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Nichtraucher, gesunde Zähne, keine Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Das alles galt für 37 junge Frauen und Männer, die 2013 an einer Studie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) teilnahmen. Die Forscherinnen und Forscher baten die Teilnehmenden, drei Wochen lang die Zähne im rechten Oberkiefer nicht zu putzen. Bei allen entwickelte sich in dieser kurzen Zeit eine Zahnfleischentzündung, verursacht durch bakterielle Beläge. Die Entzündung ist oft der Beginn einer Parodontitis. Dann schädigen die Bakterien und die Reaktion des Körpers darauf den Zahnhalteapparat, schlimmstenfalls gehen Zähne verloren. Ein schleichender Prozess, der oft lange unbemerkt bleibt.

„Auch in unserer Studie war die Entzündung kaum sichtbar“, sagt Professor Jörg Eberhard, der die Untersuchung damals leitete. Was die Forschenden aber messen konnten: Bakterien und ihre Abfallstoffe gelangten aus der Mundhöhle ins Blut – und mit ihnen Entzündungsstoffe. „Wurde wieder geputzt, gingen die Entzündungssignale zurück“, berichtet Eberhard. Für ihn ist klar: „Pflegen wir die Zähne, tun wir viel für die Gesundheit des ganzen Körpers.“ Das zeigen auch andere Studien. Vor allem Parodontitis ist demnach ein Risikofaktor für zahlreiche Krankheiten. Bei manchen Leiden weiß die Wissenschaft schon recht genau, dass Entzündungen im Mund beteiligt sind. Bei anderen werden Zusammenhänge vermutet. „Manchmal beeinflussen sich beide Erkrankungen gegenseitig“, sagt Professorin Nadine Schlüter. Sie leitet die Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventivzahnmedizin an der MHH.

So ist etwa bei Diabetes das Risiko für eine Parodontitis erhöht. Parodontitis wiederum beeinflusst oft den Blutzuckerspiegel. „Es kann sein, dass er schlechter einstellbar ist“, sagt Schlüter. „Umgekehrt senkt ein hoher Blutzuckerspiegel die Erfolgsprognose einer Parodontitis-Therapie.“ Wie die beiden Krankheiten einander genau beeinflussen, wird intensiv erforscht. Parodontitis scheint oft eine unbemerkte Entzündung zu befeuern, die den ganzen Körper betrifft. In der Folge sprechen die Zellen zunehmend weniger auf das blutzuckersenkende Hormon Insulin an, der Blutzuckerspiegel steigt. Beim Abbau des Zuckers entstehen vermehrt Stoffe, die Botenstoffe aktivieren, welche die Entzündung im Mund verstärken können. „Behandelt man die Parodontitis, sinkt der Blutzucker“, sagt Jörg Eberhard. Studien zeigen: Wenn die Zahnfleischentzündung komplett abheilt, sinkt der Langzeit-Blutzuckerwert im Mittel um bis zu 0,5 Prozentpunkte.

Belegt ist auch der Zusammenhang zwischen Parodontitis und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. „Forschende beobachten schon länger, dass Menschen mit Herzerkrankungen oft schlechte Zähne haben“, sagt Eberhard. Und dass schlechte Zähne das Risiko für Herzprobleme erhöhen. Sind sie auch die Ursache? Dafür gibt es zumindest Indizien. In Gefäßablagerungen konnten Forschende Mundbakterien nachweisen. „Genauso relevant wie die Bakterien selbst sind dabei ihre Botenstoffe“, ergänzt Nadine Schlüter. Diese können Entzündungsprozesse auslösen. Die entzündungsfördernden Keime könnten also Gefäßverkalkung befeuern und damit das Herz­infarkt- und Schlaganfallrisiko steigern. Ein weiterer Anhaltspunkt: „Wird die Parodontitis behandelt, werden die Gefäße wieder elastischer, der Blutdruck sinkt“, erläutert Eberhard – was auch das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verringert.

Auch für Schwangere lohnt sich eine sorgfältige Zahnpflege. Der erhöhte Hormonspiegel kann bestehende Entzündungen im Mund verstärken und zu Parodontitis führen. Diese erhöht das Risiko eines geringen Geburtsgewichts oder einer Frühgeburt. „Jede Frau, die schwanger werden möchte, sollte daher Zähne und Zahnfleisch beim Zahnarzt untersuchen lassen“, rät Eberhard.

Bei Alzheimer verfolgen Forschende ebenfalls eine spannende Spur: Könnten Infektionen den Niedergang der Gehirnzellen auslösen? „Belegt ist das nicht, aber es gibt ernst zu nehmende Befunde“, sagt Professor Jens Wiltfang, Leiter der Klinischen Forschung am Standort Göttingen des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen. Zum Beispiel, dass von einer langjährigen Parodontitis betroffene Personen häufiger Alzheimer-Demenz entwickeln. Normalerweise verhindert die sogenannte Blut-Hirn-Schranke, dass Keime aus dem Blut ins Gehirn gelangen. Doch die Barriere kann durchlässig werden: etwa bei Fieber, durch Rauchen oder Bakteriengifte. „Einzelne Erreger können die Schranke überwinden“, weiß Nadine Schlüter. Einer der häufigsten Parodontitiskeime ließ sich bereits im Gehirn von Alzheimerpatientinnen und -patienten nachweisen. Könnte er die entscheidende Entzündung im Nervensystem verursachen, die Alzheimer auslöst? Bei der Entstehung spielen Eiweißbruchstücke eine wichtige Rolle: sogenanntes Beta-Amyloid, das sich im Gehirn zu Ablagerungen verklumpt. Beta-Amyloid erfüllt im Körper eigent­lich eine wichtige Funktion: Es hilft, Keime abzuwehren, die ins Gehirn eindringen. Zum Bumerang wird die Funktion, wenn Beta-Amyloid nicht mehr ausreichend entsorgt werden kann. Dann sammeln sich im Gehirn Ablagerungen, die giftig für die Nervenzellen sind – was wiederum die Amyloid-Produktion befeuert. Umgekehrt könnte eine Demenz zu einer nachlässigen Zahnpflege und damit zu Parodontitis führen, betont Wiltfang. Die Wechselwirkung ist aber nicht zwingend: Es gibt viele Risikofaktoren für Alzheimer, Parodontitis könnte einer davon sein. Wiltfang: „Nicht jeder, der daran leidet, entwickelt automatisch Alzheimer, und nicht jeder Alzheimerpatient hat Probleme mit der Mundgesundheit.“

Wer sich gesund halten will, sollte zweimal täglich Zähne und die Zahnzwischenräume reinigen. „Das gilt besonders für Menschen mit Vorerkrankungen“, sagt Eberhard. „Jeder Diabetologe, Kardiologe und Hausarzt sollte Patienten nahelegen, auch beim Zahnarzt zur Kon­trolle vorbeizuschauen.“


Quellen:

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