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Neuromuskuläre Skoliose - kurz zusammengefasst

Bei einer Skoliose handelt es sich um eine dreidimensionale Verkrümmung der Wirbelsäule, das heißt, die Wirbelsäule ist zur Seite verkrümmt und verdreht. Die Ursache für die Entwicklung einer neuromuskulären oder neuropathischen Skoliose ist eine Grunderkrankung des Nervensystems oder der Muskulatur, weshalb der Halteapparat die Wirbelsäule nicht ausreichend stützen kann und es zu einem Kollaps der Wirbesäule kommt. Diagnostiziert wird eine Skoliose durch eine klinische Untersuchung und Röntgenaufnahmen der gesamten Wirbelsäule. Die Therapieoptionen reichen von konservativen zu operativen Verfahren, wobei wichtiges Ziel der Therapie das Erhalten der Mobilität oder der Sitzfähigkeit im Rollstuhl ist. Bei Voranschreiten der Krümmung sollte eine frühzeitige operative Therapie erwogen werden, wenn konservative Maßnahmen wie zum Beispiel eine Korsettversorgung oder Physiotherapie kein Aufhalten der Verschlechterung erreichen können.

Was ist eine neuromuskuläre Skoliose?

Eine Skoliose ist durch eine Seitwärtsverkrümmung und Rotation der Wirbelkörper charakterisiert. Bei der neuromuskulären Skoliose handelt es sich allerdings nicht um ein eigenständiges Krankheitsbild wie die idiopathische Skoliose. Vielmehr tritt sie in Folge von neuromuskulären Erkrankungen auf und ist daher Folge bei Erkrankungen dieses Formenkreises.

In einigen Fällen kann eine neuropathische Skoliose auch mit einer vermehrten Rundrückenbildung einhergehen, man spricht dann von einer Kyphoskoliose.

Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer neuromuskulären Skoliose hängt von der Grunderkrankung ab. Bei einer Muskeldystrophie Typ Duchenne beträgt sie circa 90 Prozent, bei einer infantilen Zerebralparese liegt die Wahrscheinlichkeit bei circa 25 Prozent.

Ursachen: Wie kommt es zu einer neuromuskulären Skoliose?

Wie der Name schon beinhaltet, sind Erkrankungen des Muskel- oder Nervensystems die Ursache für die Ausbildung der Wirbelsäulenverkrümmung. Es wird angenommen, dass es aufgrund der neuromuskulären Grunderkrankung zu einem Ungleichgewicht des Halteapparates und damit zu einem Kollaps der Wirbelsäule kommt. Daher ist in diesem Fall die Skoliose Folge einer anderen Grunderkrankung.

Ursächliche Erkrankungen des Nerven- und Mukelsystems sind unter anderem:

  • Infantile Zerebralparese
  • Syringomyelie
  • Rückenmarktumore
  • Rückenmarktraumata (Verletzungen des Rückenmarks)
  • Poliomyelitis (“Kinderlähmung“)
  • Muskeldystrophie

Symptome: Welche Beschwerden bereitet eine neuromuskuläre Skoliose?

Im Vordergrund stehen die einzelnen Beschwerden der Grunderkrankung. Meistens ist bei der Vorstellung der betroffenen Patienten bereits eine neuromuskuläre Erkrankung bekannt.

Die Skoliose, also die Verkrümmung und Verdrehung der Wirbelsäule kann durch folgende Merkmale auffallen:

  • ein einseitiger Schulterhochstand
  • ein hervorstehendes Schulterblatt
  • das einseitige Verstreichen der Taillendreiecke und beim Vornüberbeugen das Auftreten einer Lendenwulst
  • ein Beckenschiefstand
  • hervorstehende Rippen auf der einen Seite des Brustkorbes von hinten betrachtet (Rippenbuckel). Vor allem beim Vorbeugen kommt er deutlicher zum Vorschein.
  • Bei Patientinnen und Patienten, die im Rollstuhl sitzen, kann ein zunehmendes Abkippen des Oberkörpers zu einer Seite beobachtet werden.

Auch Schmerzen können aufgrund der Imbalance bestehen. Durch die Wirbelsäulenverformung und die mangelnde Möglichkeit zum muskulären Ausgleich der Verkrümmung, kann es zu einer zunehmenden Einschränkung der Beweglichkeit des Brustkorbes kommen. Dies kann sich durch eine schlechtere Lungenfunktion oder später auch durch Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems bemerkbar machen.

Diagnose: Wie wird eine neuromuskuläre Skoliose diagnostiziert?

Meist ist die Verformung der Wirbelsäule bereits mit bloßem Auge sichtbar. Durch eine gründliche Anamnese ergänzt mit bildgebenden Verfahren lässt sich die Diagnose sichern und das Ausmaß sowie der Verlauf dokumentieren. Die Untersuchungsmethoden sind die gleichen wie bei der idiopathischen Skoliose (siehe hier). Insbesondere ein Beckenschiefstand und der Rumpfüberhang sollten radiologisch miterfasst sein. Auch weitere bildgebende Verfahren wie MRT- und CT-Untersuchungen bekommen bei der neuromuskulären Skoliose einen höheren Stellenwert, um mögliche anatomische Fehlbildungen der Wirbelkörper oder des Rückenmarks zu erkennen.

Zur definitiven Diagnosesicherung sind gegebenenfalls neben der Beurteilung durch einen Orthopäden begleitend auch Untersuchungen beim Neurologen und Kinderarzt notwendig. Auch weiterführende genetische Untersuchungen zur Bestimmung der Grunderkrankung (falls noch nicht bekannt) können erforderlich sein.

Therapie: Wie wird eine neuromuskuläre Skoliose behandelt?

Mitentscheidend für die Therapieplanung ist, ob aufgrund der Grunderkrankung bereits eine Immobilisation, Rollstuhlpflichtigkeit oder Bettlägrigkeit besteht.

Während bei einer idiopathischen Skoliose der überwiegende Anteil gut auf eine konservative Therapie (ohne Operation) anspricht, ist dies bei einer fortschreitenden neuromuskulären Skoliose meist nicht der Fall. Daher nimmt die operative Versorgung bei den neuromuskulären Skoliose einen deutlich höheren Stellenwert ein, da die Möglichkeiten einer konservativen Therapie zum Teil stark limitiert sind.

Da die neuromuskuläre Skoliose Folge einer anderen Grunderkrankung ist, steht in diesem Fall vor allem der Erhalt der Lebensqualität im Vordergrund, wie beispielsweise das Erhalten der schmerzfreien Sitzfähigkeit im Rollstuhl oder eine Verbesserung der Lungenfunktion.

Konservative Therapie

„Konservativ“ meint eine Behandlung ohne Operation. Die Möglichkeiten der konservativen Therapie sind:

  • Verlaufskontrollen: Nur bei gering ausgeprägten Krümmungen empfehlenswert. Der Zeitabstand der einzelnen Kontrolluntersuchungen ist individuell zu treffen.
  • Krankengymnastik: Der Vorteil der Krankengymnastik liegt in der Verbesserung des Allgemeinzustandes, wie etwa einer verbesserten Lungenfunktion oder um Einsteifungen von Gelenken entgegenzuwirken. Auch zum Erhalt der Muskelkraft ist Physiotherapie sinnvoll. Eine Verbesserung der bestehenden Wirbelsäulenverkrümmung ist jedoch aufgrund einer häufig nicht ausreichend zu trainierenden (isotonischen) Rückenmuskulatur meist nicht zu erwarten.
  • Korsett-Therapie: ein Stützkorsett kann zu einer zumindest vorübergehenden Stabilisierung der Krümmung beitragen, um die Steh- oder Sitzfähigkeit zu erhalten. Anders als bei der idiopathischen Skoliose ist die Therapie mit einem Korsett bei neuropathischer Skoliose auch nach Abschluss des Wachstums sinnvoll. In den meisten Fällen kann jedoch ein Korsett das Voranschreiten der Krümmung nicht dauerhaft aufhalten. Auch ist der Nutzen in der Literatur umstritten. Bei eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit ist eine regelmäßige Kontrolle entscheidend, um der Entstehung von Druckgeschwüren durch ausreichende Weichbettung zuvorzukommen.
  • Sitzschalen: Sitzschalen können (wie auch eine Korsett-Therapie) eine aufrechte Position im Rollstuhl ermöglichen.

Operative Therapie

Als Richtwerte für die operative Versorgung gelten grundsätzlich die gleichen wie bei der idiopathischen Skoliose:

  • Cobb-Winkel über 40-50 Grad (siehe auch: Übersicht Skoliose)
  • Rasche Verschlechterung der Skoliose

Ziel einer Operation ist es, die skoliotische Krümmung soweit wie möglich zu korrigieren und die Wirbelsäule zu stabilisieren, um eine weitere Krümmung auszuschließen. Das Ausmaß der Operation ist abhängig von der Mobilität der Patienten. Um die bestehende Mobilität der Patienten zu erhalten, wird anders als bei der idiopathischen Skoliose der Zeitpunkt der Operation eher frühzeitig empfohlen.

Zur Behandlung werden langstreckige Versteifungsoperationen (Fusions-Operationen) mittels Schrauben-Stab-Systemen durchgeführt. Zusätzliche Maßnahmen während der Operation, wie zum Beispiel das Aufmeißeln von Verknöcherungen (Osteotomien) und das Einbringen von Knochensubstanz am Ende der Operation, ermöglichen eine optimale Korrektur und langfristige Stabilität.

Die möglichen Komplikationen gleichen denen der operativen Versorgung einer idiopathischen Skoliose (siehe hier, fusionierende Operationen, vorletzter Absatz). Gegebenenfalls höhere Risiken hängen von bestehenden Vorerkrankungen ab (wie beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Lungeninfekte bei bereits vorbestehenden Lungenfunktionsstörungen oder Implantatversagen bei durch Immobilisation bestehender verminderter Knochendichte). Generell muss das Operationsrisiko immer individuell mit dem behandelnden Wirbelsäulenchirurgen besprochen werden.

Unser beratender Experte

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Dr. med. Lorenz Wanke-Jellinek ist Oberarzt und Leiter der Sektion Skoliose- und Deformitätenchirurgie des Wirbelsäulenzentrums Schön Klinik München Harlaching. Als Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie spezialisierte er sich seit 2016 auf die Skoliose- und Wirbelsäulenchirurgie. Er ist Mitglied der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG), war Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und wurde 2014 während eines Fellowships an der Harvard Universität mit dem New Investigator Award der Shock Society ausgezeichnet. Dr. Wanke-Jellinek hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht und zusammen mit Dr. med. univ. Alexander Krenauer die Patientenplattform „SkoliDoc“ gegründet. Gemeinsam sind sie als Skoliose Experten in mehreren Skoliose-Podcasts zu hören und haben 2023 das Buch „Skoliose Verstehen und Behandeln – mein persönlicher Ratgeber“ veröffentlicht.