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Was ist Glyphosat?

Tödlich bis in die Wurzelspitzen: Die organische Phosphorverbindung mit dem Namen Glyphosat bringt praktisch jede Pflanze zum Absterben. Das Produkt ist eines der meistverkauften Pestizide der Welt. Es ist billig und für den Landwirt recht praktisch. Denn Glyphosat wird im Frühjahr einfach auf den kahlen Acker ausgebracht und vernichtet vor der Aussaat der Nutzpflanze alles Grün, das deren Wachstum stören könnte[1]. Aber: Auch Tiere und Menschen können das Mittel aufnehmen. Und genau da beginnt das Problem.

Ab welcher Dosis wird Glyphosat bei dauerhafter Belastung potenziell gesundheitsgefährdend?

Die zuständigen Europäischen Behörden haben eine Dosis der Aufnahme von 0.5 mg/kg Körpergewicht und Tag festgelegt[2]. Das entspricht etwa einer maximal erlaubten Aufnahme durch die Nahrung von 200 bis 400 mg/Woche.

Wird diese Dosis im Alltag der Menschen in Deutschland erreicht?

„In der Regel“, sagt der Toxikologe Prof. Dr. Marcel Leist von der Universität Konstanz, „sind die Grenzwerte so niedrig angesetzt, dass unsereins in der Realität niemals mit einer schädigenden Menge in Kontakt kommt.“ Es sei ein Grundprinzip der Toxikologie, dass Stoffe die Gesundheit nur oberhalb einer gewissen Menge beeinträchtigen. Eine Aufnahme jenseits der Grenzwertmenge sei für die normale Bevölkerung sehr unwahrscheinlich, die Aufnahme einer akut schädlichen Menge praktisch unmöglich.

Ausnahme: berufliche Expositionen – Produktion, Transport, Landwirtschaft –, wo dann besondere Vorschriften und Sicherheitsvorkehrungen gelten.

Wie nimmt der Körper Glyphosat auf?

Eine Quelle für Glyphosat können Lebensmittel sein. Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit untersucht regelmäßig Rückstandsmengen in Nahrungsmitteln.

Laut Leist konnte in über 90 Prozent der Proben kein Glyphosat nachgewiesen werden.[3]„Wir wissen aber, dass sich Glyphosat weit verbreitet in der Umwelt befindet und auch über die Haut oder Atmung aufgenommen wird“, sagt Prof. Dr. Daniela Berg, Direktorin der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel.

Sie erklärt, dass in einer großangelegten Untersuchung in Deutschland Pestizide wie Glyphosat in Schutzgebieten und städtischen Innenräumen – weit abseits von Äckern – nachgewiesen wurde: an allen Orten, an denen man eine entsprechende Mess-Station aufgestellt hatte.[4] Zu einem ähnlichen Ergebnis sei eine großangelegte Studie in den Niederlanden gekommen[5]. Berg: „Wir müssen die chronische Aufnahme über die Haut und Atmung mitdenken, hier sind die toxikologischen Eigenschaften anders als bei der Aufnahme über den Mund, und auch das muss untersucht werden.“

Kann Glyphosat das Risiko für die Entwicklung der Parkinson-Krankheit fördern?

2016 litten weltweit über sechs Millionen Menschen an der Parkinson-Krankheit, knapp zweieinhalbmal mehr als im Jahr 1990 – ein Anstieg, der allein durch Bevölkerungswachstum oder das Altern unserer Gesellschaften nicht erklärbar ist[6]. Seit geraumer Zeit wird diskutiert, ob auch Pestizide wie Glyphosat die Entwicklung der Erkrankung fördern können. „Es gibt tatsächlich Studien, die zeigen, dass in Bevölkerungsgruppen, bei denen die Pestizidexposition höher war, bestimmte Krankheiten öfter auftreten[7]. Auch für Parkinson gibt es solche Daten[8]. Es gibt aber bisher keine Evidenzen, dass Glyphosat hier eine Rolle spielt“, sagt Marcel Leist. Der Toxikologe hält das „neurologische Risiko“ durch dieses Pestizid für sehr gering und erklärt, „dass diese Meinung von den meisten nationalen und internationalen Spezialisten geteilt wird.[9]

Besorgt zeigt sich dagegen Daniela Berg, auch stellvertretende Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Es gebe einzelne Berichte vom Auftreten von Parkinson-Symptomen nach Aufnahme größerer Mengen von Glyphosat[10] und auch Berichte vom Auftreten von Parkinson nach längerfristiger Exposition[11].Es gebe auch eine Reihe von Hinweisen, dass eine chronische Exposition gegenüber Pestiziden – auch anderen als Glyphosat – mit dem Auftreten von Parkinson assoziiert ist und das Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, ein erhöhtes Parkinsonrisiko haben[12]. Außerdem seien Pestizide nachgewiesenermaßen schädlich für Gehirn und Nerven.

Berg: „Natürlich ist es im Einzelfall schwierig zu sagen, ob die Parkinson-Erkrankung bei einer individuellen Person an einem bestimmten Auslöser – hier Glyphosat – liegt. Was man aber aus Tier- und Zellversuchen weiß, ist, dass Glyphosat im Gehirn zu einer Veränderung der Überträgerstoffe, zu Entzündungsreaktionen, eine Störung des Energieapparates der Zellen und oxidativem[13] Stress führt[14].[15] Das sind alles Vorgänge, die wir von der Parkinsonerkrankung her kennen und die zum Absterben der Nervenzellen beitragen.“

Besorgniserregend erscheint Berg auch das Ergebnis einer Studie mit fast 600 noch gesunden Erwachsenen in den USA[16]. Sie zeige, dass eine im Urin nachweisbare Glyphosatbelastung mit dem Eiweiß NfL im Blut assoziiert ist. Dieses Eiweiß weist auf einen Nervenzelluntergang hin. Vor dem Hintergrund all dieser Hinweise, sagt Daniela Berg, „halte ich eine Verlängerung von Glyphosat für falsch.“

Kann Glyphosat Krebs (mit) auslösen oder fördern?

„Ich kann mich da nur auf die äußerst umfassenden und vorsichtigen Bewertungen von EPA [17]und EFSA[9] beziehen“ (US Umweltschutzbehörde und Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit; Anm. d. Red.), sagt Experte Leist: „Hier wurde klar festgestellt, dass die Substanz für den Menschen nicht krebserregend ist. Die Bewertungen sind sehr transparent dokumentiert und wissenschaftlich solide abgesichert. Der überwiegende Teil der Behörden weltweit kommt zu dem Schluss, dass Glyphosat kein Karzinogen ist. Nach meiner eigenen Einschätzung haben davon abweichende Beurteilungen eine sehr schwache wissenschaftliche Basis.“

Anders äußert sich Dr. Johannes Bruns, der Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft: „Bisher gibt es unterschiedliche Studienergebnisse, ob ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Glyphosat und dem Risiko, an Krebs zu erkranken, besteht.“ Ein in diesem Jahr erschienenes Review der University of California stütze allerdings die Annahme, dass Glyphosat eine wahrscheinlich krebserregende Substanz sei. „Um den Einfluss von Glyphosat auf das Krebsrisiko ausschließen zu können, sind weitere wissenschaftliche Untersuchungen notwendig. Insbesondere die Wirkung von Glyphosat in Verbindung mit anderen chemischen Substanzen ist bislang nicht hinreichend erforscht“, sagt Bruns.

Was wäre, wenn Glyphosat verboten würde?

„In einer praktischen Welt und bei verantwortungsvollen Entscheidungen geht es nie nur um das Verbieten oder Nicht-Verbieten“, sagt Marcel Leist: „Jede Aktion kann weitreichende Konsequenzen haben. Tatsächlich ist Glyphosat unter den Pestiziden in der Gruppe der eher harmlosen Substanzen.“ Es sei also möglich, dass es durch giftigere Substanzen ersetzt werde. Es könne auch sein, dass es weitgehend nicht ersetzt werde, und dafür die Erträge niedriger würden. Dann müssten Landwirtschaftsprodukte aus Ländern mit besonders hohem Glyphosateinsatz importiert werden. Bevor man vorschnell urteile, müssten all solche Szenarien evaluiert werden, sagt Leist. „Man kann auch viele Zwischenschritte in Betracht ziehen, wie zeitlich und räumlich begrenzten Einsatz, oder die Förderung von Versuchsprojekten, um die Konsequenzen einer extremen Reduzierung besser zu verstehen.“

Ob eine rein biologische Landwirtschaft die Weltbevölkerung ernähren kann, gilt als umstritten. Theoretisch ist das möglich. Allerdings müssten Milliarden Menschen ihre Ernährungsgewohnheiten ändern. Und das ist praktisch sehr schwierig.

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Quellen:

  • [1] European Chemicals Agency: Glyphosat. https://echa.europa.eu/... (Abgerufen am 29.11.2023)
  • [2] Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit: Glyphosat: EFSA aktualisiert toxikologisches Profil . https://www.efsa.europa.eu/... (Abgerufen am 29.11.2023)
  • [3] European Food Safety Authority, Carrasco Cabrera L, Medina Pastor P: The 2020 European Union report on pesticide residues in food. In: efsa Journal: 30.03.2022, https://doi.org/...
  • [4] Kruse-Plaß M, Hofmann F, Wosniok W et al.: Pesticides and pesticide-related products in ambient air in Germany. In: Environmental Sciences Europe: 07.10.2021, https://doi.org/...
  • [5]

    Mol H, Dias J, Ling Y, et al. Pesticides biomonitoring: feces as new matrix and comparison with urine data. International Society for Exposure Science Annual meeting; Aug 27–31, 2023

  • [6] Dorsey ER, Elbaz A, Nichols E et al.: Global, regional, and national burden of Parkinson's disease, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016. In: The Lancet Neurology: 01.10.2018, https://doi.org/...
  • [7] Ockleford C, Adriaanse P, Berny P et al.: Investigation into experimental toxicological properties of plant protection products having a potential link to Parkinson's disease and childhood leukaemia . In: efsa Journal: 16.03.2017, https://doi.org/...
  • [8] Terron A, Bal-Price A, Paini A et al. : An adverse outcome pathway for parkinsonian motor deficits associated with mitochondrial complex I inhibition. In: Archives of Toxicology : 05.12.2017, https://doi.org/...
  • [9] Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit: Glyphosat: keine kritischen Problembereiche, aber Datenlücken festgestellt. https://www.efsa.europa.eu/... (Abgerufen am 30.11.2023)
  • [10] Barbosa ER, Leiros da Costa MD, Bacheschi LA et al.: Parkinsonism after glycine-derivate exposure . In: Movement Disorders: 14.05.2001, https://doi.org/...
  • [11] Wang G, Fan X, Tan Y et al.: Parkinsonism after chronic occupational exposure to glyphosate. In: Parkinsonism & Related Disorders: 02.03.2011, https://doi.org/...
  • [12] Dorsey ER, Sherer T, Okun MS et al. : The Emerging Evidence of the Parkinson Pandemic. In: Journal of Parkinson's Disease: 18.12.2018, https://doi.org/...
  • [13] Gui Y, Fan X, Wang H et al.: Glyphosate induced cell death through apoptotic and autophagic mechanisms . In: Neurotoxicology and Teratology: 04.04.2012, https://doi.org/...
  • [14] El-Shenawy NS: Oxidative stress responses of rats exposed to Roundup and its active ingredient glyphosate . In: Environmental Toxicology and Pharmacology: 18.01.2009, https://doi.org/...
  • [15] Cattani D, Cesconetto PA, Tavares MK et al.: Developmental exposure to glyphosate-based herbicide and depressive-like behavior in adult offspring: Implication of glutamate excitotoxicity and oxidative stress. In: Toxicology: 13.06.2017, https://doi.org/...
  • [16] Yang A, Chu P, Wang C et al.: Association between urinary glyphosate levels and serum neurofilament light chain in a representative sample of US adults: NHANES 2013-2014 . In: Journal of Exposure Science and Environmental Epidemiology: 06.09.2023, https://doi.org/...
  • [17] United States Environmental Protection Agency: Glyphosate . https://www.epa.gov/... (Abgerufen am 30.11.2023)
  • Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Einzelaspekte der Verwendung von Glyphosat. https://www.bundestag.de/... (Abgerufen am 29.11.2023)
  • Moon JM, Chun BJ, Cho YS et al.: Cardiovascular Effects and Fatality May Differ According to the Formulation of Glyphosate Salt Herbicide. In: Cardiovascular Toxicology : 13.06.2017, https://doi.org/...
  • Rana I, Nguyen PK, Rigutto G et al.: Mapping the key characteristics of carcinogens for glyphosate and its formulations: A systematic review. In: Chemosphere: 18.07.2023, https://doi.org/...
  • Kulcsarova K, Bang C, Berg D et al.: Pesticides and the Microbiome-Gut-Brain Axis: Convergent Pathways in the Pathogenesis of Parkinson’s Disease . In: Journal of Parkinson's Disease: 03.11.2023, https://doi.org/...