Logo der Apotheken Umschau

Kann ich einfach in die Apotheke gehen und mir dort Placebos kaufen?

Ja klar. Sie sind in verschiedenen Farben erhältlich, mit Schlitz oder ohne, auch in verschiedenen Formen. Es gibt mittlerweile sehr schicke Placebomarken. Mehrere Firmen stellen Placebopräparate her, die auch so auf der Packung bezeichnet werden.

Brauche ich ein Rezept dafür?

Nein. Placebos müssen nicht verschrieben werden, sie enthalten ja keinen Wirkstoff.

Und trotzdem wirken sie?

Placebos sind eine Art Werkzeug. Eigentlich braucht man für die Wirkung nicht einmal eine Tablette. Entscheidend ist der Effekt, der durch das Placebo ausgelöst wird. Und der basiert auf unseren Erwartungen und Lernprozessen. Alles, was in Ihnen die Erwartung auslöst, einen positiven psychologischen oder körperlichen Effekt zu ­haben, ist ein Placeboeffekt. Dieses Phä­nomen sollten Sie nutzen, um Ihre medizinische Behandlung wirksamer und verträglicher zu machen.

Ist dieser Effekt auf die Medizin ­beschränkt?

Gar nicht. Stellen Sie sich vor, Sie kaufen ­einen teuren Kaffee. Und er schmeckt ­Ihnen besser als der günstige. Oder der vermeintlich teure Wein, der bei der Verkostung viel besser schmeckt als der Wein aus dem Tetra Pak vom Discounter. An das ­teure Produkt ist die Erwartung eines besseren Geschmacks geknüpft. Das ist der Placebo­effekt. Nur reicht der Effekt in der Medizin noch weiter.

Inwiefern?

Wir haben eine innere, körpereigene Apotheke, die durch Placebos in Gang gebracht wird. Das ist ein sehr machtvoller Mechanismus, den die Evolution uns da mitgegeben hat. Wir sollten ihn nutzen.

Wenn ich ein Placebo gekauft habe und einnehme, muss ich also daran glauben?

Auf jeden Fall hilft eine positive Erwartung, denn sie ist die treibende Kraft von Placeboeffekten in klassischen Studien. Skurrilerweise gibt es aber auch Forschungs­ergebnisse, die zeigen, dass sogenannte Open-Label-Placebos helfen, wenn man nicht daran glaubt. Dabei wird den Teilnehmenden offen gesagt, dass es sich um ein Präparat ohne Wirkstoff handelt.

Funktionieren Placebos bei naiven Menschen besser als bei Skeptikern?

Das ist der Heilige Gral der Placebo­forschung. Was wir wissen: Sehr optimistische Menschen haben größere Placebo­effekte. Das ist auch einleuchtend. Eine posi­tive Erwartungshaltung und Optimismus haben natürlich viel miteinander zu tun. Aber auch die Placeboeffekte bei Depression sind häufig und stark. Und depressive Patientinnen und Patienten sind ja eigentlich selten optimistisch. Wir haben also keinen klaren Faktor, wer auf den Placebo­effekt gut anspricht und wer weniger. Das gilt auch im Hinblick auf das Geschlecht.

Angenommen, ich nehme täglich verschiedene Medikamente. Und ich würde gerne mal statt der Schlaftablette ein Placebo ausprobieren. Soll ich meinen Arzt fragen? Oder ist das peinlich?

Das sollten Sie unbedingt tun. Bitte verändern Sie ärztlich verordnete Medikamente niemals im Alleingang. Aber aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass viele Hausärzte Placebos gegenüber sehr aufgeschlossen sind. Probieren Sie es aus. Gerade bei Schlafstörungen haben Placebos große Wirkung. Und viele Hausärzte sehen ja die Problematik, dass ihre Patienten viel zu viele Medikamente einnehmen.

Gibt es eigentlich Placeboärzte?

(Lacht) Nein. Aber eigentlich wären das Wissen und die systematische Nutzung der Mechanismen eine wichtige und interessante Zusatzausbildung für Behandelnde: Wie muss ich mit meinen Patientinnen und Patienten sprechen? Wie baue ich eine positive Erwartung wieder auf, nachdem Patienten frustrierende Behandlungserfahrungen gemacht haben? Wie kann ich Kondi­tionierung nutzen, um die Wirkung von Medikamenten zu verstärken?

In welchen Alltagsmomenten wende ich Placebos am besten an?

Die größten Effekte sehen wir auf subjektive Symptome: schlechte Stimmung, schlechter Schlaf, Ängstlichkeit, Schmerzen, Müdigkeit. Hier sind die Effekte in den Studien oft so groß, dass neue Medikamente zum Teil kaum eine Überlegenheit gegenüber den Placebos haben. Aber letztendlich kann ich mit Placebos nur Dinge anstoßen, die der Körper selbst regeln kann. Eine Unterschenkelfraktur wird ein Placebo nicht richten können.

Abschließend eine Frage für alle Mütter: Ein Pflaster mit Einhorn drauf ist schon ein gutes Placebo, oder?

Auf jeden Fall. Die meisten Pflaster, die mein Sohn einfordert, braucht er aus hygienischen Gründen sicher nicht. Allein das Pusten auf die Stelle, die wehtut, hilft. Das ist für sich schon wirksam. Dann noch ein Pflaster drauf und die Welt sieht schon ganz anders aus. Das ist tatsächlich angewandte Placebomedizin.


Quellen:

  • Prof. Dr. Ulrike Bingel: The Bingel Laboratory, Translational Pain Research Unit. Clinical Neurosciences University Hospital Essen: https://www.bingellab.de/... (Abgerufen am 15.03.2023)
  • Klinik für Neurologie Universitätsklinikum Essen: Prof. Dr. Ulrike Bingel, Placebo Competence. Homepage Uniklinik Essen: https://www.placebo-competence.eu/... (Abgerufen am 15.03.2023)