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Es gibt Momente, da steht das Leben plötzlich still. Bei Angelika Uher gab es so einen Moment vor 22 Jahren. Sie saß beim Arzt. Er sollte ihr erklären, warum sie ständig nach Luft japste: beim Putzen, Einkaufen, Treppensteigen – sogar auf dem Sofa. Mit dem, was dann kam, hatte die Mutter von zwei Kindern nicht gerechnet: „Frau Uher, sie haben eine weit fortgeschrittene chronische Lungenerkrankung.“ Den Namen hörte sie zum ersten Mal: COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung).

Langzeit-Sauerstofftherapie liefert Energie

Die Atemnot ist ein Symptom dafür, dass der Körper mit zu wenig Sauerstoff versorgt wird. Der Sauerstoffgehalt im Blut nimmt ab. Das kann lebensgefährlich werden. Den nächsten Satz des Arztes vergisst Angelika Uher deshalb nie: „Lebenserwartung? Vielleicht fünf Jahre.“ Die Arbeiterin war da ­gerade einmal 44: „Ich dachte nur, mit 50 bist du tot.“

Zum Glück hat sich der Arzt geirrt. Angelika Uher lebt. Doch seit 14 Jahren trägt die Frau mit der frechen Kurzhaarfrisur zwei Brillen: eine auf und eine unter der Nase, aus der nonstop Sauerstoff fließt. Durch dieses spezielle Schlauchsystem erhält sie konzentrierten Sauerstoff. Diese sogenannte Langzeit-Sauerstofftherapie, kurz LTOT (engl.: „Long Term Oxygen Therapy“) schenkt ihrem Körper lebenswichtige Energie, die die Lunge nicht mehr liefern kann: Kraft für Muskeln und Organe.

Erst Rauchstopp, dann Sauerstofftherapie

In Deutschland leben etwa 180.000 Menschen mit einer Extraportion Luft. Darunter zum Beispiel Patientinnen und Patienten mit Lungenfibrose oder Erbkrankheiten wie Mukoviszidose. In der Mehrzahl sind es jedoch Menschen mit einer schweren COPD, bei denen das Rauchen nicht nur zu ­einer chronischen Bronchitis geführt, sondern auch viele Millionen Lungenbläschen zerstört hat. Fachleute sprechen von Lungenemphysem.

„Wer solch eine Diagnose erhält, ist schwer krank und leidet unter Atemnot“, sagt Professor Dr. Wolfram Windisch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Die wichtigste therapeutische Maßnahme sei ein absoluter Rauchstopp. Sinken die Sauerstoffwerte im Blut regelmäßig weit unter Soll, kann zusätzlich zu Medikamenten ­eine Langzeit-Sauerstofftherapie verordnet werden. „Es gibt Patienten, die das Haus wieder verlassen und den Alltag besser bewältigen können“, so Windisch.

Sauerstofftherapie für mindestens 16 Stunden täglich

Angelika Uher ist jetzt 66 Jahre alt und seit einem Jahr Rentnerin. Zuletzt war sie Schwerbehindertenvertreterin in ihrer Firma. Neben dem Computer stand immer auch ein tragbarer Sauerstoffbehälter, von dem ein durchsichtiger Schlauch über ihre Wangen zur Nasenbrille führte. Gab es schräge Blicke? „Nein.“ Aber sie erinnert sich: „Der erste Ausflug kostete viel Überwindung. Ich dachte: Du siehst aus wie eine Außerirdische, weg damit.“ Es hat gedauert, bis Uher sich sagte: „Lass die Leute reden. Ich will leben.“

Der Nutzen einer Sauerstofftherapie ist seit den 1980er-Jahren bekannt. „Doch wie bei jeder Medizin hilft die Sauerstoff-Reserve nur Patienten, die sich an den ‚Beipackzettel‘ halten und die Nasenbrille mindestens 16, besser noch 24 Stunden tragen“, sagt Tessa Schneeberger. Sie forscht an der Universität Marburg zur automatisierten Sauerstoffgabe bei COPD-Patientinnen und ­-Patienten. Ziele der Langzeit-Sauerstofftherapie sind unter anderem die Verbesserung der Lebensqualität und der körperlichen Leistungsfähigkeit. Dafür sei aber eine ­engmaschige Betreuung und individuelle Einstellung der Sauerstoffrate wichtig.

Disease-Management-Programm mit Schulungen

Angelika Uher geht viermal im Jahr zum Lungenarzt und nimmt an einem Disease-Management-Programm teil, das Schulungen und regelmäßige Verlaufskontrollen anbietet. Deshalb entdeckten die Ärzte auch frühzeitig, dass ihr Herz auf Turbo schaltete und immer mehr Blut Richtung Lunge pumpte, um den Sauerstoffmangel im Körper zu stoppen. Dank Langzeit-Sauerstofftherapie schlägt es wieder im Takt.

Anfangs war Scham da. Aber ich habe mir gesagt: Lass die Leute reden. Ich will leben!

Zu Hause stöpselt Uher ihre Nasenbrille vom mobilen Sauerstoffgerät ab und verbindet sich mit einem zwölf Meter langen Schlauch, der an einem 60-Liter-Tank mit Flüssigsauerstoff hängt. Weil der Schlauch leicht und biegsam ist, kann sie sich in der Wohnung gut bewegen. Denkt sie häufig: „Ach, hätte ich doch nie geraucht!“? „Nein. Das bringt mich nicht weiter.“ Sie gründete eine Selbsthilfegruppe für Atemwegserkrankte. „Aufklärung ist das A und O. Mein Lebensmut kam wieder, als ich mit anderen über die Krankheit sprechen konnte.“ Sie weiß, was die Langzeit-Sauerstofftherapie für sie bedeutet: „Meine Überlebenschancen verdoppeln sich.“

Anspruch auf leichtes Gerät für Sauerstofftherapie

Trotz aller Vorteile setzt aber rund die Hälfte aller LTOT-Patientinnen und -Patienten den Sauerstoff nicht ausreichend ein. Die Gründe: Das Gerät sei schwer, die Therapie unpraktisch. Und da ist die Sorge vor Nebenwirkungen: Hustenanfälle oder Nasenbluten, weil die Schleimhäute austrocknen oder gereizt ­reagieren. Dann helfen Luftbefeuchter und Nasensalben.

Ärztinnen und Ärzte hören oft die Frage: Macht Sauerstoff abhängig? Michael Golinske, 61, stellt die Gegenfrage: „Wo wäre ich ohne Extra-Sauerstoff?“ Der ehemalige Pharmaregionalleiter litt als Kind unter Asthma, rauchte mit 16 Jahren die erste Zigarette und schließlich Kette. Seit 17 Jahren ist er Langzeit-Sauerstoffpatient. Davor versuchte er lange, die Krankheit auszutricksen. Wenn Freunde fragten: „Kommst du mit zum Angeln?“, sagte Golinske aus Angst vor Erstickungsanfällen ab. Während Gesprächen kramte er häufig in einer Tasche. Ein Ablenkungsmanöver, um unbemerkt Atem zu schöpfen.

Michael Golinske „hängt brav an der Leine“: Vor 17 Jahren wurde er sauerstoffpflichtig.

Michael Golinske „hängt brav an der Leine“: Vor 17 Jahren wurde er sauerstoffpflichtig.

Doch die Puste blieb immer häufiger weg. „Ich lag oft auf dem Sofa, hatte keine Kraft für nichts.“ Als er die Nasenbrille aufsetzte, war das die Wende. Er ging angeln, fuhr E-Bike. Immer mit dabei: der Rucksack-Konzentrator auf dem Rücken. Als Golinske sauerstoffpflichtig wurde, waren häufig schwere Druckgasflaschen aus Stahl im Einsatz. Heute gibt es stationäre E-Geräte auf Rollen und leichte Akku-Geräte für ­unterwegs, die wie Handys aufgeladen werden. Gut zu wissen: Gesetzlich Versicherte haben Anspruch auf ein leichtes Gerät.

Frische Luft tut der Lunge gut

Angelika Uhers Lungenfunktion hat sich in 14 Jahren mit Langzeit-Sauerstofftherapie nur minimal verschlechtert. Sie plant einen Urlaub. Vielleicht ans Meer? Michael Golinske ist an die Nordsee gezogen. Wegen der frischen Luft. „Der Sauerstoff gibt mir die Freiheit für viele schöne Dinge.“

Sein E-Bike musste er inzwischen gegen einen Rolli eintauschen. Seine Lungen arbeiten so schlecht, dass er vier Liter Sauerstoff pro Minute braucht. „Ich hänge brav an der Leine“, sagt er. So nennt er den Schlauch, der ihn zu Hause mit einem Sauerstoff-Container verbindet, der jede Woche aufgetankt wird. Sein neues Hobby: Als Amateurfunker hat er Kontakt zu Schiffen aus aller Welt.


Quellen:

  • Deutsches Ärzteblatt: Sauerstoff-Langzeittherapie: Verband warnt vor „Umversorgung“. online: https://www.aerzteblatt.de/... (Abgerufen am 29.02.2024)
  • Jens Gottlieb, Hayo Schrepper, Christina Valtin, et al. : Quality of Domiciliary Oxygen Therapy in Adults with Chronic Respiratory Diseases—Results of a Multicenter Cross-Sectional Study in Germany. In: Deutsches Ärzteblatt: 01.11.2021, https://doi.org/...
  • S2k-Leitlinie herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.: Leitlinie zur Sauerstoff-Langzeittherapie. AWMF online : https://register.awmf.org/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • Prof. Dr. Susanne Lang, Chefärztin Medizinische Klinik II am SRH Wald-Kinikum Gera, (4. Symposium Lunge in Hattingen/NRW): Langzeit-Sauerstofftherapie - warum die Therapietreue so wichtig ist. . COPD-Deutschland e.V. online: https://www.copd-deutschland.de/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • COPD - Deutschland e.V.: Langzeit-Sauerstofftherapie fördert die körperliche Belastbarkeit. Broschüre online, : https://www.copd-deutschland.de/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • Deutsche Sauerstoff-Liga LOT e.V.: Sauerstoff & Psyche, Psychische Belastungen bei Sauerstoff-Langzeit-Therapie-Patienten. Report Ausgabe 35: https://www.sauerstoffliga.de/... (Abgerufen am 01.03.2024)
  • U. Koehler, O. Hildebrandt, L. Jerrentrup, et al.: Die Langzeit-Sauerstoff-Therapie (LTOT) – Was sollten Arzt, Versorger und Krankenkasse wissen?. Pneumologie: https//doi.org/... (Abgerufen am 01.03.2024)