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Zwar hat Deutschland seit Jahren mit Lieferproblemen bei Medikamenten zu kämpfen. Das heißt aber nicht, dass die Bundesrepublik im Arzneimittelbereich nichts mehr vorzuweisen hat – im Gegenteil. Denn in einem Punkt ist Deutschland nach wie vor gut aufgestellt, wie Gesundheitsökonom Professor Volker Ulrich von der Universität Bayreuth erklärt: „Wir verfügen über Fachkräfte und Know-how, das ist ein großer Vorteil.“

Während ein Großteil der Wirkstoffe und insbesondere Generika aus China kommt, dominiert Deutschland in Sachen Forschung und Entwicklung in vielen Bereichen: Zahlreiche innovative Arzneimittel kommen von hier und werden weltweit exportiert. Der Erfolg ist ungebrochen: Zwischen 2008 und 2019 hat sich das deutsche Exportvolumen auf mittlerweile mehr als 80 Milliarden Euro jährlich nahezu verdoppelt. Auch im Zuge der Pandemie konnte die Branche von steigender Nachfrage nach Arzneimitteln profitieren.

Das Label „Made in Germany“ steht dabei nicht selten für hochkomplexe Arzneimittel. Moderne Biopharmazeutika eröffnen neue Wege in der Therapie. Insgesamt 239 solcher Wirkstoffe sind nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) derzeit in der EU zugelassen – 41 davon kommen aus Deutschland. Nur die USA sind in diesem Segment noch erfolgreicher. Das aktuell wohl bekannteste Beispiel für den deutschen Erfolg ist Biontech. 2008 gegründet, will die Firma Immuntherapien zur Bekämpfung von Krebs entwickeln. Der wirtschaftliche Durchbruch gelang aber 2020 mit der Entwicklung eines Covid-19-­Impfstoffs: Comirnaty. Im Gegensatz zu Impfstoffen manch anderer Hersteller setzt Biontech auf die neue mRNA-Technologie. Zusammen mit der US-Firma Pfizer produzierte das Unternehmen bereits Milliarden Dosen.

Comirnaty wird in vielen Ländern der Welt verimpft. Behaupten können sich aber auch andere deutsche Hersteller. So steht Bayer auf Platz 15 der weltweit umsatzstärksten Pharmafirmen. Boehringer Ingelheim erreicht als zweitgrößter deutscher Hersteller Rang 17. Und das Darmstädter Unternehmen Merck KGaA kommt auf Platz 21.

Auch der Historiker Dr. Niklas Lenhard-­Schramm, der an der Universität Hamburg zur Arzneimittelregulierung in Deutschland forscht, hebt die Innovationskraft des Landes hervor. „‚Apotheke der Welt‘ mag Deutschland zwar nicht mehr sein“, sagt er. „Aber dafür kann man das Land – beziehungsweise Europa – Forschungslabor der Welt nennen.“ Dennoch fordert auch Lenhard-Schramm, Generika verstärkt wieder in Europa zu produzieren. „Die Entwicklung in der Ukraine hat die Probleme gezeigt, die entstehen, wenn man bei wichtigen Rohstoffen von anderen Ländern abhängig ist“, sagt er. „Was ist, wenn es zu einer Krise mit Taiwan kommt: Werden wir dann keine lebenswichtigen Medikamente aus China importieren? Auf solche Szenarien müssen wir uns vorbereiten.“ Ob es gelingen wird, wieder mehr Produktion in die Bundesrepublik zu holen, bleibt abzuwarten. Zwar hat sich die Politik dieses Ziel gesetzt. Zuletzt allerdings hat die Pharmaindustrie Investitionen in Deutschland offen infrage gestellt. Hintergrund sind die Sparpläne der Bundesregierung aufgrund der Finanzlücke bei gesetzlichen Krankenkassen. So sollen auch Arzneimittelhersteller helfen, über zusätzliche Abschläge das Loch zu füllen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von einer Solidarabgabe und sieht die Hersteller in der Pflicht. Gesundheitsökonom Ulrich hält es ebenfalls für nötig, Kosten zu sparen. Trotzdem mahnt er zur Vorsicht: „Natürlich können zusätzliche Belastungen der Hersteller Einfluss auf die Standortaktivitäten der Branche nehmen.“ Pharmafirmen bräuchten Gewinne, um ihre Entwicklungskosten zu finanzieren. „Sonst fehlt uns bald nicht nur die Produktion in Europa. Auch die Forschungspipeline könnte dann schnell ausgetrocknet sein.“


Quellen:

  • Prognos AG im Auftrag des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller e.V.: Volkswirtschaftliche Bedeutung der pharmazeutischen Exporte Deutschlands, Vergleich Deutschlands mit den übrigen BIG-5-Ländern Europas. https://www.vfa.de/... (Abgerufen am 16.08.2022)
  • Statistisches Bundesamt : Pharmabranche trotzt Corona-Krise, Exporte von März bis Mai 2020 um 14,3 % höher als im Vorjahr. https://www.destatis.de/... (Abgerufen am 16.08.2022)
  • Ernst & Young : Die größten Pharmafirmen weltweit, Analyse der wichtigsten Finanzkennzahlen der Geschäftsjahre 2018, 2019 und 2020. https://assets.ey.com/... (Abgerufen am 16.08.2022)
  • Verband forschender Arzneimittelhersteller e.V. : Weltweit an der Spitze: Arzneimittel „Made in Germany“. https://www.vfa.de/... (Abgerufen am 16.08.2022)
  • Interview mit Gesundheitsökonom Volker Ulrich, Professor an der Universität Bayreuth, am 13.07.2022