:

  • Nelson N: Kinesio taping for chronic low back pain: A systematic review. In: Bodyw Mov Ther. 01.07.2016, 20: 672-81
  • Gianola S et al.: Kinesio taping for rotator cuff disease. In: Cochrane Database Syst. Rev. 08.08.2021, 8: 1465-1858
  • van Amstel R et al.: Systematic Review of Lumbar Elastic Tape on Trunk Mobility: A Debatable Issue. In: Arch. Rehabil. Res. Clin. Transl. 11.08.2021, 3: 100131-100147
  • Parreira P et al.: Current evidence does not support the use of Kinesio Taping in clinical practice: a systematic review. In: Journal of Physiotherapy 01.01.2014, 16: 31-39
  • Sheng Y et al.: Kinesio taping in treatment of chronic non-specific low back pain: a systematic review and meta-analysis. In: J Rehabil Med. 29.10.2019, 10: 734-740
  • da Luz Junior M et al.: Commentary on: Kinesio taping in treatment of chronic non-specific low back pain: A systematic review and meta-analysis. In: Journal of Rehabilitation Medicine 07.02.2020, 52: 1-2
  • Facts & Factors Company: Global Kinesio Tape Market study. https://www.fnfresearch.com/... (Abgerufen am 08.11.2022)