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Eine Klimasprechstunde oder auch klimasensible Gesundheitsberatung findet bereits in einigen Praxen während der normalen Sprechstunde statt. Hier klärt die Medizinerin oder der Mediziner bewusst über gesundheitliche Beschwerden auf, die auch mit dem Klimawandel in Zusammenhang stehen können. Dabei kommen keine zusätzlichen Kosten auf gesetzlich Versicherte zu. Die Praxis kann die Beratung in ihre sonstigen Leistungen einbetten, so zum Beispiel in allgemeine Gesundheitsuntersuchungen, auf die Patientinnen und Patienten regelmäßig Anspruch haben. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, diese bei der Krankenkasse mitabzurechnen.

Klar ist: Der Klimawandel belastet die Gesundheit. Mehr als 60 Prozent der Medizinerinnen und Mediziner gehen deshalb davon aus, dass er ihre Arbeit mit Patien­tinnen und Patienten verändern wird. Hitzewellen und andauernde Hitze etwa erhöhen das Risiko für Krankenhauseinweisungen, zum Beispiel durch Herzinfarkte. Es gibt auch mehr Todesfälle. Die Pollen­saison hat sich durch das wärmere Klima verlängert. Hinzu kommen neue Allergene in der Luft, beispielsweise von der bei uns ­eigentlich nicht heimischen Pflanze Ambrosia. Sie kommt ursprünglich aus Amerika, ihre Blütezeit ist von Juli bis Oktober. Das kann Betroffenen zusätzlich zu schaffen machen. Mittlerweile gibt es sogar einige exotische Krankheiten, wie etwa Dengue-­Fieber, das Zika-Virus oder das West-Nil-Fieber, die auch von Insekten in Europa und Deutschland übertragen werden ­können.

Aber auch an anderer Stelle hängen Klima und Gesundheit unmittelbar zusammen. Ein Umstieg vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr oder das Fahrrad würde sowohl dem Klima als auch der individuellen Gesundheit guttun. Durch höhere Feinstaubbelastung – vor allem in den Städten – können Lungenerkrankungen entstehen oder sich verschlechtern. Hinzu kommt: Das Gesundheitswesen selbst belastet das Klima. So ist der Sektor für mehr als fünf Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich.

Hinter der klimasensiblen Gesundheitsberatung steht der Gedanke, den Menschen als auch die Umwelt zu schützen – indem die Patientinnen und Patienten informiert werden, wie sie zu weniger CO2-Ausstoß beitragen können. Durch das Bewusstsein sollen klimabedingte Erkrankungen weniger häufig zu Krankenhausaufenthalten führen. Zudem geben die Ärztin oder der Arzt beispiels­weise Tipps, wie man sich effektiv vor Hitze schützen kann.

Der Vorteil: Medizinerinnen und Mediziner genießen das Vertrauen der Gesellschaft und haben täglich Kontakt zu Personen, deren Gesundheit vom Klimawandel betroffen ist. Sie haben die Möglichkeit, Betroffene über die Folgen von Klimaveränderungen aufzuklären. So gehören etwa bei Pa­tientinnen und Patienten mit Diabetes mehr Bewegung und eine Ernährungsumstellung zum Therapieansatz. Fachpersonal könnte hier eine sogenannte planetare Diät empfehlen: Sie umfasst zum Beispiel den Verzicht auf Fleisch oder zumindest eine Reduzierung des Fleischkonsums. Eine solche Ernährung kann die Gesundheit fördern und gleichzeitig der Umwelt zugutekommen. Denn: In Deutschland gehen 14,5 Prozent aller Klimagase auf Viehhaltung zurück. Auch der Verzehr von bevorzugt regionalen und saisonalen Lebensmitteln schont das Klima.

Um Praxen auf die Klimasprechstunden vorzubereiten, hat die Deutsche Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG) das Projekt „Transformative Arztpraxen“ ins Leben gerufen. Das Projekt setzt einen Schwerpunkt darauf, Medizinerinnen und Mediziner für klimasensible Gesundheitsberatung in der ambulanten Betreuung zu schulen. Für ihre Praxen erhalten sie außer­dem Informationsmaterial, das sie an ihre Patientinnen und Patienten weitergeben können. Die Idee des Projekts ist es, Klimathemen in die reguläre ärztliche Behandlung und Beratung einzubinden. Auch möchte KLUG Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte darin unterstützen, sich grundsätzlich für Rahmenbedingungen einzusetzen, die mehr gesundes und klimaschützendes Verhalten ermög­lichen. Dazu gehören zum Beispiel sichere Rad- und Fußwege, die aktive Bewegung fördern.

Eine Befragung ergab, dass sich mehr als 75 Prozent der Medizinerinnen und Mediziner kompetent genug fühlen, um eine gesundheitsförderliche und klimafreundliche Gesundheitsberatung durchzuführen. Mehr als 80 Prozent sind auch dazu bereit. Ein langfristiges Ziel könnte es sein, dass alle Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner, Kinderärztinnen und -ärzte sowie Gynäkologinnen und Gynäkologen eine klimabewusste Beratung im Rahmen der regelmäßigen Gesundheitsuntersuchung anbieten. Darüber hinaus können Praxen bei Patientinnen und Patienten, die ohnehin aus gesundheitlichen Gründen ihren Lebensstil verändern sollten, auch auf den Klimaschutz aufmerksam machen.

Kritische Stimmen befürchten, dass sich die reguläre ärztliche Sprechstunde durch die klimasensible Beratung verlängern könnte. In einigen Praxen fließen Themen rund um Klimawandel und Gesundheit aller­dings schon seit einiger Zeit in die Beratung ein. Scheinbar stellt sie dort keinen großen Mehraufwand dar.

Hiervon könnten wir bald die Nase voll haben Pollenflug, der als Bote des Klimawandels gilt, beginnt immer früher im Jahr und könnte in Zukunft teils länger andauern. Sogar ganzjähriger Pollenflug wäre in Deutschland möglich. Zudem können sich durch Veränder­ungen der Atmosphäre, etwa durch Kohlenstoffdioxid und Feinstaub, Pollenmenge und Allergenität erhöhen. Als wäre das noch nicht genug, lockt die Klimaveränderung Pflanzen mit hohem allergischen Potenzial zu uns – wie die Ambrosia. Es drohen mehr Pollenallergien, mehr Atemwegsbeschwerden, mehr geplagte Schnupfennasen.

Neues Accessoire für das Schlafzimmer Abends unters Moskitonetz kriechen, um sich etwa vor dem Chikungunya-Fieber zu schützen. Die Vorstellung erscheint utopisch, sie könnte aber wahr werden. Denn erwärmt sich der Globus weiter, siedeln sich auch hierzulande vermehrt exotische Mückenarten an. Diese mögen zwar keine Kälte, aber kürzere und wärmere Winter sorgen dafür, dass die Eier der Mücken überwintern. Stechmücken können Viren in sich tragen, die Tropenkrankheiten verursachen. Noch ist die Verbreitung exotischer Mücken in Deutschland begrenzt und Fälle von Tropenerkrankungen sind sehr selten.

Sommer! Sonne! Schattenseiten? Die gibt es – manche verstärkt durch den Klimawandel. So kommen laut Statistischem Bundesamt immer mehr Menschen wegen Flüssigkeitsmangel und Hautkrebs ins Krankenhaus. Wurden im Jahr 2000 noch 38 000 Menschen wegen Flüssigkeitsmangel behandelt, lag die Zahl 2020 bei 108 000. Das sind fast dreimal so viele. Ähnlich düster sind die Zahlen bei Hautkrebs: Von 2000 bis 2020 gab es 81 Prozent mehr Krankenhaus-Behandlungen, sie stiegen von 57 000 auf 104 000. Bei Hautkrebs nennt das Statistische Bundesamt als mögliche Ursachen übermäßige UV-Strahlung und Sonnenbrände. Häufig betroffen sind ältere Menschen.

Die Kleinsten könnten leiden Eine große Untersuchung hat Daten von 32 Millionen Geburten im Hinblick auf die Klimakrise ausgewertet. Es ­zeigten sich Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Luftschadstoffen, Hitzebelastung und zu frühen Geburten oder niedrigem Geburtsgewicht. Die Gründe sind komplex: Schwangere haben eine veränderte Regulation der Körpertemperatur, ­Feinstaub kann außerdem Auswirkungen auf den Mutterkuchen haben.

Der Weg zur Gesundheit führt durch die Küche Doch durch das viele Kohlendioxid könnte unsere pflanzliche Kost bald weniger Nährstoffe enthalten. Studien, die globale Modelle zum Protein-, Eisen- und Zinkgehalt von Pflanzen aufgestellt haben, alarmieren: Er könnte bis 2050 deutlich sinken. Weltweit sind Millionen Menschen gefährdet, einen Nährstoffmangel zu entwickeln, dessen Folge Blutarmut oder Wundheilungsstörungen sein können. Das betrifft vor allem Regionen in Asien und Afrika, wo ein Mangel schon jetzt häufig ist. Helfen könnte der Anbau von Pflanzen, die unempfindlich gegen Kohlendioxid sind.

Extremflut, Dürre, Unwetter Diese Ereignisse betreffen viele Meschen ­direkt. Mit Folgen für die mentale Gesundheit: Laut ­vorsichtigen Schätzungen leiden 20 Prozent unter Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Aktuelle Forschung zeigt, dass nicht nur Extremwetter, sondern auch der schleichende Temperaturanstieg und die schlechter werdende Luftqualität psychisch belasten. Gut wisseschaftlich belegt ist, dass Hitze zu er­höhter Aggressivität führt: gerichtet gegen sich selbst oder andere.


Quellen:

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