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Wach. Weil es so juckt. Man weiß, dass man nicht kratzen sollte. Trotzdem kratzt man. Weil es einfach nicht anders geht. Ein Neurodermitis-Schub kann jucken wie 100, ja sogar 1000 Mückenstiche gleichzeitig. Etwa jeder Siebte in Deutschland kennt das. Sie oder er leidet irgendwann im Leben an der chronisch-entzündlichen Hauterkrankung, von der zunehmend mehr Menschen betroffen sind. Die Zahl der Diagnosen nimmt seit Jahren zu. Typisch ist die Erkrankung nicht nur bei Kindern. Etwa 2,2 Millionen haben auch als Erwachsene weiterhin damit zu tun.Heilbar ist Neurodermitis bislang nicht, aber gibt es gute Behandlungsstrategien, die sich grob in drei Stufen einteilen lassen.

Das richtige Produkt finden

Bei Menschen mit Neurodermitis ist die Hautbarriere gestört. Pilze, Krankheitserreger und andere Stoffe können leichter hindurchdringen als bei Hautgesunden. Die erste Behandlungsstufe, die sogenannte Basistherapie, setzt hier an. „Mit der richtigen Lotion oder Creme kann man die Hautbarriere stärken“, sagt Apothekerin Marta Sommerkamp aus Straelen. Aber es ist nicht immer einfach, ein Produkt zu finden, das zur eigenen Haut passt. „Für viele sind Emulsionen aus Fetten und feuchtigkeits-bindenden Stoffen wie Glycerin oder Urea gut geeignet“, sagt Sommerkamp. Sie empfiehlt, in der Apotheke um Rat zu fragen, möglichst bei Fachkräften mit einer Spezialisierung für Haut. Oft bieten Apotheken auch Gratisproben an. Das spart Geld bei der Suche. Wer das richtige Präparat gefunden hat, sollte dabei bleiben.

Eine Rolle spielt auch die Jahreszeit: Viele Betroffene brauchen im Winter eine fettigere Creme. Für akut entzündete Haut mit nässenden Ekzemen ist indes eine wasserhaltige Pflege geeignet. Wichtig: Mit der Hygiene nicht übertreiben. Dr. Ellen Meyer-Rogge ist niedergelassene Hautärztin in Karlsruhe und rät: lieber duschen als baden. Und das nicht zu lange und nicht zu heiß: „Der Juckreiz lässt unter heißem Wasser zwar kurz nach. Die Haut verliert aber ihre Fettschicht.“ Statt Duschgel sollte man zum Waschen daher lieber klares Wasser oder ein Duschöl verwenden.

Auf Kratzen verzichten

Ein Rat, den viele von Neurodermitis Betroffene kennen: „Auf das Kratzen sollte man verzichten“, sagt Prof. Matthias Augustin, Dermatologe am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. Doch er weiß auch, dass das nicht immer möglich ist. Denn: „Nichts anderes bekämpft den starken Juckreiz so prompt.“ Die Linderung hält aber nur einen Moment. Wer kratzt, vergrößert das Ekzem und verschlimmert so den Schub. Daher tut der Haut alles gut, was das Jucken mildert, etwa Kühle, beruhigende Cremes, eine Massage mit einem Igelball oder Ablenkung. Auch rezeptfreie Lotionen mit dem Oberflächenbetäubungsmittel Polidocanol wirken beruhigend.

Die richtige Salbe

Gute Pflege hilft aber nur begrenzt. Immer wieder schaffen es Fremdkörper, die Hautbarriere trotzdem zu überwinden. Die Körperabwehr reagiert bei Menschen mit Neurodermitis dann sehr heftig und verursacht den typischen Krankheitsschub mit geröteter, juckender Haut. Diese Entzündung steht bei der zweiten Behandlungsstufe im Fokus. Akut hilft oft eine kortisonhaltige Salbe, die in der Arztpraxis verschrieben wird. Der Juckreiz geht rasch zurück, das Abwehrsystem wird gehemmt. „Immer noch meiden manche Kortisonprodukte, weil sie Angst haben, dass ihre Haut dadurch dünner wird“, sagt Prof. Thomas Werfel, Dermatologe an der Medizinischen Hochschule Hannover. Tatsächlich kann es zu Hautveränderungen kommen. „Die Haut erholt sich aber bald wieder davon“, beruhigt Werfel. Eine entzündete, unbehandelte Haut ist zudem viel durchlässiger als eine, die durch Cremes kurzzeitig dünner ist.

Wie oft und wie dick man das Kortisonprodukt aufträgt, sollte man mit einer Hautärztin oder einem Hautarzt besprechen. Als Kortison-Alternativen haben sich sogenannte Calcineurin-Hemmer bewährt. Diese lassen die Haut nicht dünner werden und sind daher für Bereiche gut geeignet, an denen die Haut ohnehin feiner ist, etwa im Gesicht. Allerdings führen sie anfangs manchmal zu einem Brennen oder Jucken oder lösen ein unangenehmes Wärmegefühl aus. „Als sie auf den Markt kamen, standen sie unter Verdacht, Hautkrebs zu fördern“, sagt Augustin. Das hat sich aber nicht bestätigt. Während der Therapie sollte man allerdings besonders auf guten UV-Schutz achten.

Neuere Wirkstoffe auf dem Markt

Breiten sich die Ekzeme immer weiter aus oder jagt ein Schub den nächsten, ist es an der Zeit für Behandlungsstufe drei: Tabletten oder Spritzen. Juckt die Haut plötzlich so, dass es kaum mehr auszuhalten ist, helfen Kortisontabletten schnell. Sie sollen allerdings nicht länger als drei Wochen und nur mit ärztlicher Absprache eingenommen werden. Anders als Salben entfalten die Tabletten ihre Wirkungen – und auch Nebenwirkungen – im ganzen Körper. Bei hohen Dosen und langer Anwendung fördern sie zum Beispiel Gewichtszunahme, Schlafstörungen, Diabetes, Magengeschwüre, Osteoporose und können auch zu einer Beeinträchtigung der Nebennierenfunktion führen. Zum Glück gibt es wirksame Alternativen zu Kortison.

Weitaus verträglicher sind zwei neuere Wirkstoffe: Dupilumab und Tralokinumab. Als häufigste Nebenwirkung treten bei beiden Substanzen Augenentzündungen auf, die sich mit Augentropfen aber meist gut behandeln lassen. Dupilumab wird alle zwei Wochen gespritzt, Tralokinumab alle zwei oder vier Wochen. Dabei wirkt Dupilumab tendenziell etwas stärker und lindert zusätzlich allergisches Asthma. Leider benötigen beide Mittel zwölf bis 16 Wochen, um ihre Wirkung voll zu entfalten. Zwischen 15 und 30 Prozent der Behandelten sprechen zudem nicht auf die Therapie an. Schneller helfen Vertreter einer anderen Wirkstoffgruppe, die Januskinase-Hemmer. Zu ihnen gehören Wirkstoffe wie Upadacitinib, Baricitinib und Abrocitinib. Sie haben noch einen weiteren Vorteil: Sie dämpfen den Juckreiz besonders schnell und verbessern zudem die Funktion der Hautbarriere. Der guten Wirkung stehen leider nicht unerhebliche Nebenwirkungen gegenüber, unter anderem auf Blutdruck und Infektanfälligkeit. Die Mittel kommen daher vor allem für jüngere und herzgesunde Patientinnen und Patienten infrage.

Ultraviolett statt Rot

Menschen mit Neurodermitis stehen heute zum Glück viele verschiedene Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Wer die Erkrankung dennoch nicht in den Griff bekommt, kann sich an ein Universitätsklinikum wenden. „Wenn jemand unerträglich leidet, kann er auch stationär in einer Hautklinik aufgenommen werden“, sagt Hautarzt Augustin. Während eines Reha-Aufenthalts können Betroffene daneben lernen, wie sie besser mit der Hautkrankheit leben: endlich mit weniger Juckreiz, dafür mit mehr Schlaf.

Eine Bestrahlung mit künstlichem UV-Licht kann Entzündungen der Haut lindern. Wissenschaftlich ist der Nutzen von UV-Therapie bei Neurodermitis aber noch nicht besonders gut belegt. „Man kann das ausprobieren bei starken Schüben“, sagt Augustin. „Wichtig ist, dass man es nicht als Dauertherapie nutzt, denn das würde das Hautkrebsrisiko vermutlich erhöhen.“ Maximal zwei Behandlungszyklen pro Jahr werden empfohlen. Während einer UV-Therapie sollten Patienten keine Calcineurin-Inhibitoren verwenden. In der Praxis ist der größte Nachteil der Behandlung für viele die Zeit: Üblicherweise wird die Haut 2- bis 6-mal pro Woche in einer spezialisierten hautärztlichen Praxis oder im Krankenhaus bestrahlt, vier Wochen bis drei Monate lang. Auch wenn jede Sitzung nur einige Minuten dauert, ist das Ganze insgesamt recht aufwendig

Eine Bestrahlung mit UV-Licht kann Entzündungen der Haut lindern. „Bei starken Schüben kann man das ausprobieren“, rät Dermatologe Matthias Augustin. Der Nutzen der Therapie bei Neurodermitis ist aber noch nicht ausreichend gut belegt. „Wichtig ist, dass man UV-Licht nicht als Dauertherapie nutzt“, so Augustin. Das könnte das Hautkrebsrisiko erhöhen. Empfohlen werden maximal zwei Behandlungszyklen pro Jahr. Während einer UV-Therapie sollten Betroffene zudem keine Calcineurin-Inhibitoren verwenden. Die Behandlung ist mit zwei bis sechs Bestrahlungen pro Woche aufwendig.

Meer in der Wanne

Juckt und schuppt die Haut, setzen manche Betroffene auf Badezusätze mit Meersalz. Manche berichten von einer lindernden Wirkung. Eindeutig ist die Studienlage aber auch hier nicht. Wenn die Haut wund ist, kann Salz stark brennen. Dann ist davon abzuraten. Ansonsten ist es einen Versuch wert – selbst wenn nur ein Entspannungseffekt eintritt.

Stress, lass nach!

„Entspann dich mal, dann wird auch deine Haut besser!“ Das bekommen Menschen mit Neurodermitis oft zu hören. Tatsächlich kann Stress die Hauterkrankung verschlimmern. Und auch die Neurodermitis selbst erhöht das Stresslevel, durch Juckreiz, Schlafmangel, Scham – und nicht zuletzt durch negative Reaktionen anderer. Helfen kann eine Patientenschulung. Für Kinder, Jugendliche und deren Eltern wird diese von den Kassen erstattet,
Erwachsene müssen sie selbst zahlen. Zu sehen, dass es anderen ähnlich geht, über Ursachen und Strategien zu sprechen, tut den meisten sehr gut. Auch Entspannungsverfahren wie autogenes Training und Progressive
Muskelrelaxation helfen, Stress zu verringern.

Richtig essen

Kinder mit Neurodermitis leiden oft auch an Allergien gegen Nahrungsmittel. Gibt es dafür Anzeichen, sollte man unbedingt mit einer Ärztin oder einem Arzt
sprechen. Wird die Allergie bestätigt, muss das Lebensmittel streng gemieden werden. Bei Erwachsenen sind Lebensmittelallergien seltener. Trotzdem können
bestimmte Lebensmittel bis zu 48 Stunden nach dem Verzehr einen Schub aus-
lösen. Dazu gehören bei Personen mit einer Baumpollen-allergie Äpfel und rohe Karotten. Es handelt sich dabei um eine Kreuzallergie. Wer den Eindruck hat, dass ein bestimmtes Lebensmittel nicht vertragen wird, sollte eine Weile darauf verzichten. Wird die Haut besser, kann es sinnvoll sein, das Nahrungsmittel dauerhaft zu meiden. Vor dem Verzicht hilft eine fachkundige Ernährungsberatung. Eine spezielle Neurodermitis-Diät gibt es nicht.

Auslöser meiden

Im Alltag begegnet man vielen Reizen, die Neurodermitis fördern. Dazu gehören zum Beispiel raue, kratzige Textilien aus Wolle. Für die empfindliche Haut besser geeignet ist Kleidung aus Baumwolle, Seide, Leinen oder auch Viskose. Darüber hinaus sollte man das Schlafzimmer kühl halten und eher dünne Bettdecken verwenden, denn auch Schweiß führt oft zu Juckreiz. Nach dem Sport oder schweißtreibender Arbeit ist es ratsam, schnell zu duschen. Wer auf Hausstaub, Tierhaare oder Pollen allergisch reagiert, sollte die Allergieauslöser so gut wie möglich meiden.

Bakterien als Helfer

Wir sind nie allein: Vor allem auf der Haut und im Darm leben zahllose Bakterien. Bei Menschen mit Neurodermitis unterscheidet sich dieser Mikrobenmix oft von dem Hautgesunder. Manche Betroffene versuchen daher, mit Probiotika, die lebende Bakterienkulturen enthalten, ihre Haut- und Darmflora positiv zu beeinflussen. Bei Kleinkindern von Eltern mit Neurodermitis kann die Einnahme von Probio-tika das Erkrankungsrisiko wohl etwas verringern; das trifft ebenfalls zu, wenn Mütter während Schwangerschaft oder Stillzeit Probiotika einnehmen. Aber es gibt noch viele offene Fragen – etwa welche Bakterien genau helfen können. Allgemein empfohlen wird eine
Behandlung mit Probiotika derzeit noch nicht.


Quellen:

  • Augustin M, Glaeske G, Hagenström K: Neurodermitisreport, Ergebnisse von Routinedaten-Analysen der Techniker Krankenkasse aus den Jahren 2016 bis 2019. Techniker Krankenkasse: https://www.tk.de/... (Abgerufen am 14.08.2023)
  • Werfel T, Ott H: S3-Leitlinie Atopische Dermatitis (AD) [Neurodermitis; atopisches Ekzem]. AWMF: https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 14.08.2023)
  • Claudia Ch: Probiotika: Darmflora okay – Neurodermitis ade?. Medizin transparent (Cochrane): https://medizin-transparent.at/... (Abgerufen am 14.08.2023)
  • Barmer: Neurodermitis: Fallzahlen nehmen deutlich zu . online: https://www.aponet.de/... (Abgerufen am 14.08.2023)
  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Neurodermitis, Lichttherapie, Tabletten und Spritzen. Online: https://www.gesundheitsinformation.de/... (Abgerufen am 14.08.2023)
  • Hoffmann T: Mikrobiomforschung. Allergieinformationsdienst: https://www.allergieinformationsdienst.de/... (Abgerufen am 14.08.2023)