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Ein Leben im sterilen Plastikzelt oder im Schutzanzug: Das war für einige Kinder lange Zeit die einzige Therapie, wenn der Nestschutz durch die Mutter aufgebraucht war. Erwachsen wurden viele trotzdem nicht: Sie starben an unvermeidbaren Infektionen, denen ihr Körper schutzlos ausgeliefert war – weil sie praktisch kein Immunsystem besaßen. Heute gibt es bei angeborenen, schweren Immundefekten andere Möglichkeiten. Arzneien und Antikörper ersetzen die Körperabwehr ein Stück weit, mit einer Knochenmark-Transplantation ist oft Heilung möglich. Seit 2019 gehört die Untersuchung auf seltene „schwere kombinierte Immundefekte“ (SCID) zum Neugeborenen-Screening.

Das Schicksal der früher „Bubble Babys“ genannten Kinder zeigt vielleicht am deutlichsten, wie wichtig ein funktionierendes Immunsystem ist. Ständig sind wir Angriffen durch Bakterien, Viren, Pilze und andere Krankheitserreger ausgesetzt, die wir dank unserer Körperabwehr meistens besiegen. Ohne sie würden wir wahrscheinlich früh an Infektionen oder Krebs sterben. Und der Körper würde mangels Fresszellen von Müll überschwemmt, den absterbende Zellen in Geweben hinterlassen.

Ein fein austariertes System aus Zellen, Boten- und Abwehrstoffen ist für die Verteidigung gegen diese Gefahren zuständig. Antikörper, über die derzeit so viel geredet wird, bilden nur eine Abteilung dieser organisierten Trupps. Ohne Unterstützung durch sogenannte T-Helfer-Zellen könnten sie meist gar nicht gebildet werden. Der Angriff gilt aber nicht nur den Erregern selbst. Das Immunsystem zerstört auch Zellen, die Viren und manche Bakterienarten kapern, um sich darin munter zu vermehren. Andere Akteure wiederum sorgen dafür, dass dieser Prozess nicht aus dem Ruder läuft.

Im Wesentlichen besteht die Körperabwehr aus zwei Bestandteilen: Dem angeborenen und dem erworbenen Immunsystem. Die Begriffe sind missverständlich. Denn angeboren sind eigentlich beide. Das erworbene System muss Erreger aber erst kennenlernen, indem ihm Bestandteile davon präsentiert werden. Dann speichert es die Information in Form von Gedächtniszellen. Das angeborene Immunsystem bringt diesen Erkennungsmechanismus schon mit. Viele Fachleute bezeichnen es daher als unspezifisch, das erworbene als spezifisch. Der angeborene, unspezifische Teil erkennt Erreger sowie befallene Zellen und Krebszellen anhand typischer, unveränderlicher Substanzen auf deren Oberfläche. Dies genügt oft, um Infektionen zügig zu unterbinden – von denen wir außer einer leichten Entzündung wenig spüren. In manchen Fällen benötigt der Körper nach einigen Tagen aber die Hilfe der sogenannten spezifischen Abwehr. Sie wirkt besonders intensiv, indem sie Erreger über passgenaue Rezeptoren erkennt und darauf mit einer massiven Produktion spezifischer Abwehrzellen und Antikörper reagiert.

Die Brücke zwischen beiden Systemen bilden Dendritische Zellen (Foto oben). Wächterzellen, die ständig in den Geweben zirkulieren und an den Substanzen ihrer Umgebung naschen. Deshalb entgehen ihnen auch kaum Bakterien und Viren, die etwa über eine Verletzung in den Körper eingedrungen sind. Ein kompliziertes System von Botenstoffen vermittelt viele Wirkungen. Sie können selbst für Erreger giftig sein oder andere Helfer anlocken und ihnen den direkten Weg zur Infektion weisen.

Während Erreger über die Haut nur bei Verletzungen eindringen können, haben sie über die Schleimhäute des Atmungs- und Verdauungssystems im Prinzip leichteres Spiel. Deshalb hat das Immunsystem hier zusätzliche Barrieren eingebaut. Zum Beispiel sogenannte Peyer‘sche Plaques, den Lymphknoten ähnliche Strukturen im Darm. Hier befinden sich zudem die meisten Plasmazellen und setzen ständig spezielle Antikörper frei. Das ist nicht unproblematisch. Denn zum einen darf sich das Immunsystem nicht gegen Nahrungsmittel richten, zum anderen beherbergt der Darm auch Unmengen nützlicher, unverzichtbarer Bakterien. Mehrere Mechanismen verhindern Angriffe auf diese. So bremst der Schleim ihren Kontakt mit der Darmwand. Und kommen beide doch in Berührung, sendet die innere Schicht der Darmwand hemmende Signale aus.

Ganz generell stellt sich die Frage: Warum eigentlich greift das Immunsystem keine körpereigenen Strukturen an? Unmöglich, wie man bis Mitte des letzten Jahrhunderts glaubte, ist das keineswegs. Das zeigt schon die Zahl von mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland, die an Autoimmunkrankheiten wie Rheuma oder Typ-1-Diabetes leiden. Hier passiert genau das: Die Immunabwehr schadet dem eigenen Körper. Dennoch bleibt die Mehrheit der Menschen
davon verschont. „Dafür benutzt das Immunsystem zwei Wege“, erklärt Professor Lothar Rink, Direktor des Instituts für Immunologie an der Uniklinik Aachen. So durchlaufen Vorläufer der T-Zellen zunächst die Schule des Thymus, wo sie mit Körpereigenem in Kontakt kommen. Zellen, die zu schwach oder aber zu stark daran binden, sterben ab. Nur die goldene Mitte wird als T-Zelle aus der Schule entlassen. Entwischt doch mal eine gefährliche Zelle, greift der zweite Kontrollweg. Er arbeitet auf mehreren Wegen. Zum Beispiel entwickeln sich im Thymus sogenannte T-regulatorische Zellen, die eine Auto-Reaktion unterdrücken und auch sonst davor schützen, dass eine Immunreaktionen dem Körper schadet. „Gefährlich wird es immer dann, wenn ein Erreger Körpersubstanzen zu ähnlich sieht“, sagt Rink.

Nicht nur die Unterscheidung zwischen fremd und eigen stellt die Körperabwehr vor eine Herausforderung. Sondern auch die Tricks der Erreger. „Die versuchen ständig, das Immunsystem zu unterlaufen und zu manipulieren“, sagt Professorin Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. „Es ist ein permanentes Kräftemessen.“ Und irgendwann lassen die Kräfte leider auch nach. Deshalb sind ältere Menschen anfälliger für Infektionen und Krebsleiden. „Der Pool an reaktionsfähigen Zellen wird kleiner“, so Falk, „und die Produktion von wichtigen Botenstoffen kann nachlassen.“ Kann man dagegen etwas tun – auch schon als jüngerer Mensch? Die Formel, man solle sein Immunsystem stärken, findet Christine Falk irreführend: „Man sollte dem Immunsystem vor allem nicht schaden, dann macht es auch seinen Job.“ Stressfaktoren für die Abwehr zu vermeiden, darauf kommt es an. Dann gibt uns unser Immunsystem den Dank gerne zurück.


Quellen:

  • Kenneth Murphy and Casey Weaver: Die T-Zell-vermittelte Immunität. Janeway Immunologie: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/... (Abgerufen am 28.03.2022)
  • 4.Auflage, Springer

    • ISBN: 978-3-662-58330-2

  • Download unter dieser Adresse

  • Prof. Dr. Volker Wahn: Unser Immunsystem - Einführung und Hintergründe, Wie es funktioniert und was es leistet. https://www.immundefekt.de/... (Abgerufen am 17.03.2022)
  • Japanische Gesellschaft für Immunologie: Das faszinierende Immunsystem. Download-Buch: https://das-immunsystem.de/... (Abgerufen am 28.03.2022)
  • Kathleen M. Wragg1,4, Wen Shi Lee 1,4, Marios Koutsakos1,4, Hyon-Xhi Tan1, Thakshila Amarasena1, Arnold Reynaldi2, Grace Gare1, Penny Konstandopoulos1, Kirsty R. Field1, Robyn Esterbauer 1, Helen E. Kent1, Miles P. Davenport 2, Adam K. Wheatley 1, Stephen J. Kent 1,3 ✉ and Jennifer A. Juno: Establishment and recall of SARS-CoV-2 spike epitope-specific CD4+ T cell memory. Nature immunology: https://www.nature.com/... (Abgerufen am 23.03.2022)