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Als „Wilden Westen“ bezeichnete ein britischer Immunologe Long Covid kürzlich in der Fachzeitschrift ­Nature. Er meinte damit die Bemühungen von Forscherinnen und Forschern, die Ursachen der Beschwerden zu verstehen und wirksame Therapien für Betroffene zu entwickeln. Professor Volker Köllner stimmt dem Vergleich zu. „Pioniere machen sich auf den Weg, um unentdecktes Land zu erkunden. Das gilt auch für uns Ärztinnen und Ärzte“, sagt der Leiter der Abteilung für Verhaltenstherapie und Psychosomatik am Reha-Zentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund.

Mehr als 200 Symptome werden beschrieben

Long Covid ist keine einzelne Krankheit, sondern ein Sammelbegriff für Symptome, die vier Wochen nach einer Infektion fortbestehen, sich verschlechtern oder neu auftreten. Beschwerden, die noch nach drei Monaten vorhanden sind und mindestens zwei Monate lang anhalten oder wiederkehren, werden als Post-Covid bezeichnet. In der Praxis jedoch wird oft nicht zwischen Long und Post-Covid unterschieden. Das lateinische Wort „post“ bedeutet „nach“.

Mehr als 200 verschiedene Symptome wurden beschrieben: etwa Müdigkeit, Kopfschmerzen, Atemnot und geistige Einbußen. Von Letzterem Betroffene haben beispielsweise Schwierigkeiten, jemandem aufmerksam zuzuhören. Oder sie ringen beim Sprechen um Worte, die ihnen gerade nicht einfallen.

Verschiedene Ursachen im Verdacht

Forschende haben krankhafte Veränderungen aufgespürt, die viele Beschwerden erklären könnten: Coronaviren oder deren Bestandteile, die in Infizierten überdauern und so Immunreaktionen aufrechterhalten. Weiterhin fanden sich im Blut mancher Betroffener Werkzeuge des Abwehrsystems, die eventuell das Gewebe schädigen: Autoantikörper, die fälschlicherweise Bestandteile des Körpers angreifen.

In manchen Patientinnen und Patienten wiederum wurden mikroskopisch kleine Gerinnsel in winzigen Blutgefäßen nachgewiesen. Sie stehen im Verdacht, die Sauerstoffversorgung des Gewebes zu beeinträchtigen. „Im Moment vermuten wir nur, dass dies alles Long Covid verursachen könnte“, sagt Dr. Jördis Frommhold, Gründerin des soeben eröffneten Instituts Long Covid in Rostock.

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Omikron-Variante verursacht womöglich seltener lang andauernde Beschwerden

Schätzungen zufolge entwickelt jeder zehnte Erwachsene Post-Covid nach einer Corona-Infektion. „Doch es besteht die Hoffnung, dass der Anteil nun niedriger liegt“, sagt Köllner. Einiges deute darauf hin, dass Omikron seltener lang andauernde Beschwerden verursacht als frühere Virus-Varianten. Und Impfungen könnten zu einem gewissen Grad vor Post-Covid-Beschwerden schützen.

Unabhängig davon gilt: Wer Symptome hat, sollte sich damit zunächst an seine Hausärztin oder seinen Hausarzt wenden. Allein schon, um abzuklären, ob etwa Atemnot und Müdigkeit andere Gründe haben. Zum Beispiel Blutarmut. Ein einfacher Bluttest kann sie nachweisen oder ausschließen.

Wenn nötig, überweist die Ärztin oder der Arzt Hilfesuchende an einen Spezialisten oder eine Spezialistin – oder hilft bei der Beantragung einer Rehabilitation. „Symptome wie Schonatmung, Abgeschlagenheit, Fatigue, Schmerzen und die eingeschränkte Belastbarkeit verbessern sich. Und diese günstigen Effekte dauern mindestens sechs Monate an“, sagt Frommhold, die eine laufende Studie dazu leitet. Erst wenn die Pa­tientinnen und Patienten ein Jahr lang nachbeobachtet sind, werden alle Ergebnisse ausgewertet und veröffentlicht.

Gezieltes Training verbessert die Symptome

Fest steht jetzt schon: Bei Müdigkeit und vielen weiteren Symptomen ist eine angepasste Bewegungstherapie wichtig. Wer geistige Einbußen hat, braucht zusätzlich ein Training fürs Gehirn. Gegen Luftnot helfen Atemtherapien. Bei Ängsten und Depressionen sind Psychotherapien und Medikamente geeignete Gegenmittel.

Köllner wünscht sich mehr Pioniergeist bei Gesundheitspolitikerinnen und -politikern. Sie sollten mehr niederschwellige Angebote schaffen: zum Beispiel Reha-Sport für Menschen mit Post-Covid. Auch Frommhold hält das für nötig. An ihrem neu gegründeten Institut will sie unter anderem Videos produzieren lassen, die beispielsweise passende Atemübungen zeigen.


Quellen:

  • Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF): S2k-LL SARS-CoV-2, COVID-19 und (Früh-) Rehabilitation. Leitlinie: 2021. https://www.awmf.org/... (Abgerufen am 06.10.2022)

  • Ayoubkhani D, Bermingham C, Pouwels KB, et al.: Trajectory of long covid symptoms after covid-19 vaccination: community based cohort study. In: BMJ: 18.05.2022, https://doi.org/...
  • Dotan A, David P, Arnheim D et al.: The autonomic aspects of the post-COVID19 syndrome. In: Autoimmun Rev. : 21.05.2022, https://doi.org/...
  • Heidi Ledford: Long-COVID treatments: why the world is still waiting. In: Nature 11.08.2022, 608: 258
  • Deutscher Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e. V.: Bewegung und körperliches Training nach Covid-19. https://dvgs.de/... (Abgerufen am 06.10.2022)
  • World Health Organization (WHO): A clinical case definition of post COVID-19 condition by a Delphi consensus. https://www.who.int/... (Abgerufen am 06.10.2022)
  • Nittas V, Gao M, West EA et al.: Long COVID Through a Public Health Lens: An Umbrella Review. In: Public Health Rev.: 15.03.2022, https://doi.org/...